EU unternimmt Vorstöße zur Begrenzung der Marktmacht der großen US-Internetkonzerne in Europa.

Die EU beginnt langjährige Drohungen wahrzumachen und unternimmt konkrete Vorstöße zur Begrenzung der Marktmacht der großen US-Internetkonzerne in Europa. So hat die EU-Kommission ein Wettbewerbsverfahren gegen den Onlinehändler Amazon eingeleitet, dem der Missbrauch seiner Marktmacht vorgeworfen wird. Praktiken des Konzerns sollen im Rahmen des derzeit in Brüssel ausgearbeiteten Digitale-Dienste-Gesetzes explizit untersagt werden. Darüber hinaus soll ein Gesetz zur Datenkontrolle, wie EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton erklärt, Europa zum „Datenkontinent Nummer eins“ machen sowie den US-Konzernen den europäischen Datenstrom und damit einen wesentlichen Teil ihrer Geschäftsgrundlage in Europa entziehen. In Berlin wird die Hoffnung laut, man könne womöglich mit dem künftigen US-Präsidenten Joe Biden zu einer einvernehmlichen Lösung kommen, da Washington ebenfalls gegen die Marktdominanz der Internetgiganten vorgehen wolle. Unterdessen prescht Frankreich mit einer Digitalsteuer vor, die vor allem US-Konzerne trifft.

„Self-Preferencing“ im Visier

Begleitet von Lobbyismusvorwürfen geht die Europäische Union daran, ihre langjährigen Drohungen wahrzumachen und die Marktmacht US-amerikanischer Internetkonzerne in Europa zu begrenzen. Mitte November leitete die EU-Kommission ein Wettbewerbsverfahren gegen den Internetkonzern Amazon ein, dem unfaire Praktiken auf seinem digitalen Marktplatz vorgeworfen werden. Amazon soll laut EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager seine beherrschende Marktposition missbraucht haben, um sich Vorteile gegenüber Mitbewerbern zu sichern. Konkret wird dem US-Internetgiganten vorgeworfen, die Verkäufe von Händlern auf dem Amazon-Marktplatz systematisch ausgewertet zu haben, um anschließend die eigenen Produkte taktisch besser platzieren zu können. Diese Praxis digitaler Plattformanbieter wird in der Branche als „Self-Preferencing“ bezeichnet. Die EU-Kommission sieht nun den schon vor längerer Zeit geäußerten Verdacht auf Marktverzerrungen durch Self-Preferencing bei Amazon bestätigt. Der Konzern werte die Umsätze von über 800.000 Verkäufern mit rund einer Milliarde Produkten aus, um „automatisiert den Preis eigener Produkte anzupassen und neue Produkte auf den Markt zu bringen“, heißt es.[1]

„Gewisse Regeln“

Die EU-Kommission hat nun kürzlich dem Amazon-Management eine Aufforderung geschickt, diese Praxis unverzüglich einzustellen. Ihr weiteres Vorgehen gegen den Internetriesen, der von dem einflussreichen US-Oligarchen Jeff Bezos geführt wird, ist in zwei Verfahren aufgesplittet worden: Neben dem Verfahren wegen mutmaßlichen Datenmissbrauchs nimmt die EU auch die Logistik des US-Konzerns ins Visier. „Gewisse Regeln“ des führenden Onlinehändlers bevorzugten diejenigen Verkäufer, die „Amazons konzerneigene Lieferinfrastruktur verwendeten“, heißt es unter Verweis auf Vorwürfe von EU-Wettbewerbskommissarin Vestager.[2] Die nun eingeleiteten Ermittlungen gegen Amazon folgen Ermittlungen in Deutschland und in Österreich, bei denen belastendes Material gesammelt wurde – auch wenn ein Verfahren des Bundeskartellamts gegen den Internetkonzern nach der Änderung beanstandeter Vertragsklauseln im vergangenen Jahr eingestellt wurde. Daneben bemängelt Brüssel weitere Amazon-Geschäftspraktiken, etwa die Datennutzung der Konzerntochter Ring sowie die weit verbreitete Praxis einer strikten Überwachung von Beschäftigten in Amazon-Lagerhäusern. Die Praxis des Self-Preferencing wird nun zudem in eine „schwarze Liste“ verbotener Geschäftspraktiken aufgenommen, die Teil des derzeit in Brüssel ausgearbeiteten Digitale-Dienste-Gesetzes werden soll. Das Vorgehen der EU gegen Amazon sei, heißt es, lediglich ein „Puzzleteil im Kampf der EU gegen die großen US-Internetkonzerne.

Der Lobbyriese Google

In diesem Zusammenhang wird inzwischen zunehmend Kritik an der Lobbytätigkeit der Internetriesen in Brüssel laut. So ist insbesondere Google bemüht, auf EU-Gesetzesvorhaben wie insbesondere das Digitale-Dienste-Gesetz Einfluss zu nehmen. Brüssel wolle mit dem Gesetz, das in Wirklichkeit der marginalisierten Digitalwirtschaft Deutschlands und anderer EU-Staaten Marktanteile verschaffen soll, „mehr Transparenz, mehr Wettbewerb, mehr Vielfalt“ schaffen, heißt es, was den dominanten US-IT-Konzernen „natürlich nicht passt“.[3] Insbesondere Google sei dabei bemüht, im Hintergrund eine „gewaltige Kampagne“ zu führen, um das Gesetzesvorhaben „möglichst zu verwässern“, heißt es unter Verweis auf Recherchen der Nichtregierungsorganisation LobbyControl. Mit direkten Aufwendungen von „fünfeinhalb bis sechs Millionen Euro“ investiere der Suchmaschinenbetreiber derzeit mehr Kapital in die Brüsseler Politmaschine als „alle andere Unternehmen“, berichtet LobbyControl; überdies verfüge Google über ein breites Netzwerk an Personen und Think-Tanks in Brüssel, das kaum überschaubar sei. Viele Denkfabriken mit oftmals nicht offengelegten Verbindungen zu IT-Konzernen wirkten zwar unabhängig, seien es aber nicht, moniert die Organisation: „Google hat also auch ein Transparenzproblem bei seiner Lobbyarbeit“.

Frankreich geht voran

Unterdessen haben Frankreichs Behörden Berichten zufolge Ende November begonnen, im Rahmen einer neuen Digitalsteuer US-amerikanischen IT-Konzernen erste Steuerbescheide zuzustellen. In Wirtschaftsmedien heißt es dazu, die EU gehe zu einem „Angriff auf die Vormacht des Silicon Valley“ über.[4] Dies geschehe ungeachtet der Verhandlungsblockade um eine international abgestimmte Digitalsteuer und ungeachtet etwaiger Strafzölle, die die Washington angedroht habe. Tatsächlich hatte der scheidende US-Präsident Donald Trump in Reaktion auf Frankreichs Digitalsteuerpläne Strafzölle auf französische Produkte wie Kosmetika und Handtaschen angekündigt, die Waren im Wert von rund 1,3 Milliarden US-Dollar umfassen sollten; die Maßnahmen waren wegen laufender Verhandlungen im Rahmen der OECD allerdings vorläufig ausgesetzt worden. Da die OECD-Gespräche bislang jedoch keine konkreten Ergebnisse gezeitigt haben, hat Frankreich nun – während der konfliktbehafteten Amtsübergabe im Weißen Haus – die Digitalsteuer eingeführt. Paris erhebt eine Umsatzsteuer von drei Prozent auf Onlinewerbung, die rund 30 Unternehmen betrifft, bei denen ein globales Umsatzvolumen von mindestens 750 Millionen Euro mit einem Umsatz von mindestens 25 Millionen in Frankreich zusammenfällt. Die Steuer trifft fast ausschließlich US-Konzerne.

„Frontalangriff auf die großen vier“

Ende November hat die EU-Kommission nun den nächsten Angriff auf die Dominanz der US-IT-Riesen gestartet – mit dem Entwurf für ein Gesetz zur Datenkontrolle („Data Governance Act“), den Vestager und EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton in Brüssel vorgelegt haben. Laut Breton zielt das Gesetz ausdrücklich darauf ab, in Wechselwirkung mit einer geschickten Investitionsstrategie Europa zum „weltweiten Datenkontinent Nummer eins“ zu machen. Man wolle vor allem sicherstellen, dass der europäische „Datenstrom nicht über US-Konzerne wie Amazon, Google oder Facebook“ fließe, sondern über „unabhängige Datentreuhänder“, die ihren Sitz in der EU haben müssten, heißt es.[5] Diese von der EU kreierten Institutionen sollen die Daten nicht kommerziell nutzen, sondern lediglich als „Vermittler“ beim Datentausch zwischen den „Datenproduzenten und den Datennutzern“ auftreten. Dadurch würde – unter dem Deckmantel des Datenschutzes – den bislang dominanten US-Internetkonzernen ihre wichtigste Geschäftsgrundlage in der EU entzogen. Darüber hinaus will Brüssel sogenannten Gatekeepern – faktisch den führenden US-Internetkonzernen – verbieten, auf ihren Plattformen ihre eigenen Angebote zu bevorzugen und sich an Daten von Mitbewerbern zu bereichern.[6] Google dürfte dann nicht mehr ohne Weiteres auf YouTube oder auf Google Maps verlinken; Apple müsste die Umgehung seines Bezahlsystems in seinem Online-Shop durch EU-Konkurrenten zulassen. Dies sei, heißt es unter Verweis auf Amazon, Google, Facebook und Apple, „ein Frontalangriff auf die großen vier, ein tiefer Eingriff in ihre Geschäftsmodelle“.

[1], [2] Alexander Fanta: EU-Kommission prüft Amazons Datenmacht. netzpolitik.org 11.11.2020. S. auch Im Kampf gegen die US-Internetmonopole.

[3] Stephan Ueberbach: Hat Google den Bogen überspannt? tagesschau.de 29.11.2020.

[4] Frankreich schickt Amazon, Google und Facebook Bescheide über neue Digitalsteuer. manager-magazin.de 25.11.2020. S. auch Streit um die Digitalsteuer.

[5] EU will zum weltweiten Datenkontinent Nummer eins werden. wiwo.de 25.11.2020.

[6] Georg Blume, Ann-Kathrin Nezik: Google, Amazon, Facebook und Apple beherrschen das Internet. zeit.de 02.12.2020.

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