Bei dem vergangenen Gipfel zwischen der Europäischen Union und den Ländern Lateinamerikas kam es zu einem Streit bezüglich der Ukraine-Krise, weshalb das Treffen für die Europäer in einem diplomatischen Fiasko endete. Denn die Uneinigkeit der Seiten hinsichtlich einer gemeinsamen Erklärung in dieser Frage bedeutet einen Rückschlag für die EU, wenn es darum geht, Russland auf der internationalen Bühne zu verurteilen und zu isolieren.
Von Alexander Männer
Das erste große Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und der Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (Community of Latin American and Caribbean States, CELAC) seit acht Jahren sollte ein „Fest der Wiederaufnahme der Partnerschaft“ zwischen den Gemeinschaften werden, entwickelte sich für die Europäer jedoch zu einem diplomatischen Fiasko. Denn das zweitägige Treffen in Brüssel wurde von einem Streit über die Erklärung zum Ukraine-Krieg überschattet, die von einigen Ländern Lateinamerikas nicht mitgetragen wurde.
Wie das Magazin Politico berichtet, ist in der gemeinsamen Erklärung keine Verurteilung Russlands wegen der militärischen Sonderoperation aufgrund der Haltung Nicaraguas, Kubas und Venezuelas zustande gekommen. Demnach konnten sich die Seiten während mehrerer Verhandlungsrunden nie zu einer gegenseitig annehmbaren Lösung in dieser Frage durchringen. Die Gespräche gerieten nämlich schnell in eine Sackgasse, nachdem die EU-Vertreter versucht haben, die lateinamerikanischen Staaten davon zu überzeugen, Russland für seine Kampfhandlungen in der Ukraine zu verurteilen. Am Ende konnte lediglich gemeinsam festgestellt werden, dass der noch andauernde Krieg immenses menschliches Leid verursacht und so die realen Verwundbarkeiten der Weltwirtschaft noch verstärkt.
Die Erklärung war am Ende ein Rückschlag für den Westen. Denn die EU hatte sich zum Ziel gesetzt, mit der Erklärung des Gipfeltreffens eine gemeinsame Botschaft an den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu senden. Diesem sollte klar gemacht werden, dass er in der Weltgemeinschaft zunehmend „isoliert“ sei. Russland wird in der Abschlusserklärung jedoch nicht erwähnt. Darin äußert sich die Mehrheit der Gipfelteilnehmer tief besorgt über den Krieg. Sie betont, dass ein gerechter und nachhaltiger Frieden notwendig sei.
Abgesehen davon geht es Brüssel im Wesentlichen darum, mit China in der Region zu konkurrieren, nachdem dort der Handel mit der asiatischen Wirtschaftsmacht einen nie dagewesenen Aufschwung genommen hat. Daher wollte die EU unter anderem den Weg für ihr Projekt namens „Global Gateway“ ebnen und es der chinesischen „Seidenstraße“-Initiative für den Globalen Süden entgegensetzen. „Global Gateway Initiative“ ist der Gegenentwurf zur globalen Wirtschaftsförderung durch China im Rahmen der „Neuen Seidenstraße“, die die Volksrepublik auch auf Südamerika ausgeweitet hat.
In diesem Sinne wollen die europäischen Unternehmen, unterstützt von der EU-Kommission, in Südamerika investieren – etwa in Energieprojekte, in Infrastruktur und die Gewinnung von Rohstoffen. Die Rede ist von 45 Milliarden Euro, die in den nächsten vier Jahren fließen sollen. Damit will man in erster Linie China und Russland ausstechen, die sich ebenfalls bereits stark in Lateinamerika engagieren.
In diesem Zusammenhang hatte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, die Region zuvor besucht, um die festgefahrenen Beziehungen wiederherzustellen. Während der Reise bot von der Leyen Investitionen für die gesamte Region an, insbesondere bei dem Energieabkommen im Zusammenhang mit grünem Wasserstoff und Lithium.
Was die Kooperation beider Gemeinschaften angeht, so sind fast alle Teilnehmer des Gipfels hochzufrieden, wie die Tagesschau berichtet. Der amtierende CELAC-Vorsitzende Ralph Gonsalves sprach von einem historischen Treffen: „Die Beziehungen zwischen der CELAC und der Europäischen Union sind aufgrund dieser Vereinbarung heute stärker als gestern oder vorgestern.“
Auch der Bundeskanzler Olaf Scholz ist der Ansicht, dass die Beratungen insgesamt erfolgreich verliefen. Beide Seiten wollen enger zusammenarbeiten, um den Klimawandel zu bekämpfen, die Digitalisierung voranzubringen oder Rohstoffe zu gewinnen. Aber anders als früher soll ein Teil der Wertschöpfung vor Ort erfolgen.
„Oft ist ja nur alles aus der Erde geholt worden als extractivismo und dann irgendwo hin transportiert worden“, sagte Scholz. „Wir wollen erreichen, dass zumindest die erste Verarbeitungsstufe in den Ländern stattfindet, wo die Rohstoffe sich befinden, dass da Wohlstand mit generiert werden kann.“