Während die Medien über die zähen EU-Gipfelverhandlungen zum sogenannten Wiederaufbau-Fonds berichten, herrscht ein unheimliches Schweigen über den Elefanten im Raum: Die riesige Sparwelle, auf die sich die Eurozone im Schlaf zubewegt.

Lassen Sie uns also die Fakten betrachten:

Selbst wenn der niederländische Premierminister Rutte und der Rest der „sparsamen Vier“ ihre Einwände gegen die Bedingungen des Wiederaufbau-Fonds zurückziehen, wird der fiskalische Nettoeffekt in der gesamten Eurozone drei Jahre lang nicht mehr als 1% jährlich betragen.

Wenden wir uns nun dem Elefanten im Raum zu: der gefürchteten Verpflichtung zum Ausgleich der Staatshaushalte, dem berüchtigten Fiskalpakt.

Nach dem optimistischen Szenario der Europäischen Kommission wird der durchschnittliche Staatshaushalt der Eurozone im Jahr 2020 bei -8% des gesamten BIP der Eurozone liegen. Davon wird im nächsten Jahr die sich abzeichnende stabile Erholung bestenfalls 4% beseitigen, so dass die Eurozone im Durchschnitt mit einem Haushaltsdefizit von -4% 2021 dastehen wird. Da es sich hierbei um einen Mittelwert handelt, sehen sich einige Länder (z.B. Italien und Griechenland) im Jahr 2021 mit einem stetigen staatlichen Haushaltsdefizit von über -8% konfrontiert (gegenüber -15% im Jahr 2020). Das bedeutet, dass sich die Eurozone, um zu ausgeglichenen Haushalten zurückzukehren, im Durchschnitt Sparmaßnahmen in Höhe von etwa 4% ihres Gesamt-BIP auferlegen wird, wobei Länder wie Italien und Griechenland mit einem Sparmaßnahmen-Alptraum von mehr als 8% ihres erdrückten BIP konfrontiert sind.

Sollte dies zugelassen werden, wird dem jährlichen Haushaltsschub von 1% durch den Wiederaufbau-Fonds eine Sparwelle von 4% gegenüberstehen. Während Europa beginnt, sich von den katastrophalen Auswirkungen der Pandemie zu erholen, wird Brüssel unsere Volkswirtschaften mit einem Vorschlaghammer auf den Kopf schlagen. Und dennoch, der ultimative Beweis dafür, dass das Establishment der EU den Bourbonen ähnelt (da sie nichts vergessen und nichts lernen!), weigern sich unsere großen und guten Regierungschefs, über diesen ominösen Elefanten im Raum zu diskutieren, und investieren stattdessen Stunden in endlose Verhandlungen über die 1%ige Haushaltssanierung und die Frage, ob sie reduziert werden sollte oder wie sie gehandhabt wird.

Was diesen (in makroökonomischer Hinsicht relativ unbedeutenden) so genannten Wiederaufbau-Fonds betrifft, lassen Sie uns einen kurzen Blick auf das werfen, worüber sich unsere führenden Politiker Sorgen machen. Es geht um fünf Themen. Die ersten drei klingen wichtig, aber es sind nur die letzten beiden, die wirklich brennende Fragen darstellen.

Die drei weniger wichtigen Themen sind:

  • Der Gesamtumfang des Pakets (das durch Schulden finanziert werden soll, welche die EU-Kommission im Namen der Mitgliedsstaaten auf den privaten Schuldenmärkten aufnehmen wird) und die Verteilung dieser Gelder auf Zuschüsse und Darlehen. Auch wenn es stimmt, dass Darlehen irrelevant sind (da Mitgliedsstaaten und EU-Unternehmen von Insolvenz und nicht von Illiquidität bedroht sind), ist es unwahrscheinlich, dass dies ein wesentlicher Störfaktor sein wird.
  • Die Verteilung der Gelder auf die verschiedenen Länder. Hier hat der niederländische Premierminister, so fürchte ich, einen guten Punkt: Es war nicht klug, dass die Kommission angegeben hat, wie viel Geld jedes Land nach rückwärtsgerichteten Maßstäben erhalten würde, ohne die (noch unbekannten) Auswirkungen der Pandemie auf die Volkswirtschaften und Gesundheitssysteme der Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen.
  • Der Abstimmungsmechanismus, durch den Zahlungen genehmigt oder blockiert werden: Wird Holland ein Vetorecht haben? Wird die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit erfolgen, um Zahlungen zu ermöglichen? Oder um sie zu blockieren? (Wie wir wissen, spielt die Nichterfüllung bei der Entscheidungsfindung, ob einzeln oder gemeinschaftlich, eine große Rolle.)

Und nun zu den beiden wirklich brennenden Fragen:

  • Konditionen: Die Niederländer (und andere, die sich dahinter verbergen, einschließlich, so wage ich zu behaupten… Berlin) wollen Auszahlungsvoraussetzungen – beispielsweise, dass die italienische Regierung z.B. Rentenkürzungen gesetzlich verankert, bevor sie Gelder einzieht. Es handelt sich dabei um nichts Geringeres als den politisch schwächenden Troika-Prozess, den Griechenland und andere Länder gut kennen, so dass die Forderung nach Bedingungen (insbesondere für Rom) eine Blockade ist, wer auch immer auf sie besteht.
  • Rückzahlungen: Eine Möglichkeit Regierungen zu beschwichtigen, die nicht dabei gesehen werden wollen, wie sie der Umlagepolitik nachgeben (z.B. der niederländische Premierminister), oder die nicht in der Eurozone sind und nicht verstehen, warum sie für die Fehlkonstruktion der Eurozone zahlen sollen (z.B. Schweden), besteht darin, ihnen Rückzahlungen für die zugesagten Gelder zu versprechen. Dies bedeutet jedoch, dass Länder wie Deutschland, Frankreich und, ja, Italien, mehr Mittel bereitstellen müssen, um die Größe des Fonds zu erhalten.

Das ist also der Stand der Dinge. Wieder einmal konzentrieren sich die nächtlichen Verhandlungen in Brüssel inmitten einer lähmenden Krise auf die weniger wichtigen Themen und vermeiden es sorgfältig, über den Elefanten im Raum zu sprechen, d.h. Europas „natürliche“ und selbstzerstörerische Neigung zur Sparsamkeit für alle, außer für die Finanziers und die Kapitäne der Unternehmen, die mit dem extravagantesten Sozialismus behandelt werden.

Von Yanis Varoufakis, ehemaliger Finanzminister Griechenlands, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Athen. Der Artikel wurde auf seiner Website veröffentlicht.

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige! 

Der Originalartikel kann hier besucht werden