Berlin beschränkt sich nach Israels Luftangriff auf Qatars Hauptstadt Doha auf verbalen Tadel. In Mittelost schwindet das Vertrauen auf US-Sicherheitsgarantien. Syrien wendet sich nun auch unter dem islamistischen Regime Russland zu.

(Eigener Bericht) – Die Bundesregierung reagiert auf Israels Luftangriff auf Qatars Hauptstadt Doha nur mit verbaler Kritik und stellt keinerlei praktische Reaktionen in Aussicht. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am gestrigen Mittwoch zwar erklärt, Sanktionen gegen israelische Minister sowie eine Aussetzung des Assoziierungsabkommens mit Israel beim Handel vorschlagen zu wollen; die Bundesregierung aber hat Insidern zufolge bereits klargestellt, dass sie dies wie bisher verhindern wird. Damit stellt sich Berlin gegen die Staaten der Arabischen Halbinsel, die eine praktische Antwort der Länder Europas auf den völkerrechtswidrigen Angriff fordern, den Qatars Premierminister „Staatsterrorismus“ nennt. Überhaupt keine Rolle spielt für Berlin der doppelte Drohnenangriff auf die Global Sumud Flotilla, die Hilfsgüter nach Gaza bringen will. Unterdessen zeichnet sich ab, dass im Mittleren Osten das langjährige Vertrauen auf US-Sicherheitsgarantien schwindet; die USA seien deshalb „der größte Verlierer“ des Angriffs, urteilen Experten. Syrien beginnt selbst unter dem neuen islamistischen Regime mit Blick auf fortwährende israelische Angriffe, sich Russland zuzuwenden.

Verachtung für das Recht

Israels Angriff traf die Hamas-Delegation, als sie gerade zusammengekommen war, um über einen US-Vorschlag für eine Waffenruhe im Gazastreifen zu diskutieren. Er erschütterte ein Wohngebiet in der Hauptstadt Qatars, also exakt des Staats, der bisher maßgeblich zwischen Israel und der Hamas zu vermitteln versuchte. Welchen Sinn es noch ergeben soll, über Verhandlungen mit Israel nachzudenken, wenn man dabei von den israelischen Streitkräften ermordet wird, oder mühsame Vermittlungsversuche auf sich zu nehmen, wenn das für den Vermittler zur Folge hat, dass Israel seine Wohngebiete mit Bombenangriffen überzieht, ist nicht ersichtlich. Es liege auf der Hand, dass Israel weder „an irgendeiner Art von Waffenstillstand“ noch „an Verhandlungen“ über einen solchen interessiert und alle Berichte über einen vermeintlichen Verhandlungsvorschlag von US-Präsident Donald Trump „bloß List und Theater“ gewesen seien, urteilt Mairav Zonszein, Israel-Expertin der prowestlichen Denkfabrik International Crisis Group.[1] Israel habe mit dem Angriff „seine Verachtung für Verhandlungen und für das internationale Recht“ offener denn je zur Schau gestellt, erklärt Daniel Levy vom U.S./Middle East Project. Qatars Premierminister, Sheikh Mohammed bin Abdulrahman bin Jassim al Thani, stufte den Angriff am Dienstag als „Staatsterrorismus“ ein.[2]

Niemand ist sicher

Der israelische Terrorangriff hat auf der Arabischen Halbinsel erhebliche Unruhe ausgelöst. Man sei es längst gewohnt, „dass Israel nach Belieben in Menschenmengen, in Wohngebiete und in Hauptstädte im gesamten Nahen und Mittleren Osten feuert“, konstatiert Zonszein.[3] Getroffen wurden bislang – jenseits Palästinas – der Libanon, Syrien, Iran und der Jemen inklusive ihrer Hauptstädte. Dabei wurden unter anderem die halbe jemenitische Regierung, zahlreiche Mitglieder der iranischen Militärführung, die Führung nicht nur der Hamas, sondern auch der Hizbollah sowie viele weitere gezielt ermordet. Irans Präsident Massud Peseschkian entkam einem Mordanschlag nur knapp. Auch in Qatar war immer wieder spekuliert worden, Israel könne Hamas-Mitglieder ermorden, die sich dort aufhalten, seit die Vereinigten Staaten im Jahr 2011 darum gebeten haben, um mit ihnen verhandeln zu können. Neu ist nun aber, dass die israelische Regierung einen militärischen Angriff auf einen der engsten Verbündeten der USA im Mittleren Osten befohlen hat. Damit sei klar: „Niemand ist wirklich sicher, und nichts ist wirklich ausgeschlossen“, hält Cinzia Bianco vom European Council on Foreign Relations (ECFR) fest.[4] Der Angriff auf Doha habe Konsequenzen „für Saudi-Arabien, für die Vereinigten Arabischen Emirate“ und darüber hinaus.

Europäer im Visier

Aktuell ist Israel dabei, seinen militärischen Operationsradius noch weiter auszudehnen und zunehmend westliche Ziele ins Visier zu nehmen. Dabei zielt das Land auf die Global Sumud Flotilla – zivile Schiffe, die humanitäre Hilfsgüter von See her in den Gazastreifen bringen wollen, da Israel die Landgrenze weiterhin abriegelt und völlig unzureichende bis gar keine Hilfsgüter passieren lässt. Ein erstes, mit Nahrungsmitteln und medizinischen Hilfsgütern beladenes Boot war am 9. Juni mehr als 180 Kilometer vor der Küste von Gaza von der israelischen Marine gestoppt und verschleppt worden – ein Akt der Piraterie: Jenseits einer Zone von maximal zwölf Seemeilen vor der Küste gilt überall auf der Welt die freie Seefahrt; Eingriffsrechte bestehen dort nicht. Die Global Sumud Flotilla, deren Schiffe nun in einem zweiten Versuch Hilfsgüter nach Gaza bringen wollen und die aktuell im tunesischen Sidi Bou Said vor Anker liegen, wurde in der Nacht von Montag auf Dienstag und in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch zweimal angegriffen, vermutlich mit Drohnen. Nur aufgrund von glücklichen Zufällen kamen keine Menschen zu Schaden.[5] An der Global Sumud Flotilla beteiligen sich zahlreiche Bürger westlicher Staaten, die nun zum ersten Mal zum Ziel vermutlich israelischer, jedenfalls potenziell tödlicher Angriffe werden.

Keine Maßnahmen

Die Reaktionen auf die völkerrechtswidrigen israelischen Angriffe, die jetzt auch engste Kooperationspartner treffen, fallen im Westen schwach aus. US-Präsident Trump verkündete, er sei von dem Angriff „nicht begeistert“.[6] Bundeskanzler Friedrich Merz nannte ihn „nicht akzeptabel“. Außenminister Johann Wadephul hatte bereits am Dienstag erklärt: „Dieser Schlag“ – es geht um einen Luftangriff auf die Hauptstadt eines Kooperationspartners – „ist inakzeptabel.“[7] Praktische Schritte blieben jedoch aus. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am gestrigen Mittwoch im Europaparlament in einer diametralen Abkehr von ihrem bisherigen, Israel von jeglichen Maßnahmen verschonenden Kurs zwar an, sie wolle nun Sanktionen gegen extrem rechte israelische Minister und gegen gewalttätige Siedler sowie die Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel auf dem Feld des Handels vorschlagen. Insider berichteten allerdings, die Bundesregierung habe bereits klargestellt, sie werde die Maßnahmen auch künftig blockieren: „Von der Leyen kann also fordern, was sie will – mit einer Einlösung ist nicht zu rechnen.“[8] Für das Ansehen des Westens in Nah- und Mittelost, wo Reaktionen eingefordert werden, ist das Gift.

Der größte Verlierer

Unabhängig davon hat der israelische Terrorangriff auf Doha nicht bloß dem Ansehen, sondern auch dem Einfluss der westlichen Staaten im Mittleren Osten ernsten, womöglich langfristig wirksamen Schaden zugefügt. Experten wie etwa Steven A. Cook vom US-amerikanischen Council on Foreign Relations gehen mit einer „hohen Wahrscheinlichkeit“ davon aus, es habe in Vorbereitung auf den Angriff „deutlich mehr Koordination“ zwischen den USA und Israel gegeben, als Washington zugeben wolle.[9] Trump streitet – nach ursprünglich anders lautenden Äußerungen – mittlerweile ab, dass die USA in den Angriff involviert gewesen seien. Aus gutem Grund: Die Staaten auf der Arabischen Halbinsel realisierten wohl, dass die Präsenz von US-Militärstützpunkten auf ihrem Territorium, aber auch US-Sicherheitsgarantien „nicht mehr so wertvoll“ seien, wie sie lange gedacht hätten, äußert ECFR-Expertin Bianco.[10] In der Tat seien „der größte Verlierer“ des Angriffs mutmaßlich die USA, analysiert Bader al Saif, ein Professor an der Kuwait University. Die Trump-Administration sei entweder nicht gewillt oder nicht in der Lage, die militärischen Angriffe Israels auf Ziele im gesamten Nahen und Mittleren Osten zu zügeln.[11] Das wiederum untergrabe ihre Glaubwürdigkeit als Sicherheitsgarant am Golf. Diese Glaubwürdigkeit war lange ein fester Anker für den Einfluss der USA.

Ehrliche Partner

Dass die beständigen völkerrechtswidrigen Angriffe der israelischen Streitkräfte wie auch weitere Aggressionen Israels, die von den USA und den Staaten Europas nicht unterbunden werden, Folgen für den westlichen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten haben, zeigt zur Zeit das Beispiel Syrien. Das Land wird seit Monaten immer wieder von den israelischen Streitkräften bombardiert; Teile seines Territoriums sind von Israel besetzt; kürzlich griffen israelische Kampfjets sogar Syriens Verteidigungsministerium mitten in der Hauptstadt Damaskus an, während der israelische Diasporaminister Amichai Chikli verlangte, Syriens Machthaber Ahmed al Sharaa solle „sofort eliminiert werden“.[12] Kein westlicher Staat schreitet dagegen ein. Am Dienstag wurde in Damaskus bereits zum zweiten Mal eine russische Regierungsdelegation zu Gesprächen unter anderem mit Außenminister Asaad al Shaibani empfangen. Shaibani, der Ende Juli in Moskau unter anderem mit Präsident Wladimir Putin zusammengetroffen war, erklärte anschließend, Damaskus suche „ehrliche Partner“, deren Präsenz Syrien helfe; die Gespräche mit der russischen Delegation hätten gezeigt, dass eine derartige Kooperation zwischen Damaskus und Moskau möglich sei. Die Machthaber in Damaskus hatten zunächst eine engere Zusammenarbeit mit Israel gesucht, aber lediglich Luftangriffe geerntet. Ihre Schutzmacht, die Türkei, setzt schon lange auf ausgleichende Kooperation mit Russland, um nicht vom Westen abhängig zu sein. Offenbar folgen ihr ihre syrischen Schützlinge nun nach.[13] Sie könnten nicht die letzten sein.

 

[1] Justin Salhani, Abubakr Al-Shamahi, Urooba Jamal: Analysis: Israel leaps over read lines in attack on Qatari capital Doha. aljazeera.com 09.09.2025.

[2] Israel kills over 50 in Gaza; Qatar calls Israeli attack ‘state terror’. aljazeera.com 10.09.2025.

[3], [4] Justin Salhani, Abubakr Al-Shamahi, Urooba Jamal: Analysis: Israel leaps over read lines in attack on Qatari capital Doha. aljazeera.com 09.09.2025.

[5] Flotilla for Gaza reports second drone attack on boat in Tunisian waters. al-monitor.com 10.09.2025.

[6] Qatar will juristisch gegen Israel vorgehen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.09.2025.

[7] Außenminister Wadephul zum Angriff Israels in Doha. auswaertiges-amt.de 09.09.2025.

[8] Thomas Gutschker: Kalkuliertes Spiel. Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.09.2025.

[9] Erica L. Green: Once Again, Israel Leaves Trump in the Dark as It Conducts a Military Attack. nytimes.com 09.09.2025.

[10] Justin Salhani, Abubakr Al-Shamahi, Urooba Jamal: Analysis: Israel leaps over read lines in attack on Qatari capital Doha. aljazeera.com 09.09.2025.

[11] Adam Rasgon, Vivian Nereim, Ronen Bergman: Israel Attempts to Kill Hamas Leadership in Airstrike on Qatar, a Gaza War Mediator. nytimes.com 09.09.2025.

[12] S. dazu Befehlskette bis nach Damaskus.

[13] Beatrice Farhat: Russia sends second Syria delegation since Assad’s fall to safeguard military interests. al-monitor.com 09.09.2025.

Der Originalartikel kann hier besucht werden