Berlin bemüht sich im Machtkampf gegen China um engere wirtschaftliche und militärische Kooperation mit Indien.

Mit einem Akt der „Maskendiplomatie“ bemüht sich die Bundesrepublik um neuen Einfluss in Indien. Wie die Bundesregierung kürzlich angekündigt hat, stellt sie dem hart von der Covid-19-Pandemie getroffenen Land 600.000 Schutzausrüstungen und 330.000 Covid-19-Testkits zur Verfügung; auch soll es Kredite im Wert von 460 Millionen Euro für New Delhi geben. Der Schritt ist Teil der Bestrebungen Deutschlands, seine Stellung im „Indo-Pazifik“ auszubauen – im Machtkampf gegen China. Eine engere Kooperation mit Indien hat Berlin dabei schon seit Jahren im Visier, konnte allerdings bislang keinen wirklichen Durchbruch erzielen. So bleiben Handel und Investitionen hinter dem erhofften Potenzial zurück – nicht zuletzt, weil deutsche Manager über unzulängliche Rahmenbedingungen in Indien klagen. Auch die militärische Zusammenarbeit kam lange Zeit kaum vom Fleck, soll nun aber intensiviert werden. Indien wird seit Jahren wegen schwerer Menschenrechtsverbrechen kritisiert. Amnesty International hat gestern mitgeteilt, seine Arbeit in dem Land einzustellen – wegen eskalierender staatlicher Repressalien.

Hochgesteckte Ziele

Die Bestrebungen der Bundesregierung, ihre Beziehungen zu Indien als potenziellem asiatischen Gegengewicht zu China systematisch zu stärken, reichen mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnte zurück. Bereits im Mai 2000 vereinbarten Berlin und New Delhi eine „Agenda für die Deutsch-Indische Partnerschaft im 21. Jahrhundert“, die, wie es im Auswärtigen Amt heißt, „seither durch weitere gemeinsame Erklärungen fortgeschrieben wurde“.[1] Herausgehobene Bedeutung besitzen die Deutsch-Indischen Regierungskonsultationen, die seit 2011 alle zwei Jahre abgehalten werden, zuletzt Anfang November 2019. Besonderes Augenmerk gilt seit je der Wirtschaftskooperation: Bereits Mitte der 2000er Jahre etwa reisten die Wirtschaftsminister des Bundes und einiger Länder in kurzer Folge nach Indien, um dem Ausbau der Geschäfte Schwung zu verleihen.[2] 2007 nahm ergänzend die EU Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit dem südasiatischen Land auf; nicht zuletzt deutsche Exporteure erhofften sich davon einen Durchbruch auf dem riesigen indischen Absatzmarkt.

Bescheidene Erfolge

Die Erfolge der deutsch-europäischen Bemühungen sind bislang allerdings eher bescheiden. Nahmen die deutschen Ausfuhren nach China, die im Jahr 2000 noch bei rund 9 Milliarden Euro gelegen hatten, bis 2019 auf fast 96 Milliarden Euro zu, so stiegen die Ausfuhren nach Indien im selben Zeitraum von rund 2 Milliarden Euro lediglich auf knapp 12 Milliarden Euro; dabei gingen sie zuletzt sogar zurück (2018 waren es 12,5 Milliarden Euro). Ähnlich verhält es sich mit den deutschen Investitionen: Im Jahr 2018 hatten deutsche Unternehmen um die 90 Milliarden Euro direkt oder indirekt in China inklusive Hongkong investiert, lediglich 17 Milliarden Euro dagegen in Indien. Auf EU-Ebene sieht es ähnlich aus: Der Warenhandel der Union wird heute zu 15,2 Prozent mit den USA und zu 13,8 Prozent mit China abgewickelt, nur zu 1,9 Prozent jedoch mit Indien. Die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen wurden 2013 ausgesetzt; es hieß, man habe allzu unterschiedliche Vorstellungen davon. Berlin und Brüssel sind auch weiterhin um eine Einigung bemüht; EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte beim jüngsten EU-Indien-Gipfel Mitte Juli: „Wir wollen ein ehrgeiziges Handelsabkommen.“ Ergebnisse bleiben freilich aus; so wird unter Berufung auf EU-Stellen berichtet, seit 2013 habe es keinerlei Annäherung gegeben.[3]

Schlechte Bedingungen

Ein erneuter Versuch, die Handelsbeziehungen zu intensivieren, ist gegenwärtig im Gang. Anlass sind vor allem die US-Strafzölle und -Sanktionen gegen China, die unter anderem darauf abzielen, Zulieferer und Standorte westlicher Konzerne zum Wegzug aus der Volksrepublik zu nötigen und zur Niederlassung in prowestlich orientierten Ländern zu bewegen.[4] Zu Jahresbeginn, als die Wirtschaft in China durch die Covid-19-Pandemie in den Stillstand gezwungen wurde, insistierten interessierte Kreise ergänzend, der chinesische Shutdown bestätige, dass man sich von der Volksrepublik unabhängig machen müsse. Da Indien inzwischen deutlich härter von der Pandemie getroffen wird als China, greift dieses Argument freilich nicht mehr. Zugleich bleibt bislang die ersehnte, groß angelegte Verlagerung von Firmen aus China nach Indien aus.[5] Ursache ist, dass die Rahmenbedingungen in Indien in Unternehmenskreisen als nicht besonders günstig gelten: Die indische Bürokratie gilt als langsam, ineffizient und unzuverlässig; die Infrastruktur wird oft als unzulänglich beurteilt; zudem trägt die Tatsache, dass 22 der 30 Städte mit der schlechtesten, zuweilen akut gesundheitsschädlichen Luft weltweit in Indien liegen, nicht gerade zur Attraktivität des Landes bei.

Zwangsmaßnahmen

New Delhi sucht seit einigen Monaten nachzuhelfen – mit Zwangsmaßnahmen. Diese stehen in Zusammenhang mit einer umfassenden Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik, die Premierminister Narendra Modi im Mai angekündigt hat – unter dem Motto „Atmanirbhar Bharat“ („Selbständiges Indien“).[6] Ziel ist, die aktuelle Abhängigkeit des Landes von Importen aus China zu reduzieren. Die Neuausrichtung fällt zusammen mit einer Anpassung an US-Repressalien gegen Beijing: Hatte New Delhi noch Ende 2019 entschieden, Huawei in die indischen 5G-Tests einzubinden, so hat es im Frühjahr den Kurs gewechselt und übt hinter den Kulissen Druck auf die indischen Telekomkonzerne aus, den chinesischen Marktführer informell zu boykottieren.[7] Zudem sind die indischen Behörden dazu übergegangen, Importe aus China mit Schikanen bei der Grenzkontrolle zu sabotieren. Dies trifft auch westliche Unternehmen, darunter indische Montagestandorte deutscher Kfz-Hersteller, die kürzlich monierten, Reifenlieferungen aus China würden von Indiens Zoll aufgehalten; dies behindere die Produktion.[8] Faktisch sucht New Delhi die Konzerne zur Umstellung auf indische Zulieferer zu zwingen.

Militärkooperation

Berlin strebt neben dem Ausbau der Wirtschaftskooperation auch eine deutlich engere militärische Zusammenarbeit mit New Delhi an – jüngst noch verstärkt durch den offiziell erklärten Anspruch, den eigenen Einfluss im „Indo-Pazifik“ erheblich auszuweiten.[9] Dazu unterzeichneten die damalige deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihre indische Amtskollegin Nirmala Sitharaman am 12. Februar 2019 ein Abkommen zur Militärkooperation [10]; Mitte März 2019 hielt sich Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn zu vertiefenden Gesprächen mit führenden indischen Generälen in New Delhi auf [11]. Neben dem Ausbau der Zusammenarbeit in Sachen „Cybersicherheit und Nachrichtenwesen“ sei es besonders um gemeinsame Aktivitäten der Marinen beider Länder gegangen, hieß es anschließend im Verteidigungsministerium. New Delhi will sechs U-Boote kaufen; als Lieferant ist ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) im Gespräch. Der Auftragswert beläuft sich auf Milliarden. Indien ist seit Jahren einer der bedeutenderen Kunden deutschen Waffenschmieden – mit jährlichen Käufen im Wert von einer meist dreistelligen Millionensumme. Bereits für Mitte dieses Jahres war der Besuch der deutschen Fregatte „Hamburg“ in Indien geplant [12]; er musste jedoch pandemiebedingt abgesagt werden.

Geteilte Werte

Einen gewissen Schatten auf die deutsch-indischen Kooperationspläne warf am gestrigen Dienstag Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation hat in den vergangenen Jahren regelmäßig die systematische Ausgrenzung der indischen Muslime durch die regierenden Hindunationalisten und die staatliche Gewalt gegen sie dokumentiert, zuletzt etwa die Menschenrechtsverbrechen – Misshandlungen und Folter -, die indische Polizisten zu Jahresbeginn an Muslimen begingen, als Hindu-Mobs diese gewalttätig attackierten.[13] Amnesty International hat zudem die Repression in Jammu und Kashmir festgehalten, mit der die indischen Repressionsapparate die Bevölkerung der Region niederhalten, seit sie im vergangenen Herbst die Autonomie des Gebiets aufhoben und es unmittelbar New Delhi unterstellten.[14] Die dadurch hervorgerufene Kräfteverschiebung im indisch-chinesischen Grenzgebiet gilt als ein wichtiger Auslöser der jüngsten indisch-chinesischen Kämpfe im Himalaya.[15] Die indischen Behörden haben die Menschenrechtsrecherchen von Amnesty International mit stetig zunehmenden Schikanen quittiert – bis hin zu Kontensperrungen. Amnesty hat daraufhin gestern bekanntgegeben, ihre Aktivitäten in Indien nicht mehr fortführen zu können und sie umgehend einzustellen.[16] Noch im Juli hatte EU-Ratspräsident Charles Michel beim EU-Indien-Gipfel die bilaterale Kooperation mit der Begründung gelobt: „Wir teilen gemeinsame Werte: Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und den Respekt vor Menschenrechten.“[17]

Mehr zum Thema: Deutschland im Indo-Pazifik (I) und Deutschland im Indo-Pazifik (II).

[1] Deutschland und Indien: Bilaterale Beziehungen. auswaertiges-amt.de 24.09.2020.

[2] S. dazu Reisefieber.

[3] Marina Strauß: EU und Indien: Der Wille, mehr zu erreichen. dw.com 15.07.2020.

[4] S. auch Deutschland im Indo-Pazifik (II).

[5] S. dazu Geschäft statt Entkopplung.

[6] Boris Alex: Indien forciert den China-Exit. gtai.de 14.09.2020.

[7] Anandita Singh Mankotia: India to bar BSNL from sourcing gear from Huawei, ZTE; may also bar pvt telcos from using Chinese gear. economictimes.indiatimes.com 18.06.2020.

[8] Boris Alex: Covid-19: Auswirkungen auf internationale Lieferketten. gtai.de 15.09.2020.

[9] S. dazu Deutschland im Indo-Pazifik (I).

[10] Mandeep Singh: India, Germany strengthen partnership with defense cooperation pact. ipdefenseforum.com 16.03.2019.

[11] Vier Länder in acht Tagen: Der Generalinspekteur in Südasien. bmvg.de 19.03.2019.

[12] S. dazu Asiens Schlüsselmeer.

[13] Delhi 2020 religious riots: Amnesty International accuses police of rights abuses. bbc.co.uk 27.08.2020.

[14] Amnesty International: Situation Update and Analysis. Jammu and Kashmir after One Year of Abrogation of Article 370. Bangalore, August 2020.

[15] Christian Wagner: Indisch-chinesische Konfrontation im Himalaya. Eine Belastungsprobe für Indiens strategische Autonomie. SWP-Aktuell Nr. 63. Berlin, Juli 2020.

[16] Yogita Limaye: Amnesty International to halt India operations. bbc.co.uk 29.09.2020.

[17] Marina Strauß: EU und Indien: Der Wille, mehr zu erreichen. dw.com 15.07.2020.

Der Originalartikel kann hier besucht werden