Die Hoffnung ist typisch für den Menschen, der, wie Edmund Husserl sagt, ein Wesen ist, das seine Zukunft plant, weil er vom Wunsch nach einem glücklicheren Leben getrieben wird, das ihn von persönlichem und gesellschaftlichem Determinismus befreit. Deshalb suchen Menschen mit ihrem Verstand und ihrer Vorstellungskraft nach Wegen, um dorthin zu gelangen, in die Zukunft.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat den 12. Juli zum Internationalen Tag der Hoffnung erklärt – einem Tag, an dem die Hoffnung als Leitprinzip für Einzelpersonen, Gemeinschaften und Nationen gefeiert und gefördert wird.

Diese Resolution stützt sich auf die bleibenden Werte der Charta der Vereinten Nationen und baut auf früheren Initiativen der Vereinten Nationen auf, – wie dem Internationalen Tag des Gewissens –, indem sie die wesentliche Rolle hervorhebt, die Hoffnung für die Förderung von Wohlbefinden, gegenseitigem Respekt, sozialer Stabilität und nachhaltiger Entwicklung spielt.

Im Endeffekt erinnert dieser Tag daran, dass Hoffnung auch in schwierigen Zeiten eine transformative Kraft bleibt.

Mythen und Geschichten, die Hoffnung machen, gibt es in vielen Kulturen und Zivilisationen. Diese Geschichten erzählen, wie der Mensch trotz aller Widrigkeiten gewinnt, und bestärken uns im Glauben, dass Hoffnung zu Veränderung und Erneuerung führen kann. Der griechische Mythos von Prometheus ist so eine Transformationsgeschichte, in der jemand trotz aller Widrigkeiten die Zukunft erschließt und so der Menschheit den Fortschritt bringt.

Wir Menschen brauchen Geschichten, die uns Hoffnung geben. Es gibt immer weniger Geschichten, die uns aus dem Alltag herausholen und unserem Leben einen Sinn geben. Das haben schon verschiedene namhafte Beobachter wie Victor Frankl, Carl Jung und der Mythologe Joseph Campbell angemerkt.

Victor Frankl, ein österreichischer Neurologe, Psychologe, Philosoph und Holocaust-Überlebender, sagt, dass die immer schlimmer werdenden Probleme in unserer Gesellschaft – wie Drogen, Missbrauch, Misstrauen, soziale Isolation und Gewalt – nicht verstanden werden können, ohne dass die existenzielle Leere erkannt wird, die dahintersteckt. Campbells Schriften erinnern uns daran, dass gemeinsame Mythen uns verbinden, uns Hoffnung geben und unsere Teilnahme an der Gesellschaft fördern, aber er zeigt uns auch, wie sehr die uns verbindende Mythologie zerfallen ist. Campbell zufolge beleben mythologische Symbole Lebenszentren, die für Vernunft und Zwang unzugänglich sind, und die Funktion der Mythologie besteht darin, das Wachbewusstsein mit dem „mysterium tremendum et fascinans“, dem „schrecklichen und faszinierenden Geheimnis“ dieses Universums, so wie es ist, in Einklang zu bringen (1).

Heute hat das Fehlen von Sinnhaftigkeit in der Gesellschaft bei den Menschen den Wunsch geweckt, sich wieder mit einem funktionierenden sozialen Gefüge und mit Mythen und Geschichten der Hoffnung zu verbinden. Wir sind umgeben von Computern, virtuellen Realitäten und all den Wundern der KI, aber als Menschen suchen wir mehr denn je nach kulturellen Ressourcen und Geschichten der Hoffnung, die uns leiten und uns helfen könnten, die atemberaubenden Veränderungen in unserem täglichen Leben zu verstehen.

Wie Jane Yolen vor Jahren sagte, ist das Geschichtenerzählen, die älteste Kunstform, mehr als nur Unterhaltung. Es spielt eine wichtige Rolle dabei, die Stränge des gemeinsamen kulturellen Gefüges miteinander zu verweben. (2)

Wir brauchen Geschichten der Hoffnung, die uns helfen, die Ereignisse der heutigen Welt, die immer schneller um uns und in uns herumwirbeln, zu verarbeiten. Wir brauchen Geschichten der Hoffnung, die Lösungen für die Zukunft aufzeigen

Hoffnung ist eine transformative Kraft, und in vielen Märchen und Geschichten stärkt die Hauptfigur ihre tiefsten Hoffnungen durch die Abkehr von denjenigen falschen Hoffnungen, die ihr Versagen und Leid gebracht haben.

Im Laufe der Geschichte haben einige Schriftsteller verstanden, wie wichtig es ist, falsche Hoffnungen loszulassen, um vorwärtszugehen und in die Zukunft zu gelangen.

An erster Stelle steht Dante in seiner Göttlichen Komödie:

  • Abandon all hope, all you who enter here (Lasset alle Hoffnung fahren, ihr, die ihr hier eintretet) – Dante, April 1300
  • All hope abandon, ye who enter here – Henry Francis Cary (1805–1814).
  • All hope abandon, ye who enter in! – Henry Wadsworth Longfellow (1882)
  • Leave every hope, ye who enter! – Charles Eliot Norton (1891)
  • Leave all hope, ye that enter – Carlyle-Okey-Wicksteed (1932)
  • Lay down all hope, you that go in by me – Dorothy L. Sayers (1949) A
  • Abandon all hope, ye who enter here – John Ciardi (1954)
  • Abandon every hope, you who enter. – Charles S. Singleton (1970)

In der Geschichte „Falsche Hoffnungen“ aus dem Buch „Geleitete Erfahrungen“ (3) schlägt der Autor Silo eine psychologische Übung in literarischer Form vor. Am Anfang der Geschichte kommt der Leser zu der berühmten Tür, wo Virgil auf Geheiß von Beatrice (der Muse des Dichters) mit Dante die Reise durch die Hölle beginnt.

Durch mich gelangt ihr in die Stadt der Trauer; durch mich gelangt ihr zu ewigem Schmerz; durch mich gelangt ihr unter die Verlorenen. Gerechtigkeit begründete meinen Bau; mich zu errichten war die Aufgabe göttlicher Macht, höchster Weisheit und ursprünglicher Liebe. Vor mir gab es nichts Geschaffenes, außer dem Ewigen, und ich bin ewig. Alle Hoffnung verlasset, Ihr die ihr hier eintretet.

Sobald die Lesenden den Eingang passiert haben, treffen sie auf einen Arzt, der ihnen erklärt:

“Ohne Hoffnungen können wir nicht leben; aber wenn wir wissen, dass diese Hoffnungen falsch sind, können wir sie nicht über unbestimmte Zeit aufrechterhalten, so dass früher oder später alles scheitern wird. Wenn sie tiefer in Ihr Inneres hinabsteigen und zu den Hoffnungen vorstoßen könnten, von denen Sie wissen, dass sie sich nie erfüllen werden, und wenn Sie sich außerdem die Arbeit machen würden, sie für immer hier zu lassen, dann würden Sie an Sinn für die Wirklichkeit gewinnen. Folglich wollen wir uns nochmals an die Arbeit machen: suchen Sie die tiefstliegenden Hoffnungen, die sich nach Ihrem Gefühl niemals erfüllen werden. Geben Sie acht, dass Sie sich nicht täuschen! Es gibt Sachen, die Ihnen als möglich erscheinen; um diese geht es nicht. Nehmen sie nur jene, die sich nicht erfüllen werden. Los, suchen Sie sie mit aller Aufrichtigkeit, auch wenn das für Sie ein wenig schmerzlich ist”.

“Wenn Sie diesen Raum verlassen, nehmen Sie sich vor, sie für immer hier zu lassen”.

Wenn wir unsere falschen Hoffnungen loslassen, werden vielleicht unsere tiefsten Hoffnungen und Vorstellungen (4) gestärkt und erneuert.

Vielleicht haben wir dann freie Energie, um aktiv zu werden und unser Leben und die Welt zu verändern.
Verwirf Ängste und Entmutigung.

Verwirf den Wunsch, in niedrige und dunkle Regionen zu fliehen.

Verwirf die Anhaftung an Erinnerungen.

Bleibe in einem Zustand innerer Freiheit, gleichgültig gegenüber der Illusion der Landschaft und entschlossen zum Aufstieg (Botschaft von Silo, siloNet, 2025).

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


Quelle:

(1) Wikipedia, Biographie von Joseph Campbell

(2) Geleitete Erfahrungen, SiloAusgabe Dezember 1990, Zürich/München.

(3) Die Geschichten in dem Buch „Geleitete Erfahrungen“ sind angeleitete Erlebnisreisen. Silo ermutigt das lesende und hörende Publikum, jede Geschichte zu vervollständigen, indem es sich Elemente aus seinem eigenen Leben vor dem geistigen Auge vorstellt. Mit ein wenig aktiver Fantasie erschafft der Leser eine Geschichte, die in einzigartiger Weise mit seiner eigenen Situation in Resonanz steht. Wie in einer virtuellen Realität wird die Leserin Teil der Geschichte, sowohl Autorin als auch Schauspielerin in der Szene, die sich auf der Bühne ihres Lebens abspielt. Die Erzählungen sind in der ersten Person geschrieben, im Text sind Sternchen gesetzt, die es ermöglichen, den Ablauf anzuhalten und sich die Bilder vorzustellen, die die passiven Lesenden in Schauspielende und Mitspielende verwandeln.

(4) Für Silo und den universellen Humanismus ist das Bild (die bildliche Vorstellung) eine aktive Form des Bewusstseins, sich (als Struktur) in-die-Welt zu setzen. Es kann auf den eigenen Körper und auf den In-der-Welt-Körper wirken, und zwar dank der Intentionalität, die über sich selbst hinaus gerichtet ist und nicht nur auf ein natürliches, reflexartiges und mechanisches Für-sich oder In-sich reagiert. Das Bild wirkt in einer zeitlich-räumlichen Struktur und innerhalb einer inneren „Räumlichkeit“, die wir eben „Vorstellungsraum“ nennen. Die verschiedenen und komplexen Funktionen, die das Bild erfüllt, hängen von der Lage ab, die es innerhalb dieser Räumlichkeit einnimmt. – aus „Silo Spricht“, S. 139