Nachdem die „héros et héroïnes à vélo“ (Helden und Heldinnen auf Fahrrädern) vom 3. bis 15. April 2025 die beeindruckende Leistung vollbracht hatten, mit dem Fahrrad quer durch Europa – von Novi Sad bis nach Straßburg – zu fahren, fanden sie unablässig neue Wege, um die Anliegen der serbischen Studentinnen und Studenten kraftvoll voranzubringen, für die sie seit über sechs Monaten unermüdlich sowohl in ihrem Land als auch darüber hinaus mobilisieren.

Auf ihre Unternehmung „Tura do Strazbura“ (Straßburg-Tour) folgte unmittelbar eine zweite Durchquerung des Kontinents … diesmal zu Fuß, in Richtung Brüssel. Diese Mobilisierung nahm die Form eines 1.950 Kilometer langen Ultramarathons an, der in nur 18 Tagen von einer entschlossenen Gruppe serbischer Student:innen und Aktivist:innen im Rahmen der außergewöhnlichen Reise „Trka do Brisela“ (Brüssel-Marathon) zurückgelegt wurde. Der Staffellauf begann in Novi Sad und führte die Teilnehmenden über mehr als 2.000 Kilometer durch acht Länder – Serbien, Kroatien, Slowenien, Österreich, Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Belgien – bis in die europäische Hauptstadt. Zur Kerngruppe von 21 Student:innen, die unter dem Namen „Trkači u Blokadi“ (Läufer in der Blockade) bekannt wurden, gesellten sich mehrere studentisch organisierte Teams, die wertvolle Unterstützung leisteten – darunter Physiotherapeut:innen, Fahrer:innen, Logistik- und Organisationskoordinator:innen, Kommunikationsverantwortliche und viele mehr.

Die serbische Studentenbewegung, die in den letzten sechs Monaten an Dynamik gewonnen hat, hat ihren Ursprung in den Nachwirkungen der Tragödie vom 1. November, als der Einsturz eines kürzlich renovierten Vordachs am Bahnhof von Novi Sad 16 Menschen das Leben kostete. Diese Tragödie löste eine kollektive Reaktion gegen die systemische Korruption in Serbien aus, und der Protest selbst wurde zu einem Weckruf für den gesamten Kontinent, wo ähnliche Probleme und ethische Dilemmas weiterhin die gesunde Entwicklung der Gesellschaften auf politischer, wirtschaftlicher, bildungspolitischer und kultureller Ebene behindern.

Helden und Heldinnen auf der Straße: mit dem Fahrrad oder zu Fuß, mit Gewissen und Entschlossenheit

Vereint unter einem gemeinsamen Transparent im Kampf gegen Korruption, hat sich die serbische Bewegung rund um den Mechanismus eines „Plenums“ organisiert – einer Struktur, die als tragende Säule eines Modells direkter und partizipativer Demokratie dient, das derzeit auf eine harte Probe gestellt wird. Die Bewegung lehnt jede Tendenz zu Personenkult, oberflächlichem Aktivismus oder ideologischer Vereinnahmung entschieden ab und hat sich bislang eine klare Unabhängigkeit bewahrt – sowohl gegenüber Debatten über den EU-Beitritt als auch in Bezug auf  nationale oder regionale Polemiken. Stattdessen konzentriert sie sich auf zentrale Fragen eines grundlegenden Systemwandels und auf den Kampf gegen Korruption, die als dringlich und von höchster Priorität dargestellt werden.

Diese regelrechte „Revolte auf der Straße“, die die Universitätsbesetzungen (im serbischen Protestkontext als „Blockade“ bekannt) zu einem Symbole des Widerstands gemacht hat, verbindet Mobilität und Kreativität, um eine beispiellose Beteiligung der Bevölkerung zu erzeugen. Seine Energie, seine partizipatorischen Prozesse, seine kontinuierliche Innovation und die unerschütterliche Entschlossenheit ihrer Protagonisten haben sie zu einer echten Massenbewegung gemacht. Die jungen Menschen sind die treibende Kraft, die auch die älteren Generationen dazu inspiriert, sich zu engagieren und zu versuchen, dem Ausbluten der Migranten in ganz Südosteuropa und insbesondere in Serbien entgegenzuwirken.

Eine aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt anhand aktueller Daten, dass Serbien unter den zwölf Ländern, die im Rahmen der Forschungsarbeiten untersucht wurden, die größte Kluft zwischen Bildung und Beschäftigung aufweist: Im Jahr 2024 arbeiten nur 20,7 % der jungen Menschen in ihrem Studien- und Fachbereich, während 83,2 % der befragten Bevölkerung im Vergleich zu den verfügbaren Beschäftigungsmöglichkeiten überqualifiziert sind.

Im Kern dieser Dynamik, von der Radexpedition nach Straßburg bis hin zum Marathon von Novi Sad, und mehr noch vom symbolischen Aufbruch der 21 Läuferinnen und Läufer aus den Heimatdörfern nach Brüssel, hat die serbische Diaspora eine entscheidende Rolle gespielt. Sie hat die Forderungen der Student:innen unterstützt und schnell ein beachtliches Basisnetzwerk von Familien mit Sitz in Brüssel aufgebaut, wie dies bereits in anderen europäischen Städten geschehen war. Von Österreich bis Frankreich, von Deutschland bis Ungarn, von den Niederlanden bis Slowenien haben diese diasporischen Gemeinschaften als echter transnationaler und generationenübergreifender Motor fungiert und dem Protest eine wahrhaft europäische Dimension verliehen. Sie zeigen, dass das Europa der Menschen vor dem politischen und institutionellen Europa steht und es sogar überdauern kann, wenn es den Herausforderungen unserer Zeit nicht gerecht wird.

In Belgien kamen die studentischen Marathonläufer am Sonntag, den 11. Mai, bei Sonnenuntergang in Lüttich an, und wurden dort mit Liedern, Transparenten, Worten der Unterstützung, freudigen Umarmungen, sowie mit Reden von Dragana Radanović vom Diaspora-Kollektiv «Palac Gore» und Sarah Schlitz, Parlamentsabgeordnete aus Lüttich für die Ecolo-Groen-Fraktion in der Abgeordnetenkammer, herzlich empfangen. Am nächsten Tag, nach 18 Tagen Laufen und Durchqueren von 7 Ländern, erreichten die Läufer endlich Brüssel. Kurz vor 20 Uhr trafen sie im Parc du Cinquantenaire ein und gingen im goldenen Abendlicht unter dem Triumphbogen hindurch, getragen von einem Geist der Einheit und einem starken Gefühl von Jugend, die neue Wege über Grenzen und Spaltungen hinweg beschreitet.

Die Marathonläufer liefen unter den Bögen des Cinquantenaire-Parks zur Melodie von „Bella Ciao„, der Hymne der italienischen Partisanen, die heute weltweit als antifaschistische Hymne der Freiheit und des Widerstands gesungen wird, und aufgeführt vom „Straßenpianisten“ Davide Martello. Dieser ist mittlerweile eine vertraute und unerschütterliche Präsenz an zeitgenössischen Orten des Protests, wo er mit seinem ramponierten Klavier Botschaften des Friedens und der harmonischen Solidarität sendet. Wie schon in anderen Städten, auch an den äußeren Rändern des Kontinents, ließ Martello ein Kind einen Moment lang spielen und machte dafür auf seinem Hocker Platz, kurz bevor die Läufer von der Begeisterung der Menge mitgerissen wurden. Von diesem Moment an brach die Feier in eine festliche Atmosphäre im Rhythmus von „Pumpaj“ aus, mit einem unverwechselbaren Pikachu-Hut, der von der jüngsten Marathonläuferin der Gruppe in „Trkachu“ (eine Art „Pikachu-Lauf“) umbenannt wurde, gefolgt von emotionalem Wiedersehen und endlosen Umarmungen mit ihren Lieben, die überraschend mit Blumen in der Hand gekommen waren. Schließlich fiel die Rückkehr in die Arme ihres Teams besonders bewegend aus.

Zu dem Zeitpunkt füllte sich der Schuman-Kreisverkehr schnell und war gefüllt von Freude, als sich das gesamte Support-Team, das sich diesen Moment seit Wochen vorgestellt hatte, in einem Crescendo von Vorfreude und Aufregung der erwartungsvollen Menge anschloss. Journalisten, lokale Gastgeber, Fahrer, Künstler, institutionelle Persönlichkeiten, Mitglieder der Diaspora und Familien versammelten sich, um der Ankunft beizuwohnen. Einige Teilnehmer begannen, die Menge abzusuchen und neugierig nach ihren potenziellen Gastgebern zu suchen, während ein robustes Hosting-Netzwerk, mit Hilfe teils völlig fremder, mit bemerkenswerter Effizienz und unglaublicher Geschwindigkeit organisiert wurde. Am Ende des Abends hatte jeder Student oder Studentin eine Gastfamilie in Brüssel oder Umgebung gefunden.

Unter denen, die kamen, um ihre Unterstützung zu bekunden, waren Mitglieder der regionalen Diaspora, nicht nur Serben, sondern auch Bürger aus Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Montenegro und anderen, die von den Protesten inspiriert waren und unbedingt die Student:innen kennenlernen wollten, die sie in den letzten Monaten aus der Ferne verfolgt hatten.

Durch ihren Lauf und die extreme körperliche Leistung haben die Student:innen eine Botschaft der Einheit und des Zusammenhalts kolportiert, und bauen diese auch weiter aus, die dem Glauben trotzt, nicht nur in der Vorstellung Grenzen zu überwinden, sondern dies praktisch auch zu tun. Eine Botschaft der Synergie und Liebe, die in den Worten von Maja, dem jüngsten Mitglied der Gruppe und der einzigen Sekundarschülerin unter den Student:innen, treffend eingefangen wurde, als sie das Band auf dem letzten Meter durchschnitt und sichtlich bewegt ausrief: „Danke, vielen Dank. Vielen Dank an meine Mitläufer… Wisst Ihr, wie stark Ihr seid, voller Energie, und wie viel Ihr mir bedeutet, wie sehr ich Euch liebe?

Das Programm verband Feierlichkeit mit Ernsthaftigkeit. Der Blokada-Chor sang symbolische Lieder der Bewegung. Bei einem plötzlichen Regenschauer wurde ein sechzehnminütiges Schweigen abgehalten. Mehrere politische Persönlichkeiten bekundeten ihre Solidarität durch ihre Präsenz während der Ankunft der Student:innen und durch Worte der Unterstützung, darunter die des Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Hojsík, gefolgt von Vula Tsetsi (Co-Vorsitzende der Europäischen Grünen Partei) und Kathleen Van Brempt (Vizepräsidentin der S&D Fraktion).

In diesem Zusammenhang ist die Ankunft in Brüssel nicht nur der Höhepunkt einer außergewöhnlichen körperlichen Anstrengung: sie markiert den Beginn einer neuen, unvorstellbaren Phase; eine Phase, in der es erneut Aufrufe für demokratische Rechenschaft und bürgerschaftliches Engagement gibt. Durch ihre Beharrlichkeit haben diese jungen Menschen die Aufmerksamkeit der europäischen Institutionen und der öffentlichen Meinung auf sich gezogen. Ihre Fußstapfen, mittlerweile verblasst unter dem Triumphbogen des Cinquantenaire, hinterlassen eine klare Botschaft: Serbiens Zukunft muss in Demokratie, Menschenrechten, Meinungsfreiheit und der souveränen Stimme seines Volkes verwurzelt sein.

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Ursula Nollenberger vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!