Das Internet ist wie eine Flasche Wein. Mit ihm kann man seine Stimmung heben, selbstbewusster erscheinen, als man wirklich ist – und vielleicht Dinge tun, die man normalerweise nicht tun würde. Ein wesentlicher Unterschied: Wir lassen Kinder keinen Alkohol konsumieren. Das ist auch sinnvoll, denn Alkohol kann süchtig machen und wirkt auf Dauer depressiv. Außerdem kann sich Alkoholkonsum nachteilig auf die Entwicklung von Kindern auswirken. Warum wird dann Kindern ein so freier Umgang mit dem Internet gestattet, obwohl die negativen Auswirkungen der Abhängigkeit von sozialen Medien immer mehr erforscht werden?

Triggerwarnung // Sucht, Depression, Selbstmord

Der Einfluss der sozialen Medien auf die psychische Gesundheit

Letzte Woche diskutierten wir in einem interessanten Gespräch mit einem Doktoranden, der sich auf Cyber-Psychologie spezialisiert hat, über die psychischen und physischen Schäden der Social-Media-Sucht – von einem verminderten Selbstwertgefühl bis hin zum Verlust der Beweglichkeit der kleinen Finger.

Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 wird der übermäßige Konsum von sozialen Medien als Ursache für Depressionen, Schlafstörungen und Gedächtnisverlust angesehen.

Vor allem Mädchen im Teenageralter leiden unter einem verminderten Selbstwertgefühl, das auf die intensive Nutzung sozialer Medien zurückzuführen ist. Dies kann damit zusammenhängen, dass sie nicht so viele „Likes“ wie andere bekommen, eine verzerrte Wahrnehmung von Schönheitsstandards entwickeln und Angst haben, etwas zu verpassen (FOMO).

Um ihr geringes Selbstwertgefühl zu beruhigen, kehren sie auf der Suche nach Bestätigung in die sozialen Medien zurück.

Und der Kreislauf beginnt von neuem.

Da das Urteilszentrum des Gehirns erst mit Mitte zwanzig voll entwickelt ist, haben die sozialen Medien das Potenzial, die emotionale und geistige Entwicklung junger Menschen erheblich zu beeinträchtigen.

Hinzu kommt, dass die in letzter Zeit weit verbreiteten Kurzinhalte auf Apps wie TikTok dazu beitragen, dass die Aufmerksamkeitsspanne abnimmt. Dadurch wird es für Kinder schwieriger, sich im Unterricht zu konzentrieren, was unweigerlich zu schlechteren Noten führen wird.

Es ist also klar, dass die langfristigen Folgen der übermäßigen Nutzung sozialer Medien Kinder bei späteren Bewerbungen an der Universität oder im Beruf benachteiligen könnten.

Leider ist der Suchtfaktor der sozialen Medien nicht die einzige Möglichkeit, Kinder zu beeinflussen.

Der Einfluss der sozialen Medien auf gefährdete Personen

Der 12-jährige Engländer Archie Battersbee starb Anfang August 2022, nachdem er die „Blackout Challenge“ versucht hatte – eine virale Internet-Challenge, bei der die Teilnehmer den Atem anhalten oder sich selbst ersticken, bis sie ohnmächtig werden.

Erst vor einer Woche wurde ein 14-Jähriger aus Schottland tot in seinem Zimmer aufgefunden, nachdem er das Gleiche versucht hatte.

Dies ist nur eine von vielen ähnlichen riskanten Herausforderungen – und nur eine Form von gefährlichen Inhalten, die Kinder online beeinflussen.

In den sozialen Netzwerken wird alles aufgezeichnet, von den Videos, die jemand mag, bis hin zu der genauen Zeit, die er über einem Bild verbringt, bevor er weiterblättert.

Was auch immer sie lockt, wird weiter empfohlen. Wenn sich ein Kind also ein unangemessenes Video ansieht (und nicht unbedingt danach gesucht hat, da der neue „for you“-Algorithmus jetzt automatische Empfehlungen ausspricht), werden ihm automatisch zehn weitere empfohlen.

Wenn Kinder sehen, dass diese Art von Inhalten Aufmerksamkeit erregt, fangen sie an, selbst Inhalte dieser Art zu erstellen.

Wenn soziale Medien einen solchen Einfluss auf Kinder und Jugendliche haben, dass sie bereit sind, ihr Leben für Likes zu riskieren, muss sich etwas ändern.

Was ist also die Lösung?

Nun, es gibt nicht nur eine.

Erstens müssen die Kinder mit einem inneren Gefühl der Sicherheit erzogen werden. Ihnen muss beigebracht werden, dass sie für ihr Inneres geliebt und geschätzt werden und nicht für ihr Aussehen, ihr Geld oder ihre Beliebtheit.

Die Eltern müssen Selbstdisziplin vorleben, indem sie ihren eigenen Konsum von sozialen Medien und Technologien einschränken. Um auf die Wein-Metapher zurückzukommen: Ein Kind, das seinen Eltern jeden Abend dabei zusieht, wie sie eine oder zwei Flaschen Wein trinken, wird mit größerer Wahrscheinlichkeit selbst zum Alkoholiker werden.

Es würde den Kindern jedoch einen schlechten Dienst erweisen, wenn man sie völlig von der Technologie abschottet. Sie müssen lernen, sie zum Lernen, Arbeiten und für die Kommunikation zu nutzen.

Es bringt auch nichts, ein Kind so weit einzuschränken, dass die sozialen Medien zu einer Art „verbotener Frucht“ werden, wodurch die Gefahr eines größeren Missbrauchs besteht, wenn es sie schließlich nutzen darf.

Vielmehr muss ihnen beigebracht werden, wie sie die Medien innerhalb festgelegter Grenzen nutzen können. Diese Methode hat sich bereits im Rahmen der Sexualerziehung zur Verringerung von Teenagerschwangerschaften als äußerst erfolgreich erwiesen.

Am wirksamsten ist diese Methode, wenn sie in einem gemeinschaftlichen Kontext angewandt wird, um zu verhindern, dass sich Kinder von Gleichaltrigen ausgegrenzt fühlen.

Eine Reihe von Regeln, die von Eltern in einer Schule, einer Nachbarschaft oder einer Gemeinschaft aufgestellt wurden, werden nach einer Weile nicht mehr als Regeln angesehen.

Sie werden einfach Teil einer neuen Kultur sein: einer Kultur, in der Kinder sicher sein können, Kinder zu sein, ohne Leistungsdruck oder unrealistische Normen zu erfüllen, in der sie erforschen und lernen und kreativ sein können, ohne ständig übermäßig abgelenkt zu werden, und in der sie sich entfalten können, weil sie wissen, was wahre soziale Verbundenheit bedeutet.

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!