In diesem Jahr geht der mit 120.000 Euro dotierte Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis für herausragende Arbeiten auf dem Gebiet der Medizinischen Mikrobiologie/Immunologie an zwei US-amerikanische Forscher*innen, die an der Entschlüsselung der bakteriellen Kommunikation, des sogenannten „Quorum Sensing“, maßgeblich beteiligt waren. Ihre Forschung gibt Anlass zu der Hoffnung, diese Kommunikation stören und dadurch Infektionskrankheiten effektiver bekämpfen zu können.

Sind Antibiotika also bald schon überflüssig? Mit Sicherheit nicht. Allerdings könnten die Arbeiten von Bonnie L. Bassler und Michael R. Silverman dazu beitragen, die Verwendung von Antibiotika in Zukunft zu verringern, was in Anbetracht der weltweit wachsenden Resistenzproblematik schon einen beachtenswerten Fortschritt für die Medizin bedeutete.

In der Begründung für die Preisverleihung spricht man von einer „Achillesferse“ der Bakterien, lässt aber darüber hinaus die ganz grundsätzliche Erkenntnis nicht außer Acht, „dass kollektives Verhalten nicht nur die Regel unter vielzelligen Organismen ist, sondern auch unter Bakterien“. Von einem „fundamentalen Perspektivenwechsel“ ist die Rede. Was hat es also mit dem sogenannten Quorum Sensing auf sich?

Bakterien sind einfache Einzeller (Prokaryoten), die im Gegensatz zu „höheren“ Einzellern und Vielzellern (Eukaryoten) nicht einmal über einen Zellkern zum Schutz ihres Erbgutstranges aus Desoxyribonukleinsäure (DNA) verfügen. Dennoch leisten sie mehr als bloße Zellteilung und Stoffwechsel. Ihr Austausch mit der Umgebung beschränkt sich nicht auf die Aufnahme von Energie und Nährstoffen sowie die Ausscheidung bestimmter Endprodukte. Sie leben in ständiger Konkurrenz sowohl mit anderen Bakterien als auch mit eukaryotischen Systemen, die ihnen ihre Lebensgrundlage streitig machen, und haben diverse molekuare Waffen entwickelt, um dieser Bedrohung zu begegnen. Richten sich jene Waffen gegen die Gesundheit und das Leben zum Beispiel von uns Menschen, etwa, weil die bakterielle Lebensgrundlage tatsächlich sogar auf der Zerstörung menschlichen Gewebes beruht, nennen wir sie Virulenz- oder allgemeiner Pathogenitätsfaktoren. Solche Faktoren, die die bakterielle Adhäsion oder Invasion erleichtern, sowie bakterielle Toxine sind seit der Frühzeit der Mikrobiologie bekannt und bis heute Gegenstand intensiver Forschung.

Relativ neu ist aber, dass Bakterien sich untereinander auch verständigen, eigens zu diesem Zweck bestimmte Signalmoleküle entwickelt haben und diese nutzen, um sogenannte Biofilme zu bilden. Biofilme „sind mehr als die Summe ihrer Teile“ (Bassler), weisen wichtige Eigenschaften komplexer vielzelliger Organismen auf und erhöhen die Überlebensfähigkeit der Bakterienpopulation enorm – leider auch in vielen mikrobiell bedingten Krankheitsgeschehen.

Obwohl Biofilme entwicklungsgeschichtlich sehr alt sind (fossile Stromatolithen: ca. 3,2 Milliarden Jahre) und geschätzt wird, dass auch heute noch die große Mehrheit der Mikroorganismen in der Natur in Biofilmen existiert, bedurfte es erst eines Zwergtintenfisches, um der lange geheimen Kommunikation der Bakterien – und somit einem der wesentlichen Elemente bei der Entstehung von Biofilmen – auf die Spur zu kommen. Die Tintenfischart Euprymna scolopes jagt üblicherweise nachts in flachen Gewässern rund um die Inselgruppe Hawaii und benutzt das leuchtende Bakterium Aliivibrio fischeri als Symbionten, um seinen Fressfeinden nicht als „dunkler Fleck“ auf dem mondbeschienenen Meeresboden aufzufallen. Nachdem man in den 1970er Jahren bereits herausgefunden hatte, dass A. fischeri seine Biolumineszenz in Kultur über das Nährmedium weitergeben konnte, entdeckte Silverman im nächsten Jahrzehnt dann das erste Signalmolekül und  dessen genetische Grundlage. Zu Anfang der 1990er Jahre schließlich beschrieb Bassler weitere solcher Botenstoffe, was den Stiftungsrat der Paul-Ehrlich-Stiftung zu der Äußerung verleitete, dass „Bakterien nicht nur äußerst kommunikativ seien, sondern sogar mehrere Sprachen beherrschten“.

Doch wie genau funktioniert nun dieses unter Bakterien geradezu universell verbreitete Prinzip des Sendens und Empfangens? Zur Beantwortung dieser Frage empfiehlt sich zunächst ein Ausflug in die grundlegende Biochemie der Zelle. Bei der DNA, die in der Regel in jeder lebenden Zelle zu finden ist (bei Eukaryoten im Zellkern), handelt es sich um ein sehr langes, doppelsträngiges Biomolekül. Viren zum Beispiel können stattdessen auch eine einzelsträngige Ribonukleinsäure (RNA) besitzen. Im Normalzustand hat das DNA-Molekül die Form einer Doppelhelix, deren zwei Stränge über vier unterschiedliche, sich in unregelmäßiger Folge abwechselnde Brücken – Basen genannt – miteinander verbunden sind. Die schier endlose Abfolge dieser Basen im Molekül nennt man auch die DNA-Sequenz; sie ist der Code für die Erbinformation. Um diese auszulesen, wird die Doppelhelix zunächst teilweise aufgetrennt. Von der Sequenz werden sodann RNA-Kopien angefertigt (die sogenannte Transkription), die wiederum in Eiweißstoffe (Proteine) übersetzt werden (Translation). Proteine bestehen aus einer artspezifischen Anzahl verschiedener Aminosäuren, die wie die DNA eine hochkomplexe Molekülstruktur ausbilden. Sie werden für alle Lebensfunktionen der Zelle sowie gegebenenfalls des gesamten Organismus benötigt, für die Formgebung (Strukturproteine) genau wie für den Stoffwechsel und sogar für das Auslesen der DNA-Sequenz selbst. Jeden Abschnitt der DNA-Sequenz, der für ein bestimmtes Protein kodiert oder eine andere funktionelle Einheit bildet, nennt man ein Gen, die Gesamtheit der Gene in einer Zelle bildet das Genom.

Aber nicht alle Gene im Genom sind aktiv, und erst recht nicht alle zur gleichen Zeit. Gene verfügen zu ihrer Expression, also um abgelesen werden zu können, über Promotor-Regionen, die durch Transkriptionsfaktoren, unter anderem durch sogenannte Induktoren, aktiviert werden müssen. Und hier sind wir dann schon mitten drin im Quorum Sensing. Der Begriff „Quorum“ stammt ja aus dem Alten Rom und bezeichnete ursprünglich die Mindestzahl an Senatoren, die bei einer Abstimmung für ein bestimmtes Votum benötigt wurden. In unserem Fall nun müssen die Bakterien entscheiden, ob ihre Anzahl ausreicht, um einen Biofilm zu bilden und/oder bestimmte Pathogenitätsfaktoren ein- beziehungsweise freizusetzen. Die entsprechenden Gene werden sinnvollerweise nur dann aktiviert, wenn ihr Quorum überschritten ist. Was läge also näher, als gleich die zu den Promotoren der jeweils erforderlichen Gene passenden Induktoren hin- und herzuschicken, die diese Gene anschalten? Zumindest schleusen Bakterien aber genau diejenigen Induktoren aus, die für die Expression der Induktorgene selbst benötigt werden. Es kommt in der Bakterienpopulation somit zu einer positiven Rückkopplung, die dazu führt, dass sich das Signal rasch in der gesamten Population verbreitet. Solche Autoinduktoren sind die zentralen Signalmoleküle, die von den aktuellen Preisträger*innen identifiziert und jahrzehntelang erforscht wurden. Demnach sind Autoinduktoren frei diffundierende Moleküle, die von jedem Bakterium kontinuierlich in geringen Mengen in die Umgebung abgegeben werden. Für sie gilt selbst ein Quorum, also eine bestimmte Schwellenkonzentration, ab der die Genexpressionsspirale letztlich beginnt.

Im Zusammenspiel unterschiedlicher Autoinduktoren bleibt es dann nicht notwendigerweise bei der reinen Autoinduktion. So konnte Bassler beispielsweise zeigen, dass das marine Bakterium Vibrio harveyi gleich drei Autoinduktoren nutzt, um alles in allem bis zu 600 Gene zu regulieren. Auch der medizinisch ungleich bedeutendere Cholera-Erreger Vibrio cholerae besitzt multiple Quorum-Sensing-Systeme, die es ihm neben der Kontrolle seiner Biofilmbildung sowie seiner Virulenz unter anderem erlauben, zwischen verwandten und nicht-verwandten Bakterienpopulationen zu unterscheiden.

Das Studium von Quorum-Sensing-Phänomenen eröffnet also Möglichkeiten, sowohl die intra- als auch die interartliche Kommunikation und Kooperation von Mikroorganismen mitsamt ihrer intrazellulären Informationsverarbeitung zu verstehen und in einem nächsten Schritt Strategien zu entwickeln, diese zu unterbrechen. Es könnten gezielt Substanzen synthetisiert werden, die antimikrobiell wirken ohne direkt antibiotisch zu sein, indem sie Bakterien zum Beispiel daran hindern, sich vor dem menschlichen Immunsystem zu schützen.

Da es medizinisch relevante Bakterien gibt (Pseudomonas aeruginosa), die nicht nur chemische Stoffe, sondern sogar den Lichteinfall für Veränderungen ihrer Genexpression und ihres Verhaltens nutzen (Photosensing), sieht Bassler bereits „die Bühne für eine lichtvermittelte Kontrolle der Infektiosität von P. aeruginosa bereitet“.

Darauf wird die Forscherin allerdings noch ein wenig warten müssen – genau wie auf ihren Forschungspreis, der wegen der aktuellen Covid-19-Pandemie erst zusammen mit dem nächstjährigen Preis an Paul Ehrlichs 168. Geburtstag am 14. März 2022 offiziell verliehen werden soll.

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