Gewaltfreie Aktionen sind extrem wirkungsvoll

Obwohl aktive Gewaltfreiheit extrem wirkungsvoll ist, verstehen AktivistenInnen nicht immer – und das ist bedauerlich – warum die Gewaltfreiheit so eine Wirkung hat und konzipieren unwirksame „direkte Aktionen“.

Ich möchte am Anfang zwei Fragen aufwerfen: Warum hat die  gewaltfreie Aktion eine solche Kraft? Weshalb ist ihr strategischer Einsatz ein Faktor der Veränderung?

Wird nun der Akzent bei der Aktion auf die physischen Effekte gesetzt (wie z.B. wenn man sich irgendwo drankettet oder ähnliches)  und auf die Geheimhaltung, damit der Plan gelingen kann, wird unglücklicherweise gerade dadurch deren  Wirksamkeit untergraben. Warum? Das möchte ich gerne erklären, wie und auf welche Weise  funktioniert die gewaltfreie Aktion? Es geht darum, dass jeder gewaltfrei agierende Aktivist die Dynamik der gewaltfreien Aktion versteht und auch die unmittelbaren physischen Auswirkungen seiner Aktionen (wie auch all das, was getan werden muss, damit diese eintreten) keine Bedeutung mehr beimisst.

Arbeitet eine Gruppe von Aktivisten an einem Konflikt- einem natioinalen Befreiungskampf, eine Klimakatastrophe, Gewalt gegen Frauen und Kinder, Atomwaffen, Einsatz von Drohnen, Zerstörung des Regenwaldes, Übergriffe und Verletzungen der Rechte von indigenen Völkern – wird meist eine Aktion geplant, die zum Ziel eine Aktivität hat, die dem ein Ende setzt. Zum Beispiel eine Militärbasis wird besetzt, die Beladung eines Schiffes mit Kohle verhindert, ein Bulldozer wird  blockiert oder die Konstruktion einer Öl-Pipeline verhindert. Man kann diverse technische Möglichkeiten nutzen, wie z. B. sich an Arbeitsmittel ketten, um deren Gebrauch zu verhindern. Dabei sollte man wachsam sein und die Pläne und deren Ausführung geheim halten,  um die Aktion durchführen zu können, bevor die Polizei oder die Armee einen daran hindert.

Wenn man unter einer gewaltfreien Aktion aber nur eine physische Aktion versteht, wird man die Aufmerksamkeit nur auf das Erlangen dieses Resultats richten: Die Armee daran hindern, ein Gelände zu besetzen; einen Bulldozer, der Bäume zerstört, anhalten; einen Ölhafen blockieren oder eine Atomanlage stören. Natürlich ist es einfach, eine gewaltfreie Aktion zu planen, die für eine gewisse Zeit lang diese Resultate bringt.

Wenn man nun einen Moment lang über die psychologische und die politische Wirkung von gewaltfreien Aktionen nachdenkt, über die nachhaltigen oder gar permanenten Veränderungen der jeweiligen Konflikte, aber auch über die Auswirkungen auf die Gesellschaft insgesamt, dann kommen mehr Bilder von dem was man tun sollte. Und dann fängt man an strategisch darüber nachzudenken, was es bedeutet viele Menschen dazu zu bewegen umzudenken und anzufangen, sich anders zu verhalten.

Was nun immer das unmittelbare Ziel der Aktion sein mag, geht es dabei dann  um einen einzigen Schritt in Richtung einer tiefer gehenden Veränderung. Aber diese tiefer gehende Veränderung, muss eine nachhaltige  Veränderung in der Denkweise und dem „normalen“ Verhalten einer namhaften, oder besser noch großen, Zahl von Menschen beinhalten. Im gegenteiligen Fall, wiederholt man die Aktion morgen wieder, dann übermorgen und so weiter, solange bis man  es müde ist, eine folgenlose Aktion durchzuführen- so wie das mit Kampagnen passiert, die ins Nichts führen und davon gibt es ja viele.

Warum also funktioniert eine gewaltfreie Aktion?

Gewaltfreie Aktionen funktionieren, da sie in der Lage sind eine günstige politische Atmosphäre zu schaffen (denn die Aktivisten können ernstzunehmende Vertrauensbeziehungen aufbauen), da sie eine physisch friedliche Umgebung schaffen können (durch die gewaltfreie Disziplin der Aktiven), aufgrund ihrer Fähigkeit, die psychologischen Lebensbedingungen (angeboren oder erworben), die bewirken, dass die Leute sich von vornherein neuen Ideen verschließen, zu verändern.  Gewaltfreie AktivistInnen beschleunigen Veränderungen wesentlich, weil sie es ernst meinen, Disziplin haben, integer sind und weil sie Mut und Entschlossenheit beweisen, selbst wenn sie Schläge einstecken müssen und ins Gefängnis gehen – man ist geneigt sich mit ihnen zu identifizieren.

Aus diesem Grund sollte eine gewaltfreie Aktion immer klar angeben welche Verhaltensänderungen von den Menschen gefordert wird. Sei es nun in Pressekonferenzen für die  Medien oder auf Bannern oder wie auch immer- eine gewaltfreie Gruppenaktion muss klar und deutlich mitteilen, was die Leute machen sollen. Eine Aktionsgruppe zum Thema Klimawandel muss systematisch Botschaften vermitteln wie: „Rettet das Klima, werdet Vegtarier/Veganer“ oder „Rettet das Klima, boykottiert die Autos“; Gruppen, die darauf abzielen, den Regenwald zu schützen sollten dazu aufrufen: „Kauft keine Möbel, die aus Tropenholz gemacht sind“. Eine Gruppe von Pazifisten sollte sagen: „Keine Steuern für Waffen“ oder „Keine Unterstützung für die Waffenindustrie“ (unter vielen anderen Möglichkeiten). Gruppen, die gegen Atomkraft oder fossile Engerien sind, sollten in ihren zahlreichen Manifestationen kurze Botschaften vermitteln, die dazu aufrufen diese nicht zu verbrauchen oder den Übergang zum Einsatz von nachhaltigen und erneuerbaren Energiequellen fordern. Zum Beispiel das „Flame Tree project“ , das  „Das Leben auf der Erde zu retten“ will (http://tinyurl.com/flametree).

Es ist wichtig, dass diese Botschaften dazu einladen, persönlich wirksame Aktionen zu setzen und nicht rein symbolische Akte. Ebenso wichtig ist, dass die Aktionen nicht an die Eliten adressiert sind und in deren Umfeld Lobbying betreiben. Die Menschen werden teilnehmen, wenn unsere Aktionen  sie in die Pflicht zu nehmen. Nicht vorher! Am Ende des Salzmarsches im Jahr 1930 hat Mahatma Ghandi am Strand von Dandi eine Handvoll Salz genommen – das war das Signal für die Inder, ihr eigenes Salz zu produzieren und damit das britische Gesetz zu brechen. In folgenden Kampagnen hat Ghandi die Inder aufgefordert englisch Stoffe zu boykottieren und ihr eigenes Khaki (handgefertiger, erdfarbener Stoff aus Leinen) zu produzieren. Diese Aktionen hatten als strategisches Ziel  die Rentabilität des britischen Kolonialismus in Indien zu untergraben und die Autonomie Indiens zu bestärken.

Der Hauptgrund dafür, dass Mohandas K. Ghandi eine nicht so oft anzutreffende Kombination eines Meisters gewaltfreier Strategie und Taktik darstellt, liegt darin, dass er die Psychologie der Gewaltfreiheit und ihre politische Wirksamkeit verstanden hat.. Ich werde das an der Wirkung der gewaltfreien Aktionen bei den Salinen von Dharasasna illustrieren, eine der Aktionen im Gefolge des berühmten Salzmarsches von 1930.

Am 4. Mai 1930 schrieb Ghandi an Lord Irwin, Vizekönig von Indien, um ihn von seinen Absichten in Kenntnis zu setzen, er würde eine Gruppe gewaltfreier Aktivisten zu den Salinen von Dharasasna führen , um dort Salz zu holen –  er wollte also jenes Gesetz verletzen, das es den Indern untersagte, ihr eigenes Salz zu gewinnen. Ghandi wurde sofort fest genommen, wie zahlreiche wichtige Politiker auch,  Jawaharial Nehru und Vallabhbhai Patei.

Man hatte diese Reaktion vorhergesehen, aber der Marsch zu den Salinen ist unter der Führung einer Reihe von Personen (die nach und nach allesamt auch fest genommen wurden) wie geplant durchgeführt und Hunderte von Satyagrahis (gewaltfreie Aktiviisten), die ohne Gewalt anzuwenden, die Salinen erobert haben. Leider haben sie es aber nicht geschafft an Salz zu kommen.

Über ihre gewaltfreie Disziplin, ihre Hingabe und ihr Mut – angesichts der Schläge mit den eisenharten Stöcken der Polizei – wurden von 1350 Zeitungen auf der ganzen Welt berichtet. Das Resultat dieser gewaltfreien Aktion – die ihr physisches Ziel, Salz zu gewinnen, nicht erreichte – hat den britischen Imperialismus in Indien untergraben. (Mehr dazu: Thomas Weber, THE MARCHERS SIMPLY WALKED FORWARD UNTIL STRUCK DOWN” Nonviolent Suffering and Conversion

Wenn die Aktivisten vom Willen zum physischen Besitzen des Salzes bestimmt gewesen wären, und – zum Beispiel – im Geheimen daran gearbeitet hätten, um es zu bekommen – hätten  sie sich die Möglichkeit genommen, ihre Ernsthaftigkeit, Integrität, ihren Mut und ihre Entschlossenheit zu demonstrieren und auf diese Weise Empathie für ihre Sache zu wecken, aber sie hätten am Ende nur ein bisschen Salz gehabt. Klar, hätten sie ein wenig Salz heimlich verschwinden lassen, hätte die britische Verwaltung es einfach irgnorieren können, wer hätte sich daran gestört?! Demgegenüber war es für sie unmöglich zu zu lassen, dass die Satyagrahis vor aller Augen Salz an sich nehmen, das wäre illegal gewesen und darauf nicht  zu reagieren hätte gezeigt, dass das Salz-Gesetz – das als Anti-These zur Unabhängigkeit des Landes gesehen wurde – wirkungslos, also ineffizient ist.

Zusammenfassend kann man sagen, dass strategisch denkende, gewaltfreien Aktivisten verstehen, dass die Wirksamkeit ihrer Strategie keinerlei Bezug zur physischen Erfüllung des Ziels einer Aktion hat. Der psychologische und damit auch politische Effekt, kommt durch den Beweis jener Qualitäten zustande, von denen die Menschen inspiriert sind und die sie auch zum persönlichen Einsatz veranlassen. Aus diesem Grund  ist ein Verheimlichen (und die damit einhergehende Angst) kontraproduktiv, wenn man strategische Wirksamkeit anstrebt.

Wenn sie an der Konzeption wirksamer, gewaltfreier Aktionen interessiert sind, gibt es einen weiteren Artikel zu dem Hauptunterschied zwischen „politischem Ziel und strategischer Zielsetzung gewaltfreier Aktion“. Und wenn Sie interessiert sind, wie polizeiliche oder militärische Gewalt auf gewaltfreie Aktionen antwortet, finden sie Antworten in diesem Aritkel.

Die folgenden beiden Webseiten werden jenen empfohlen, die an effektiver Planung und Strategie gewaltfreier Aktionen (generell) oder an gewaltfreien Befreiungs- bzw. Verteidigungsaktionen interessiert sind.

Personen, die an einer weltweiten Bewegung zur Überwindung jeglicher Form von Gewalt teilnehmen möchten, sind eingeladen zu: https://thepeoplesnonviolencecharter.wordpress.com
Die Kämpfe für Frieden, soziale Gerechtigkeit und für die Befreiung und Erhaltung der Umwelt sind oft nicht von Erfolg gekrönt. Fast immer  liegt es an einem Mangel an Verständnis der Psychologie, der Politik und der Strategie der Gewaltfreiheit. Diese Themen sind nicht kompliziert, aber es bedarf einer gewissen Anstrengung, sie zu erlernen.

Übersetzt aus dem Französischen von Walter L. Buder