Die Welt befindet sich in Unordnung. Die Machtverhältnisse verschieben sich. Wohin soll sich Europa orientieren? Community-Autor Gregor Flock meint, eine Distanzierung Europas von den USA bei gleichzeitiger Annäherung an Russland sei ein gangbarer Weg.

Das bislang bestehende Europa ist vor allem ein transatlantisches, historisch gewachsen aus einer Unterteilung der Welt in einen USA-dominierten Westen und einen Russland- beziehungsweise UdSSR-dominierten Osten und einer massiven Ausdehnung der US-Einflusssphäre in den ehemaligen Ostblock nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaftssysteme.

Das Machtverhältnis innerhalb der US-europäisch-transatlantischen Beziehungen ist dabei klar zu Ungunsten Europas: Die seit langem obsolete US-dominerte NATO besteht fast ausschließlich aus europäischen Mitgliedsstaaten, hat jedoch zu jedem Zeitpunkt einen US-Oberbefehlshaber – eine Blamage sondergleichen für Europa.

Der derzeitige Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi war Vizepräsident bei der US-Investmentbank Goldman Sachs, die unter anderem für ihre Verbindungen zu Politikern rund um den Globus berüchtigt ist.

Und dass sich Europa auf Geheiß der USA mit den Sanktionen gegen Russland im Zuge der vom Westen initiierten Ukrainekrise einen Schuss ins eigene Knie verpasst hat, dämmert schön langsam auch immer mehr Menschen.

Aus machtpolitischer Sicht gibt es also so etwas wie ein US-Europa, im Gegenzug jedoch nicht wirklich so etwas wie eine Europäische USA. Für eine echte Freundschaft oder Partnerschaft ist das äußerst ungünstig, da diese in der Regel auf Augenhöhe am besten funktionieren.

Je ungleicher die Machtverhältnisse sind, umso größer ist jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei der wirtschaftlichen, politischen und auch militärischen Beziehung, um nichts anderes als auferlegtes Vasallentum handelt im Rahmen derer die mächtigere Seite die weniger mächtige für die eigenen Zwecke und zu deren Nachteil benutzt.

Vasallen des Pax Americana

Da die US-Führung in der Regel nicht einmal einen Hehl aus ihren Exceptionalism-Wahn getriebenen Weltherrschaftsambitionen macht, auch wenn dafür mitunter verharmlosende Begriffe wie „pivot to Asia“ verwendet werden, kann man eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass es aus US-Sicht weltweit nichts anderes als Vasallen gibt, die sich gefälligst dem Washington Consensus beziehungsweise dem Pax Americana zu unterwerfen haben, da ansonsten ‚R2P‚-bedingte „humanitäre Intervention„, CIA-Putsche, Wirtschaftskrieg oder dergleichen blühen.

Bekannte Beispiele dafür ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, über die von wohlinformierten US-Systemkritikern wie Noam Chomsky (u.a. Culture of Terrorism und Propaganda and the Public Mind), Edward S. Herman (The Real Terror Network: Terrorism in Fact and Propaganda) oder William Blum (Killing Hope) wichtige Bücher geschrieben worden sind, reichen vom „regime change“ im Iran (1953) bis zu den Regimewechseln in Libyen (2011), Ukraine (2014) oder zuletzt dem vor Kurzem aufgegebenen Regimewechselversuch in Syrien.

Problemkind USA und Zukunftsperspektiven

Wir befinden uns also in der interessanten Situation, in der nahezu die gesamte Welt mit den möglichen Ausnahmen der Regierung Israels, der eine UN-Gruppe in einem Bericht Apartheidspraktiken vorwirft, oder des Terrorismus unterstützenden und eigentlichen „Schurkenstaats“ (von engl. „rogue state„) Saudi-Arabien die Nase von der US-Führung gestrichen voll hat und die USA in einer weltweit durchgeführten und Ende 2013 veröffentlichten Umfrage mit sehr großem Abstand und völlig zu Recht, als die größte Bedrohung für den Weltfrieden betrachtet wird. Russland lag im Vergleich dazu weit abgeschlagen auf Platz 12.

Wir sind des Weiteren in einer Situation, in welcher Putin, der wiederholt von einem europäisch-russischen „größeren Europa“ gesprochen hat, Europa im engeren Sinn voraussichtlich die Hand reichen würde, während es Trump nicht einmal geschafft hat, Angela Merkels offiziellen Staatsbesuch in den USA mit dem üblich-formalen Händedruck abzuschließen – Händchenhalten mit Shinzo Abe wird von Trump da wohl bevorzugt.

Darüber hinaus sind wir auch in einer Situation, in welcher selbst ein Rodrigo Duterte bereits konkrete Anstalten macht, die ungeliebte Kolonialmacht USA aus seinem Land hinauszuwerfen und sich stattdessen mit Russland und China zu verbünden. Wieso also sollte es Europa dann nicht ebenfalls schaffen, sich weg von einem US-Europa und hin zu einem de Gaulleschen, also einem vor allem europäischen Europa zu entwickeln?

Exceptionalitis, Militaritis und Neoliberalitis im Endstadium

Die USA, die nach Trump’s Aufstockung des ohnehin schon absurd aufgeblähten Militärbudgets endgültig in eine Art Nordkorea der Ersten Welt degenerieren dürften, sind seit geraumer Zeit jedenfalls so etwas wie ein Patient mit einer gefährlichen und ansteckenden Mehrfacherkrankung (Exceptionalitis, Militaritis und Neoliberalitis im Endstadium), den man so gut als möglich isolieren sollte – und zwar so lange, bis entweder die weitestgehende Heilung eingetreten oder der Patient an dieser Mehrfacherkrankung zugrunde gegangen ist und keine Gefahr mehr für seine Umgebung darstellt.

In der Zwischenzeit sollte, auch im Sinne machiavellischer Machtpolitik im Rahmen derer es reinster Schwachsinn ist, ohne Not mit der Nr. 1 militärisch gegen eine Nicht-Nr. 1 zu kooperieren, Europa in militärischer aber auch wirtschaftlicher oder sonstiger Hinsicht vielmehr verstärkt mit Russland zusammenarbeiten.

Dadurch würden die Schwächen der einen Seite durch die Stärken der anderen Seite sehr gut ausgeglichen werden. Ferner wäre das auch wohl sehr viel eher eine Begegnung auf Augenhöhe, aus der eine echte und für beide Seiten gleichermaßen nützliche langfristige Partnerschaft und Freundschaft erwachsen könnte.

Über den Autor: Gregor Flock ist unabhängiger Philosoph sowie Gründer und Chefredakteur des Global Civil Society Network. Er kommentiert das Zeitgeschehen auch bei unserem Kooperationspartner „Unser Zeitung – Die Demokratische„.

Der Originalartikel kann hier besucht werden