Europaweit sind am vergangenen Samstag mehr als 150.000 Menschen für ein freies Internet und gegen die „EU-Urheberrechtsreform“ auf die Straße gegangen. Allein in Berlin zogen rund 40.000 Menschen demonstrierend durch die Innenstadt.

Selbst die Veranstalter waren von der Größe der Demonstration überrascht: Hatten sie doch mit rund 2.000 Teilnehmern gerechnet. Doch schon eine Stunde vor Beginn der ersten Kundgebung waren weit mehr als 10.000 Menschen auf dem Potsdamer Platz und in den Nebenstraßen versammelt. Die Polizei konnte oder wollte keine genaueren Angaben zu den Teilnehmerzahlen machen, die Veranstalter sprachen abschließend von 40.000 Teilnehmern.

Auch in München waren 40.000 Menschen auf der Straße, um gegen die geplante „Urheberrechtsreform“, die den Urhebern keine über das Bisherige hinausgehenden Rechte einräumt und nur den Verlagen und Verwertungsgesellschaften mehr Gewinn in die Kassen spielt, zu protestieren. In vielen Reden wurde deutlich: Auch die Demonstranten würden sich ein besseres Urheberrecht wünschen. Allerdings nicht so, wie sich das die Europaabgeordneten um Axel Voss (CDU) vorstellen.

Befürchtet wird insbesondere, dass durch das geplante Vorhaben die Meinungsfreiheit im Internet eingeschränkt wird. Denn die sogenannten Upload-Filter, die beim Hochladen prüfen sollen, ob Bilder, Videos oder Musik urheberrechtlich geschützt sind, sind Werkzeuge, die zur Zensur eingesetzt werden können. Und deren Algorithmen sind noch längst nicht in der Lage, illegale von legalen Inhalten zu unterscheiden. Das ist selbst Axel Voss bekannt, wie er in dem inzwischen als legendär zu bezeichnenden Interview mit Vice bekennen musste. Dort sagt er: „Ja, es kann sein, dass was blockiert wird, was nicht blockiert werden soll. Man muss schon davon ausgehen, dass das nicht 100 Prozent funktioniert.“ Kritiker befürchten eine Zensur, weil die Filter auch legale Inhalte wie Zitate, Parodien oder Satire blocken.

Bereits in dem eben erwähnten Interview unterstellt Voss, dass die Demonstrationen gegen die „Urheberrechtsreform“ „von den großen Plattformen“ gesteuert würden. Auch den Vorwurf, dass die Proteste von Bots gesteuert werden, entkräftet Voss nicht, sondern setzt noch drauf: „Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. Wenn man mal zurückfragt, dann kommt da nix mehr. Da kommt keine Antwort.“ Selbst als der Journalist nachhakt: „Einige Menschen haben durchaus Ihre E-Mail-Antwort erhalten und an den Rechtsanwalt Christian Solmecke weitergeleitet. Solmecke berichtet auf YouTube über Artikel 13. In einem Video zeigt er, welche E-Mails Sie an die Wählerschaft geschickt haben. Darin sprechen Sie von ‚Lügen‘, ‚Desinformation‘ und ‚Fake News‘ über Artikel 13“, bestätigt Voss noch einmal, dass er Gegenreden generell ignoriert und als „Fake News“ bezeichnet.

Um sich nicht mit den Argumenten der Kritiker auseinandersetzen zu müssen griff der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Daniel Caspary, noch tiefer in die Schmuddelkiste. So sagte er in einem BILD-Interview: „Nun wird offensichtlich versucht, auch mit gekauften Demonstranten die Verabschiedung des Urheberrechts zu verhindern. Bis zu 450 Euro werden von einer sogenannten NGO für die Demoteilnahme geboten.“

Man muss sich tatsächlich fragen, was für eine Art Politik das sein soll, die Voss und Caspary gegen alle Vernunft und gegen die Menschen auf der Straße mit aller Gewalt durchsetzen wollen. Mit solchen Aktionen wird Politikverdrossenheit erzeugt. Spätestens der Ruf (und der Hashtag) „#niewiedercdu“ sollten vernünftigeren Politikern klarmachen, dass hier eine junge Generation Wähler heranwächst, für die das Internet eben kein „#Neuland“ ist.

Wie es scheint, hat die SPD die Signale erkannt: Der Parteikonvent hat am Wochenende beschlossen, dass die Sozialdemokraten am morgigen Dienstag in Brüssel gegen die Uploadfilter stimmen werden. Damit hält sich wenigstens die SPD an den Koalitionsvertrag, in dem Uploadfilter ausgeschlossen wurden. Der Kanzlerin ist das egal.


Frank Nicolai ist Chefredakteur des Humanistischen Pressedienstes. Er schloss ein Studium am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ in Leipzig ab.

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