Guaraní-Kaiowá-Anführer vor den Augen der schweigenden internationalen Gemeinschaft ermordet.
Während Staatschefs, Minister, Berater und Tausende von Beamten durch die polierten Flure der UN-Klimakonferenz COP30 in Brasilien schlendern – Selfies, leere Reden, recycelte Versprechen –, fließt das Blut eines indigenen Guaraní-Kaiowá-Anführers lautlos auf das angestammte Land, das er verteidigte.
Niemand in der „Blauen Zone”, diesem exklusiven Bereich für akkreditierte Delegierte, unterbrach den Applaus der Delegierten, noch wurde aus Respekt eine Schweigeminute eingelegt. Die internationale Gemeinschaft schaute einmal mehr weg.
Denn während das Klima-Theater weitergeht, sind in den frühen Morgenstunden des 16. November etwa zwanzig bewaffnete Männer in die Gemeinde Pyelito Kue im äußersten Süden Brasiliens eingedrungen und haben ohne Vorwarnung das Feuer eröffnet. Sie haben geschossen, um zu töten. Das hat Survival International in einer Pressemitteilung gemeldet, die von keinem nationalen Medium aufgegriffen wurde.
Der indigene Anführer Vicente Fernández Vilhalva, 36 Jahre alt, wurde durch einen Kopfschuss getötet. Vier weitere Mitglieder der Gemeinschaft wurden verletzt. Die Angreifer zündeten Unterkünfte an, zerstörten Habseligkeiten und verbrannten die wenigen materiellen Güter, die den Guaraní-Kaiowá in ihrem Kampf um die Rückeroberung ihres eigenen Territoriums noch geblieben waren. Es gab keine Polizei in der Gegend. Es gab keinen staatlichen Schutz. Es gab keine Hilfe.
„Sie haben uns umzingelt. Die Pistoleros kamen nicht, um zu reden, sondern fingen einfach an zu schießen. Wir haben keine Waffen und können uns nicht verteidigen“, sagte ein Anführer von Pyelito Kue, der aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen anonym bleiben wollte. „Sie haben alles verbrannt: unsere Häuser, Töpfe, Stühle …“
Dieser Angriff ist kein Einzelfall. Es ist schon der vierte gewalttätige Vorfall in zwei Wochen gegen dieselbe Gemeinschaft. Und er ist Teil einer jahrzehntelangen Verfolgung. Jahrzehnte der Vertreibung, Schikanierung, Morde, Straflosigkeit und Vergessen.
Der stille Völkermord an den Guaraní-Kaiowá
Die Guaraní-Kaiowá sind eines der am stärksten benachteiligten Völker Lateinamerikas. Seit Generationen sind sie in winzigen Reservaten eingesperrt, damit die Viehzucht und der Anbau von gentechnisch verändertem Soja expandieren können. Auch heute noch sind sie Opfer von Angriffen durch Bewaffnete, die mit lokalen Großgrundbesitzern in Verbindung stehen.
In den letzten Jahren:
- Die Guaraní-Kaiowá haben eine der höchsten Selbstmordraten unter indigenen Völkern weltweit.
- Mehr als 100 indigene Führungspersonen wurden in den letzten zwei Jahrzehnten in Mato Grosso do Sul ermordet.
- Ihre angestammten Gebiete werden seit Jahrhunderten durch die Agrarindustrie beschnitten, die mit Maschinen, Pestiziden und Gewalt vorrückt.
- Die Festlegung von Landgrenzen ist immer noch blockiert oder wird durch wirtschaftliche Interessen, die sich über Gesetz, Leben und Gerechtigkeit hinwegsetzen, rückgängig gemacht.
Die internationale Gemeinschaft, die sonst bei jeder Schlagzeile in Grossbuchstaben gleich in Aufregung gerät, hat zugelassen, dass dieser versteckte Völkermord weitergeht – als Agrarkonflikt getarnt, aber eigentlich ein Projekt zur kulturellen und physischen Auslöschung.
Der skandalöse Kontrast: Die COP30 und der Ausschluss derjenigen, die den Planeten schützen
Während die Vertretenden der indigenen Völker am Eingang zur Blue Zone festsaßen, feierte die Klimaelite diplomatische Fortschritte und machte sich für die Galadiners bereit. Die Hüter:innen der Natur, die gleichen Leute, die die Wälder am Leben erhalten, die Flüsse sauber halten und die Artenvielfalt in ihrer Ursprünglichkeit bewahren, wurden von einer Konferenz ausgeschlossen, die ironischerweise behauptet, sich für den Schutz des Planeten einzusetzen.
Die Organisation Survival International hat den Mord angeprangert. Aber keine große nationale Zeitung hat darüber berichtet. Keine Nachricht hat das Programm unterbrochen. Kein Politiker bei der COP hat Vicente Fernández Vilhalva auch nur eine Minute seiner Rede gewidmet. Das Leben der indigenen Bevölkerung ist mal wieder nicht Gegenstand der weltweiten Aufmerksamkeit.

Vicente Fernández, ermordeter indigener Anführer. (Bild: Aty Guasu/Survival International)
Seit Jahren kritisiere ich den ganzen Trubel um die COP. Tausende von Beamten reisen herum, genießen die Reise, machen Fotos, halten Reden, kommen nach Hause zurück … und es ändert sich absolut nichts. Nicht das Klima. Nicht die Gerechtigkeit. Nicht der Schutz des Lebens. Was am 16. November passiert ist, bestätigt das auf tragische Weise: Die COP ist nicht dazu da, das Leben zu schützen. Sie ist dazu da, den Schein zu wahren.
Während über Klimaneutralität bis 2050 geredet und über Paragrafen verhandelt wird, die die großen Umweltverschmutzer zu nichts verpflichten, verliert ein indigenes Volk in Brasilien einen weiteren seiner Anführer, weil er das verteidigt hat, was die Welt angeblich retten will: die Erde, das Wasser, den Wald, das Leben.
Die Stimme der Guaraní-Kaiowá
„Wir akzeptieren es nicht mehr, dass man uns in unserem eigenen Land wie Eindringlinge behandelt“, teilte die indigene Organisation Aty Guasu in einer Erklärung mit.
Das ist ein Satz, der jeden Politiker, der sich als Verfechter der Menschenrechte sieht, erschüttern sollte. Aber das tut er nicht. Denn für die Machthabenden sind die Ureinwohner:innen immer noch unsichtbar, unbequem, entbehrlich. Ihr Leid stört keine Konferenzen. Es hat keine Genderthemen. Es verändert nichts an der diplomatischen Agenda.
Die internationale Verantwortung
Was in Pyelito Kue passiert ist, ist kein lokales Verbrechen. Es ist ein globales Versagen. Indigene Völker sind die besten Beschützer des Waldes: Es ist erwiesen, dass die von ihnen verwalteten Gebiete die niedrigsten Entwaldungsraten aufweisen. Trotzdem werden ihnen ihre Stimme, ihr Land und ihr Leben verweigert. In vielen anderen Ländern ist das Schicksal der Ureinwohnenden das gleiche: Verachtung und langsamer Völkermord: ihr Land wird ihnen weggenommen, der Zugang zu Trinkwasser und Gesundheitsversorgung wird ihnen verwehrt und sie werden in schlechten Schulen unterrichtet, damit ihre Kultur und Sprachen untergehen.
Der Tod von Vicente Fernandes Vilhalva ist ein trauriges Symbol für:
- die Heuchelei beim Thema Klima,
- die Korruption in der Politik,
- die Gleichgültigkeit der Medien,
- die historische Straffreiheit,
- die im Stich gelassenen indigenen Völker.
Die Guaraní-Kaiowá werden weiter für ihr Tekoha Guasu, ihr angestammtes Territorium, kämpfen.
Sie werden das unbewaffnet, ungeschützt und kriminalisiert tun. Aber sie werden es tun. Und wir, die wir an die Gerechtigkeit, die Würde und das Leben glauben, müssen das Schweigen durchbrechen, das zur Mittäterschaft geworden ist. Denn während die COP30 diplomatische Fortschritte feiert, trauert ein ganzes Volk. Und während die Welt applaudiert, verschwindet ein weiteres Verbrechen im Rachen der Menschheit, ohne dass jemand erkennt, wie wichtig jeder indigene Anführer war, der ermordet wurde.
Die Übersetzung aus dem Italienischen wurde von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!









