ProMosaik befragt „Dortmund Nazifrei“ über ihre Arbeit in einer so multikulturellen und multireligiösen Stadt wie Dortmund.

ProMosaik e.V. verfolgt vor allem die Tätigkeiten von Dresden Nazifrei. Was unterscheidet Dortmund vom Osten Deutschlands?

Grundsätzlich lassen sich rassistische, antisemitische und allgemein menschenfeindliche Einstellungen besonders dort finden, wo die Menschen arm sind und existenzielle Probleme haben, zum Beispiel keine Ausbildung oder Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. Ihre Ängste und ihre Wut kanalisieren sich aus der Ohnmacht, nichts dagegen tun zu können und dem mangelnden Wissen über die wahren Gründe, in den vermuteten Verursacher*innen dieser Probleme, z.B. „den Ausländern“. Daher gab es in Ostdeutschland nach der Wende so viele Neo-Nazis. Im Ruhrgebiet ist die Armutsquote, beispielsweise durch die Veränderungen in der Kohle- und Stahlindustrie, ebenfalls sehr hoch, Dortmund ist davon am Stärksten betroffen. Es lässt sich daher eine ähnliche Entwicklung beobachten. Der Unterschied ist, dass die Dortmunder Nazis in der Umgebung sehr stark vernetzt sind. Sie organisieren sich in autonomen Strukturen oder nutzen Parteistrukturen aus. Dadurch können sie zu ihren Events viele Menschen mobilisieren, von denen die meisten gar nicht selbst in Dortmund wohnen.

Welche Hauptziele setzen Sie sich mit Ihrer antifaschistischen Tätigkeit in Dortmund?

Dortmund Nazifrei ist ein Blockadebündnis. Die Mitgliedsorganisationen, die sich vor allem aus Gewerkschaften, Parteien und Jugendverbänden zusammen setzen, sind alle in unterschiedlichen Formen antifaschistisch engagiert. Aber innerhalb dieses Bündnisses geht es nur darum, Naziaufmärsche in Dortmund durch friedliche und gewaltfreie Sitzblockaden zu verhindern oder zumindest zu stören.

Wie gefährdet ist Dortmund im Moment als multikulturelle und multireligiöse Stadt?

Bisher war es bei jeder größeren Veranstaltung durch rechte Strukturen in Dortmund möglich, wesentlich mehr Menschen zu Protestaktionen und Gegendemonstrationen zu bewegen, als Nazis auf der Straße waren. Das geht in der Berichterstattung häufig unter.
Allerdings ist es bedenklich, dass trotz des erhöhten Gewaltpotentials und der steigenden Aggressivität der Dortmunder Rechten, die sich derzeit beobachten lassen, beispielsweise beim Überfall auf das Dortmunder Rathaus im vergangenen Jahr, trotzdem Menschen bereit sind, die Partei „Die Rechte“ zu wählen und offenbar mit deren Aktivitäten sympathisieren.

Wie präsent sind die Neonazis in Dortmund und wie agieren sie?

In letzter Zeit sind Aktivitäten im öffentlichen Raum verstärkt zu beobachten. Die Dortmunder Naziszene hat derzeit noch das Privileg, in einer Partei namens „Die Rechte“ formiert zu sein, die sich gründete, nachdem die Vorgängerorganisation „Nationaler Widerstand“ verboten worden war. Kleine Gruppen von Mitgliedern der Partei melden derzeit beinahe täglich Infostände in Stadtteilen an, in denen sie sich Zuspruch für ihre Gesinnung versprechen, beispielsweise in Vororten, in den gerade eine Unterkunft für Geflüchtete entsteht.
Besonders auffällig ist aber besonders die Zunahme von Einschüchterungsversuchen, wenn nötig mit Hilfe von körperlicher Gewalt. Während der Wahlparty im Mai letzten Jahres überfiel eine Gruppe Nazis das Dortmunder Rathaus, skandierte rassistische Parolen und verletzte dabei mehrere Menschen. Anfang diesen Jahres fanden mehrere Journalist*innen, die kritisch über das Treiben der Dortmunder Szene berichteten, ihren Namen in fingierten Todesanzeigen wieder. Das ist schon eine neue Dimension von Gewalt aus dem rechten Lager. Man muss das ernst nehmen, darf aber nicht zulassen, dass es den rechten Akteur*innen tatsächlich gelingt, uns aus Angst von unserem Protest abzubringen.

Wie kann man in der Bildung und Erziehung der Jugend ansetzen, um zu vermeiden, dass sie in die braune Suppe fällt?

Jugendliche sollten durch eine demokratische Erziehung lernen, dass sie die Gesellschaft selbst gestalten können. Wer autoritär erzogen ist, neigt häufig dazu Dinge nicht zu hinterfragen, um nicht aufzufallen. Das ist beinahe genauso schlimm, wie selbst ein Nazi zu werden: Weg zu sehen und den Mund nicht aufzukriegen, wenn Nazis ihre Hasspropaganda verbreiten und gegen Minderheiten hetzen.
Gerade befinden wir uns im 70. Jahr nach der Befreiung von Auschwitz. Es ist unsere gesellschaftliche Verantwortung, Jugendliche darüber aufzuklären, zu welch unvorstellbarer Grausamkeit des Menschen am Menschen der Nationalsozialismus bereits schon einmal geführt hat. Gedenkstättenpädagogik ist daher ein unverzichtbares Element antifaschistischer Erziehung und Bildungsarbeit. Eltern, Lehrer*innen und alle Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben sollten sich außerdem ihrer Vorbildrolle bewusst sein. Nur wer Respekt allen Menschen gegenüber vorlebt und immer wieder die eigenen Vorurteile und verinnerlichten Stereotype hinterfragt, kann damit rechnen, dass auch die Kinder im eigenen Umfeld das lernen.

Wie wichtig sind Antidemos und warum?

Es ist enorm wichtig, der rechten Szene nicht den Eindruck zu vermitteln, dass sie sich hier ungehindert ausbreiten kann. Menschen, die nach Dortmund kommen, sollen sich ohne Ansehen ihrer Religion, ihres Migrationshintergrundes und ihrer sexueller Orientierung willkommen fühlen und hier ohne Angst frei leben können. Dafür müssen Menschen auf die Straße gehen und zeigen, dass sie Rassismus, Antisemitismus und Homophobie nicht dulden.

Wie kann in den sozialen Medien effektiv gearbeitet werden, um Jugendliche multikulturell und tolerant zu erziehen?

Es sollte klar sein, dass auch Nazis wissen, wie man mit sozialen Medien umgeht und über diese Kanäle versuchen, ihren Hass zu streuen. Einschlägige Facebook-Seiten sind die neuen Schulhof- CDs. Früher oder später wird jeder junge Mensch gezwungenermaßen über so etwas stolpern. Statt also Internetverbote auszusprechen, sollte man dafür Sorge tragen, dass Jugendliche solche Online- Stammtischparolen erkennen und nicht darauf herein fallen.

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