«Wir sind ältere Frauen, die sich verpflichtet haben, unser Bestes zu tun, um eine nachhaltige Welt für die nächsten sieben Generationen zu unterstützen und zu erhalten. Aus unserer Sicht hat jeder die Weisheit, dies zu tun.» Ich besuchte ihr Treffen und erfuhr tatsächlich – Weisheit und Güte.

«Alle neun Monate kommen wir aus mehreren europäischen Ländern zusammen, um uns zu treffen, auszutauschen und die Fähigkeit zu stärken, mit dieser natürlichen Weisheit verbunden zu bleiben. Wir nennen uns Rat der Europäischen Grossmütter,» heisst es auf der Webseite.

Im April tagte der Rat eine Woche lang – davon zwei Tage gemeinsam mit etwa 30 Gästen, Frauen und auch einigen wenigen Männern in einem Tagungshaus ausserhalb von Madrid. Sie tauschten sich aus, feierten, lernten voneinander und zelebrierten Rituale. Diesmal ging es zum Thema Tod.

Doch zuvor: Warum Grossmütter? Das war eine der Fragen, mit denen ich anreiste. Warum sollen ältere Frauen besonders prädestiniert sein für Friedensbildung?

Eine Antwort gibt mir vorab die Geschichte: Kulturbildung, so heisst es in einer Geschichtstheorie, war nur möglich durch Frauen jenseits der Menopause: Nicht mehr im gebärfähigen Alter, nicht in der Pflicht zu jagen und anderen alltäglichen Sorgen zu folgen, hatten sie die nötige Musse, Erfahrung und Kraft, über den Tellerrand der ganz persönlichen und familiären Bedürfnisse hinaus für den ganzen Stamm Sorge zu tragen.

Ich war von der Schweizer Delegierten Elisabeth eingeladen worden, die durch einen «Zeitpunkt»-Artikel auf mich aufmerksam geworden war. In diesem Kreis älterer Frauen anzukommen, war eine sehr herzliche Erfahrung. Tatsächlich – wie beim Besuch bei der eigenen Grossmutter – wurde ich allseits geherzt und umarmt und immer wieder nach meinem Befinden gefragt.

Am ganzen Wochenende erlebe ich viel Grossmütterliches, von dem ich im Getriebe fast vergessen habe, dass es das gibt: Grosszügigkeit gegenüber eigenen Fehlern und denen anderer, visionäre Kraft und Pragmatismus, Spontaneität und Langsamkeit, Zuhören und viel herzliche Wärme. Vielleicht gibt es ja doch ein Alter, in dem man sich einfach nicht mehr so wichtig nimmt. Ich kann nur jedem geplagten Verantwortungsträger empfehlen, einmal einige Tage mit diesen Frauen zu verbringen.

Gleichzeitig war bald deutlich, wie viel unterschiedliche Expertisen und Persönlichkeiten hier zusammengekommen waren. Zum Beispiel Sabina Cesaroni: Die ehemals gefeierte Ballerina aus Italien hat Tanz zu einem spirituellen Werkzeug weiterentwickelt. Mit Würde und Eleganz inszeniert sie einen Tanz zum Tod – und bezieht altersbedingte Koordinationsschwächen humorvoll ein.

Oder Monika Abendroth: Die in Island lebende, 78-jährige Harfenistin (und Schwester der bekannten Matriarchatsforscherin Heide Göttner-Abendroth) leitet uns in ein Wasserritual am Bach unterhalb der Tagungsstätte. Alle Repräsentantinnen haben Wasser ihrer Heimatregionen mitgebracht und verbinden es symbolisch in einer Zeremonie – um das Element Wasser in dieser trockenen Zeit zu stärken. (Ist es Zufall, dass es in dieser Nacht zum ersten Mal seit vielen Monaten regnet?)

Oder Dr. Tina Lindhard, die Bewusstseinsforschung studierte. Sie wuchs in Südafrika auf, lebt jetzt in Spanien und verbindet Wissenschaft und Meditation. Als Spezialistin für Embryologie warnt sie eindringlich vor dem Transhumanismus als ein Akt gegen die Menschheit und speziell gegen die Kraft der Frauen, Leben zu gebären. Mütterlichkeit sei die Grundlage einer gesunden Kultur – und sie bringt eindrückliche Beispiele für die Spiritualität vor-patriarchaler Kulturen, in denen Fruchtbarkeit, Lebensnähe und weibliche Werte im Mittelpunkt stehen.

Am meisten beeindruckt hat mich Swami Nityamuktananda Saraswati, 78. Sie ist Angehörige eines spirituellen Ordens und Initiatorin des Rates. Einige Jahre hatte sie den bekannten Rat der «13 Indigenen Grossmütter» besucht. «Warum fehlen hier die Europäerinnen?» fragte sie sich. Schliesslich, im Jahr 2015, lud sie mögliche «Grossmütter» aus Europa ein – als gefragte Referentin kannte sie geeignete Frauen aus vielen Ländern. Bald kam der Rat zusammen und erhielt den Segen der 13 Indigenen Grossmütter.

Ihren bürgerlichem Namen hat Swami Nityamuktananda ebenso abgelegt wie Titel und Besitz. «Swami heisst Meister über sich selbst – davon gibt es bewusst keine weibliche Form», erklärt sie. «Denn in unserer Essenz haben wir kein Geschlecht.» Swamis pilgern, gehen dorthin, wo sie gebraucht werden, helfen. Ihr Ziel sei es, die Illusion der Trennung aufzuheben. Ihre Motivation drehe sich um das Wohl aller Wesen, nicht um die eigene Person.

«Es ist also zu hinterfragen, wenn wir sagen, wir hätten jetzt sooo gerne einen Cappuccino,» fügt sie augenzwinkernd hinzu. Später frage ich sie, wie das geht: das eigene Wohl hinter das Gemeinwohl zu stellen und gleichzeitig nicht zu hart zu sich zu werden.

«Deine Frage folgt einem klassischen Trennungsmuster», kommt ihre Antwort. «Es geht um das Wohl aller Wesen. Warum nimmst du dich da aus? Beziehe dich in das Wohl aller Wesen ein, dann hast du einen guten Massstab für dein Handeln.»

Sie berichtet von ihrer Initiation im Himalaya: «Wir zelebrierten dabei symbolisch unser eigenes Begräbnis. Das bedeutet erstens, dass wir unsere Familie formell von jeder Verantwortung für uns befreien. Aber es bedeutet darüber hinaus auch, dass wir uns bewusst werden, dass der Tod immer da ist. Er ist ein Teil des Lebens.»

Was stirbt, wenn jemand stirbt? Und warum haben wir manchmal das Gefühl, dass der Verstorbene uns manchmal wieder besucht, in Gedanken oder Träumen? Eine Teilnehmerin berichtet, wie ihr verstorbener Mann immer wieder bei ihr ist – nicht als Person, sondern in allem, was lebt.

Swami findet, das der Tod ein grosser Lehrer ist. Hilft er uns doch, die Illusion der Trennung zu überwinden: «Was stirbt? Nur die Form. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die Essenz lenken, dann werden wir feststellen, dass diese in anderer Form weitergeht. Natürlich ist dein Mann noch da – aber seine Form ist weg.»

Wir können das, fügt sie mit ihrem eigenen trockenen Humor hinzu, mit einer Flasche vergleichen: Interessiert uns die Form oder der Inhalt? Die Flasche mag zerbrechen, aber der Inhalt wird auf alles übergehen.

Ich habe in Spanien zwei Tage lang geballte Lebenserfahrung gepaart mit Herzlichkeit und Bescheidenheit erlebt – dazu ein tiefes Wissen in verschiedensten Menschheitsbereichen. Was aber bedeutet jetzt «Grossmütter für den Frieden»? Wo treten sie für den Frieden ein?

Swami Nityamuktananda: «Wir hatten von Anfang an zwei Richtungen angedacht: dass wir nach aussen gehen und uns zu Wort melden und Friedensaktionen machen. Oder dass wir in die Tiefe, nach innen gehen und schauen, was ist die Wurzel von Frieden. Beides ist wichtig, im Moment fokussieren wir uns mehr auf das Innen.»

Ich wünsche ihnen und uns, dass aus dieser Weisheitsquelle mehr nach aussen dringt und mehr Menschen inspiriert – und auch einmal dem ein oder anderen Politiker grossmütterlich den Kopf wäscht

Das nächste Treffen im Februar 2024 findet übrigens in der Schweiz statt.

Der Originalartikel kann hier besucht werden