Die indianische Aktivistin Winona LaDuke hat die Schauplätze im Blick, auf denen indianische Rechte und die Rechte der Erde verletzt werden.

Wo ist Winona? Eine Frage, die zu ihren „besonderen Merkmalen“ gehört. Denn Winona LaDuke ist selten da, wo man sie vermutet. Sie hat viele Berufe und viele Baustellen. Ihre Bücher schreibt sie zuhause im Reservat White Earth im Norden Minnesotas. Ihr Engagement treibt sie über den Kontinent, denn es gibt kaum ein indigenes Territorium in Nordamerika, das sich nicht im Fokus multinationaler Rohstoffkonzerne befindet.

Winona LaDuke lernte ich im September 1977 in Genf kennen; sie war 18 Jahre alt und hatte wenige Monate zuvor die High School absolviert. In Genf gehörte sie zu einer Delegation der indianischen Bürgerrechtsbewegung American Indian Movement. Indianer von Alaska bis zum Amazonas waren im Herbst 1977 nach Europa gekommen, um vor dem Entkolonialisierungsausschuss der Vereinten Nationen (UN) Zeugnis abzulegen über Verfolgung und Rassismus, über die Zerstörung von Land und Kultur. Diese historische Woche in Genf legte den Grundstein für die Arbeitsgruppe für Indigene Völker – diese Formulierung stammte von der UN, nicht von den indigenen Gesandten, aus der 2007 die „UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker“ hervorging. Das ist der Kontext, in dem Winona LaDuke ihre Arbeit begann und bis heute fortführt.

Winona sprach in Genf über den Abbau von Uran auf Indianerland. Die Köpfe gingen hoch als sie sprach. Uran – das war für viele ein neues Wort. Sie klagte an: Das Atomzeitalter hatte auf dem Rücken der Ureinwohner Nordamerikas begonnen. Auf ihrem Land wurden die ersten US-amerikanischen Atombomben getestet. Und bis heute sind es die Ureinwohner, die für unser bequemes, durch Atomstrom elektrifiziertes Leben sterben. Uranabbau in Nordamerika findet bis heute überwiegend auf indianischem Land statt. Ob Saskatchewan oder New Mexico, ob Cree oder Navajo: Der Abbau zerstört Boden und Grundwasser und kontaminiert die Luft. Doch all dies kostet Menschenleben. Winona war die erste, die davon sprach. Am letzten Tag – es war in der Cafeteria der Vereinten Nationen – kam sie auf mich zu, in der Hand eine handgezeichnete Karte der Indianerreservate und der dazugehörigen Uranvorkommen. Sie hielt mir die Skizze vor die Nase und sagte: „Wenn du ein Journalist bist, dann fang an, über uns Indianer zu schreiben. Du solltest dich auf Uran fokussieren!“

Ich folgte ihrer Aufforderung. Bis heute verfolge ich die verhängnisvolle Verbindung des Rohstoffs Uran mit dem Schicksal indigener Völker auf allen Erdteilen. Diese Richtung meiner Arbeit verdanke ich Winona LaDuke. Warum ich das erwähne? Weil es charakteristisch für den Arbeitsstil, die Intensität, das Charisma dieser Frau ist, andere in den Bann zu ziehen, ihnen die Augen zu öffnen, sie zu überzeugen und sie für eine Sache zu gewinnen.

Winona wurde am 8. August 1959 als Tochter der jüdischen Malerin Betty LaDuke und des indianischen Stuntman Vincent LaDuke geboren. Sie wuchs in Kalifornien auf, doch entwickelt sie schon früh eine Bindung zur Heimat ihres Vaters, des White-Earth-Indian-Reservats im Norden des US-Staats Minnesota. Nach ihrem Volkswirtschaftsstudium in Harvard, schloss sie sich dem International Indian Treaty Council (ITTC) an, eine Organisation indigener Völker in Nord-, Mittel- und Südamerika. IITC war der hauptverantwortliche Organisator der UN-Konferenz im Jahr 1977. Sie ging zurück nach White Earth, wo sie feststellen musste, dass nur noch sieben Prozent des Reservats im Besitz der Anishinabeg, wie sich die Ojibway Nation selbst nennt, waren; der Rest gehörte der US-Regierung und weißen Ranchern. Der Besitzerwechsel, so fand Winona heraus, war durchwegs durch Betrug zustande gekommen.

Eine Rückgabe vor Gericht zu erfechten, das wusste die Harvard-Absolventin, würde Jahre dauern, Energie aufzehren und dann womöglich ohne Erfolg sein. Sie gründete eine Organisation mit dem Ziel, Land von Farmern zurückzukaufen, deren Kinder nicht weiter in der Landwirtschaft arbeiten wollten. Ihre NGO nannte sie White Earth Land Recovery Project. Das erste selbst erworbene Land wurde Sitz eines Kleinbetriebes, dessen Erfolg für viele Stämme ein Vorbild ist, durch eigene Kraft aus dem Sozialempfänger-Status auszubrechen. Zum White Earth Land Recovery Project gehört heute ein Versand von Wildreis, Ahornsirup, Beerenmarmelade und Behältern aus Birkenrinde. Bisonfleisch wird nicht verschickt, dafür an die Diabetes-Kranken im Reservat verteilt. Für ihr erfolgreiches Pionierprojekt erhielt Winona den renommierten Reebok Human Rights Award.

Sie kann nur schwer entspannen – ein voller Winona-Tag würde bei anderen Menschen die Agenda von mindestens zwei Tagen füllen. Ihr sicheres und eloquentes Auftreten verhalf ihr, Greenpeace für indianische Belange zu gewinnen. Daneben gründete sie die Initiative Honor the Earth, die in enger Kooperation mit Musikern Benefizkonzerte für den Rückkauf von Land organisiert hat. Ihr guter Ruf drang auch nach Washington vor: Als die US-Grünen 1992 Ralph Nader zu ihrem Präsidentschaftskandidaten ernannten, wünschte sich dieser Winona als „Running Mate“, als Vize-Kandidatin. Zwei Wahlkämpfe absolvierte sie mit Nader, beim zweiten Mal mit Baby im Arm. Selten sah man sie in diesen Jahren ohne Kind; all ihre drei Kinder haben mehr Erfahrungen auf Konferenzen und in Hotels gesammelt als im Klassenzimmer.

Winonas Engagement baut immer Brücken von der indianischen Welt zur dominanten Gesellschaft. Sie hat immer die Welt im Fokus, verliert dabei nie die Anbindung zu ihrer Gemeinde in White Earth. Dort wurde ihr von den Ältesten ein zweiter Name verpasst: Thunderbird Woman. Er passt: Wie ein reinigendes Gewitter fegt die Donnervogelfrau ins Geschehen, weckt die Leute auf und organisiert den Widerstand. Zum Beispiel gegen die Keystone-XL-Pipeline und die Alberta-Clipper-Pipeline, die Ölsand, den „dreckigsten Brennstoff der Erde“ wie Winona ihn nennt, aus der kanadischen Westprovinz Alberta in den Osten und später zum Golf von Mexiko schaffen werden. Die Enbridge-Sandpiper-Pipeline soll von North Dakota zu den Großen Seen führen. Keystone XL bedroht intakte Jagdgründe der Dene und Cree, Enbridge Sandpiper die größten Wildreisvorkommen der Welt. Der Musiker Neil Young besuchte die Fördergebiete und verglich das Bild mit der Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki. 2013 initiierte die Donnervogelfrau einen Ritus zu Pferd, um gegen die Projekte zu protestieren. „Unsere Ritte zu Ehren von Mutter Erde gehören zu unserem Widerstand“, sagt sie. „Wir sind den Korridoren der Pipelines gefolgt. Man kann es auf Youtube sehen, das hat viele inspiriert. Wir sind die Verteidiger unseres Landes.“

Die Donnervogelfrau vergleicht den Umgang mit der Erde mit dem Umgang von Minderheiten: Die Militarisierung gegen Indianer spiegelt sich bis heute in vielen Ortsnamen, sexuelle Gewalt gegen indianische Frauen geschieht gleichzeitig zur Vergewaltigung der Natur. „Fracking ist die Vergewaltigung unserer Mutter Erde.“ Und immer gibt sie ihren Anklagen eine kleine Wendung, die zeigt, dass sie eine Versöhnung anstrebt, einen Dialog mit den Zerstörern. „Auch sie haben Kinder!“ Die Donnervogelfrau will sie erinnern, dass auch sie Verantwortung gegenüber den Ungeborenen tragen. Mit ihrem neuesten Ruf will sie die Ohren jener erreichen, die sich normalerweise abwenden: „We are not protesters. We are protectors.“*

* Im Deutschen geht das Wortspiel leider verloren: „Wir sind keine Protestler. Wir sind Beschützer.”

[Zum Autor]
Claus Biegert arbeitet für den Bayerischen Rundfunk, die Süddeutsche Zeitung sowie die Magazine Oya und natur. Er wurde vor allem bekannt durch zahlreiche Publikationen über seine Recherchen bei den Indianern in den USA und Kanada. 1992 hat er mit anderen die Weltkonferenz „World Uranium Hearing“ in Salzburg organisiert. Indigene Völker berichteten dort von den Folgen der Atomindustrie. Claus Biegert ist Gründer des Nuclear-Free-Future-Award und Beiratsmitglied der Gesellschaft für bedrohte Völker.

Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „bedrohte Völker – pogrom“ trägt den Titel „Starke Frauen: Jetzt reden wir!“. Geschichten, die erzählt werden müssen. Wir veröffentlichen ausgewählte Artikel zum „Hineinschnuppern“. Das vollständige Magazin gibt es im Online-Shop der GfbV.

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