Die ständige Liveübertragung von Bildern extremer Gewalt, von den Bombardierungen und dem grausamen Völkermord in Gaza hat tiefe Spuren in der kollektiven Psyche der Welt hinterlassen. Mitten im 21. Jahrhundert, wo Infos über soziale Netzwerke und Medien sofort überall ankommen, treffen diese Gräuel nicht nur ganz direkt die Betroffenen, sondern erschüttern auch Millionen von Menschen auf der ganzen Welt. Diese Menschen, voller Mitgefühl und Engagement, haben ihre Wut in ununterbrochenen weltweiten Aktivismus verwandelt. Jede Woche demonstrieren Hunderttausende für Gaza und fluten die sozialen Netzwerke mit erschütternden Bildern von unterernährten Kindern, von Frauen, Männern und von Familien, die in Rauch und Trümmern untergehen. Dieser Artikel analysiert die tiefgreifenden psychischen und emotionalen Auswirkungen dieser Gewalt auf das globale Bewusstsein und schlägt Instrumente für die kollektive Selbstfürsorge vor, die unerlässlich sind, um den Aktivismus ohne Minderung des Schmerzes und der Verantwortung aufrechtzuerhalten.
Der Horror in Gaza und die weltweite Resonanz
Gaza erlebt gerade einen Völkermord, der in seiner Brutalität und seinem Ausmaß mit einigen der schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte vergleichbar ist. Um das Ausmaß zu begreifen, müssen wir an eine unumgängliche Parallele denken: den Holocaust. Seit Jahrzehnten trauert und denkt die Weltgemeinschaft über diese Verbrechen nach, vor allem dank der Erzählungen, die nach den Nürnberger Prozessen bekannt wurden, und die das Grauen im kollektiven Bewusstsein festgeschrieben haben. Über Generationen hinweg haben unzählige Filme, Bücher und Dokumentationen dazu beigetragen, die Erinnerung und das Mitgefühl für die Opfer wach zu halten. Angesichts dieser Berichte kann niemand umhin, tief bewegt zu sein. So geht es mir persönlich mit „Sophies Entscheidung“ und der großartigen Darstellung von Meryl Streep, die ich mir unmöglich ein zweites Mal ansehen kann, vor allem nicht, seit ich selbst Mutter bin.
Jetzt stellt euch mal die Auswirkungen vor, wenn seit über einem Jahr ohne Pause ein live übertragener Völkermord miterlebt wird, während die Welt nicht müde wird, zu demonstrieren: Hunderttausende Menschen jede Woche, Kundgebungen, Mahnwachen und leidenschaftliche Solidaritätsbekundungen mit dem palästinensischen Volk und eine wachsende Ablehnung dieser von Israel begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dieser massive Aktivismus ist der sichtbare Ausdruck einer Welt, die das Grauen nicht vergessen oder normalisieren will. Aber diese andauernde Auseinandersetzung damit hat ihren Preis bezogen auf das emotionale und psychische Wohlbefinden von Millionen von Menschen.
Die psychische und emotionale Auswirkung auf das globale Bewusstsein
Der ständige Strom von schlimmen Bildern und Berichten über das Leiden anderer führt zu einem Phänomen, das schon von Psychologen und Spezialisten für kollektive Traumata beschrieben wurde. Kaitlin Luna warnt, dass die ständige Überflutung zu einem Zustand chronischer Angst und emotionaler Erschöpfung führen kann, der als „Mitgefühlsmüdigkeit” bekannt ist, bei der intensiven Empathie kontraproduktiv werden kann.
Eine Studie im Journal of Trauma & Dissociation zeigt, dass die ständige Konfrontation mit traumatischen Ereignissen durch die Medien bei Menschen, die nicht direkt beteiligt sind, ähnliche Symptome wie eine posttraumatische Belastungsstörung auslösen kann.
Bei all denjenigen hingegen, die sich aktiv als Zeuginnen und Aktivisten für Gerechtigkeit in Gaza engagieren, kann dasselbe zu Angst, Depressionen oder einem zunehmenden Gefühl von Hilflosigkeit führen. Das ist eine komplexe Herausforderung, weil die Kraft des Aktivismus ja genau aus dieser intensiven Empathie kommt; doch wenn sich nicht achtsam darum gekümmert wird, kann sie überwältigen und lähmend wirken – das palästinensische Volk braucht uns alle aber heute aktiv und mobilisiert.
Selbstfürsorge als ein politischer und menschlicher Akt
Angesichts dieser Situation wird Selbstfürsorge zu einer strategischen und ethischen Notwendigkeit. Professor Richard Lazarus weist darauf hin, dass Aktivist:innen bewusst Methoden entwickeln müssen, um ihre psychische Gesundheit zu erhalten, wenn ihr Aktivismus effektiv und dauerhaft sein soll. Grenzen festlegen für den Konsum digitaler Informationen und für sich selbst Freiräume schaffen durch Meditation, Bewegung oder Kontakt mit der Natur sind wichtige Schritte. Geh im Park spazieren. Atme frische Luft.
Judith Herman betont in „Trauma and Recovery“, dass soziales Handeln das aus Heilung erwächst eine starke Möglichkeit ist, die kollektive Kraft zu bewahren. Der Aufbau von unterstützenden Gemeinschaften mit sicheren Räumen, in denen Emotionen, Empörung und Hoffnung geteilt werden können, ist eine Möglichkeit, Widerstand zu leisten, ohne vom Schmerz aufgezehrt zu werden. Es ist wichtig, offen zu reden, uns unsere Gefühle zu zeigen und uns gegenseitig zu unterstützen, ohne dabei „aufzuhören, über Gaza zu reden“.
Wie Bonnie B. Field sagt, ist es wichtig, unseren Schmerz bewusst anzuerkennen, auszudrücken und zu verarbeiten, um Leid in Kraft zu verwandeln und emotionalen Schaden nicht weiter zu verstärken.
Emotionale Management-Tools, um den Kampf durchzuhalten
Aktivismus rund um Gaza braucht nicht nur Engagement, sondern auch mentale und emotionale Ausgeglichenheit. Hier sind ein paar bewährte Methoden, um dein Wohlbefinden zu schützen, während du dich engagierst:
- Achtsamkeit und Meditation: Als innere Zufluchtsorte helfen sie dabei, mit Ängsten umzugehen, ohne die Ursache zu ignorieren. In Gaza hilft dies den Leuten, die jeden Tag mit schwierigen Bildern konfrontiert werden, eine mitfühlende Verbindung zu sich selbst und zu den Opfern aufrechtzuerhalten.
- Künstlerischer Ausdruck: Kunst ist ein Weg, um Schmerz in Kommunikation umzuwandeln. Wandmalereien, Musik oder Gedichte über Gaza setzen nicht nur unterdrückte Gefühle frei, sondern stärken auch die Solidarität und das Gemeinschaftsgefühl.
- Unterstützende Gemeinschaften: Aktive Solidarität in Gruppen ist ein Ort, um Erfahrungen auszutauschen, Zugehörigkeit zu spüren und die emotionale Last des Kampfes zu lindern. Solche Gemeinschaften sind ein wirksames Mittel gegen diese Mitgefühlsmüdigkeit.
- Gesunde Grenzen: Zu lernen, „Nein“ zu sagen und sich Zeit zum Abschalten zu nehmen, hilft dabei, Energie für den Kampf zu bewahren, ohne emotional auszubrennen.
- Mitgefühl mit sich selbst: Sich selbst inmitten des persönlichen Leidens mit Freundlichkeit und Verständnis zu begegnen, stärkt die Widerstandsfähigkeit und ermöglicht es, ohne destruktive Selbstvorwürfe weiterzumachen.
Der Aufruf, die Erinnerung und das Handeln aufrechtzuerhalten
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Geschichte der Menschheit hat gezeigt, dass, – wie im Fall des Holocaust –, nur durch Anerkennung und Erinnerung Empathie aufrechterhalten werden kann, um eine Wiederholung dieses Grauens zu verhindern. Heute verlangt Gaza dieselbe aktive Erinnerung, jedoch verstärkt durch die Herausforderung, dass diese Tragödie in Echtzeit erlebt wird. Die ununterbrochene globale Mobilisierung ist ein mutiger und notwendiger Akt, aber auch eine immense emotionale und spirituelle Herausforderung.
Die psychischen und emotionalen Auswirkungen des Völkermords in Gaza zeigen uns, dass wir lernen müssen, auf uns selbst aufzupassen, um durchzuhalten, und unsere Kraft zu bewahren, um weiterhin eine Stimme für die Gerechtigkeit zu sein. Dieser Kampf, der wehtut, aber auch Hoffnung gibt, erfordert, dass wir ein Gleichgewicht finden zwischen dem Mitgefühl für den Schmerz anderer und dem Schutz unserer selbst vor Schaden. Auf uns selbst aufzupassen ist eine Form des Kampfes.
Nur wenn wir dieses Gleichgewicht halten, können wir inmitten der Widrigkeiten Leuchttürme der Hoffnung sein, unser Engagement für Gaza aufrechterhalten und verhindern, dass die globale Müdigkeit die Wahrheit und die Erinnerung zum Schweigen bringt. So wird die Welt nicht nur den Schrecken sehen, sondern auch Gerechtigkeit, Mitgefühl und Solidarität mit der Kraft begrüßen, die diese herzzerreißende Gegenwart uns abverlangt.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!









