Das harte Durchgreifen der polnischen Regierung gegen friedliche Protestierende ist ganz offensichtlich ein Versuch, die Bevölkerung von weiteren Demonstrationen abzuschrecken. Zu diesem Schluss kommt Amnesty International in einem aktuellen Bericht.

Der Amnesty-Bericht  «Poland: On the streets to defend human rights» dokumentiert, wie die Behörden auf Methoden wie Überwachung, Schikane und Strafverfolgung zurückgreifen, um Massenproteste zu verhindern und aufzulösen. Seit 2016 sind in Polen Tausende Menschen auf die Strasse gegangen, um friedlich gegen repressive Gesetze zu demonstrieren.

«Die polnische Regierung bringt die Justiz immer stärker unter ihre Kontrolle, und der öffentliche Widerstand dagegen wird immer lauter. Doch die Regierung setzt alles daran, diese Proteste zu unterdrücken. Protestierende werden von der Polizei überwacht, schikaniert und sogar strafrechtlich verfolgt; und alles nur, weil sie laut ihre Meinung äussern», so Barbora Èernušáková, Polen-Expertin bei Amnesty International.

Einschüchterungstaktiken

Im Juli 2017 demonstrierten Tausende Menschen in mehr als 50 polnischen Städten gegen Pläne der Regierung, mit denen sie die Unabhängigkeit der Justiz bedroht sahen. Mithilfe eines beträchtlichen Polizeiaufgebots wurden Metallzäune errichtet, um die Demonstrierenden von den Parlamentsgebäuden fernzuhalten. Hunderte Polizisten waren täglich in der Gegend im Einsatz und setzten verschiedene Methoden ein, um Protestveranstaltungen zu unterbinden: Sie riegelten Strassen ab, beleidigten Demonstrierende und griffen sie tätlich an und «kesselten» sie ein.

Am Abend des 18. Juli machte eine Frau namens Klementyna von einer nahegelegenen Strasse aus Fotos von einer Demonstration. Laut ihren Angaben griff die Polizei sie tätlich an: «Ich habe einfach nur dort gestanden und wurde plötzlich und ohne Vorwarnung von einem Polizisten gepackt und gegen einen Ampelmast gedrückt. Er schlug mir ins Gesicht. Ich habe mich nicht gewehrt… Daraufhin kamen noch mehr Polizisten, sperrten die Strasse ab und kesselten mich dort ein.» In den Medien sagte die Polizei, dass Klementyna keine Beweise für ihre Anschuldigungen habe.

Selektive Genehmigung von Kundgebungen

Zusätzlich zu den unverhältnismässigen Polizeitaktiken sind neue Gesetze erlassen worden, mit denen das Recht auf friedliche Versammlung über Gebühr eingeschränkt wird. Im Dezember 2016 wurde im polnischen Parlament ein restriktives Versammlungsgesetz angenommen. Es gibt Kundgebungen, die mehrmals im Jahr von denselben Organisatoren am selben Ort organisiert werden, den Vorrang. Über das laufende Jahr hinweg hat die Regierung einer monatlichen regierungsfreundlichen Kundgebung auf diese Weise Priorität eingeräumt und dafür andere Anträge auf friedliche Versammlungen abgelehnt, was gegen internationale Menschenrechtsnormen verstösst. Bei der regierungsfreundlichen Kundgebung handelt es sich um eine Gedenkveranstaltung zum Flugzeugabsturz bei Smolensk, in dem 2010 der damalige Präsident Lech Kaczyñski und 95 weitere Personen ums Leben kamen.

Trotz dieser Hürden haben friedliche Protestierende im ganzen Jahr 2017 monatliche Gegendemonstrationen veranstaltet. Zahlreiche Demonstrierende wurden dafür strafrechtlich verfolgt, wahlweise wegen geringfügiger Vergehen wie z. B. «Störung einer rechtmässigen Versammlung» oder aber wegen Straftaten wie «böswilliger Störung einer religiösen Handlung», da die besagten regierungsfreundlichen Kundgebungen mittlerweile als «religiöse Umzüge» eingestuft werden.

Klima der Angst

Oft werden Demonstrierende beschattet und von Beamten bei sich zuhause aufgesucht. In vielen Fällen wird Anklage und Strafanzeige erhoben. Im Dezember 2016 wurde ein Student angeklagt, «die Pressefreiheit eingeschränkt» zu haben, weil er an einem öffentlichen Platz in der Nähe eines Journalisten demonstrierte. Er sagte Amnesty International: «Sie versuchen definitiv, die Leute einzuschüchtern, um sie vom Protestieren abzuhalten.»

«Die Tatsache, dass friedliche Protestierende allein deshalb kriminalisiert werden, weil sie von ihren Rechten auf freie Meinungsäusserung und friedliche Versammlung Gebrauch machen, zeichnet ein düsteres Bild von der aktuellen Lage in Polen. Diese perfiden Anzeigen wegen reiner Bagatellen zeigen deutlich, wie der Zivilgesellschaft die Luft zum Atmen genommen wird. Die Anklagen sollten unverzüglich fallengelassen werden», so Barbora Èernušáková.

Hintergrund

Der polnische Präsident legte im September 2017 eigene Vorschläge für eine Justizreform vor, nachdem er zuvor die umstrittenen Reformvorschläge des Parlaments abgelehnt hatte. Die Bedenken bezüglich einer Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit und der Unabhängigkeit der Justiz sind allerdings nicht ausräumt. Sobald die neuen Vorschläge des Präsidenten im Parlament diskutiert werden, könnten jederzeit wieder Proteste ausbrechen.

Der Originalartikel kann hier besucht werden