Deutsche Wirtschaft setzt für die Energiewende und „grünen“ Wasserstoff auf Kasachstan und dringt deshalb auf ein Ende der Unruhen.

Mit erheblicher Sorge blickt die deutsche Wirtschaft auf die Unruhen und die künftige Entwicklung in Kasachstan. Dem Land wird einige Bedeutung einerseits im Machtkampf gegen China, andererseits für die deutsche Energiewende beigemessen: Die Deutsche Bahn könnte ihre Kooperation mit der kasachischen Eisenbahn KTZ nutzen, um die EU-Infrastrukturinitiative Global Gateway zu fördern, mit der Brüssel gegen die Neue Seidenstraße konkurrieren will; vor allem aber soll Kasachstan laut dem Willen der deutschen Industrie zum Großlieferanten von „grünem“ Wasserstoff werden, der mit Hilfe deutscher Technologie in dem zentralasiatischen Land hergestellt werden soll. Bisher waren die Voraussetzungen recht günstig: Die Außenpolitik des autoritären Ex-Präsidenten Nursultan Nasarbajew setzte auf enge Kooperation mit mehreren äußeren Mächten und war deshalb auch für deutsche Einflussnahme offen; damit boten sich deutschen Unternehmen recht gute Chancen. Experten urteilen nun jedoch, der Einsatz des von Moskau geführten Militärbündnisses OVKS in Kasachstan könne dies ändern.

Unklare Machtkämpfe

Nach wie vor ist nicht klar, was genau hinter der Eskalation der zunächst friedlichen Demonstrationen in Kasachstan steckt, die sich zu Jahresbeginn erst gegen die Verdoppelung der Flüssiggaspreise, dann gegen die fortdauernde Macht von Ex-Präsident Nursultan Nasarbajew erhoben. Berichte, denen zufolge etwa die Übernahme der Kontrolle über den Flughafen der Wirtschaftsmetropole Almaty durch Regierungsgegner hochprofessionell durchgeführt worden sei, deuten auf eine präzise Vorbereitung durch äußerst kenntnisreiches Personal hin. Spekuliert wird über Machtkämpfe zwischen verschiedenen Fraktionen in den kasachischen Eliten. Gestützt wird dies durch die Tatsache, dass Präsident Kassym-Schomart Tokajew für Nasarbajews Rückzug vom Vorsitz des Nationalen Sicherheitsrats gesorgt und mehrere seiner engsten Parteigänger entlassen, zum Teil sogar inhaftiert hat, darunter der Geheimdienstchef Karim Massimow. Ungewiss ist immer noch, ob die Unruhen aus dem Ausland gesteuert wurden, wie Präsident Tokajew erklärt. An der Behauptung des im französischen Exil lebenden kasachischen Oligarchen Muchtar Abljasow, er stehe hinter den Unruhen, bestehen erhebliche Zweifel.[1] In einer führenden deutschen Tageszeitung heißt es, „in dem gewalttätigen Aufruhr in Kasachstan“ fänden sich „keine Kräfte, deren Unterstützung politisch Sinn ergäbe“.[2]

Öllieferant und Wirtschaftsdrehscheibe

Erhebliche Sorgen mit Blick auf die Entwicklung in Kasachstan macht sich von Anfang an die deutsche Wirtschaft. „Eine schnelle Beruhigung der Lage“ sei „unabdingbar“ – auch, um „eine Beschädigung des Wirtschafts- und Investitionsstandorts Kasachstan abzuwenden“, hieß es schon in der vergangenen Woche in einer Stellungnahme des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft.[3] Die Sorgen haben weniger allgemeine Gründe –Kasachstan nimmt mit Einfuhren im Wert von 1,5 Milliarden Euro weniger deutsche Waren ab als Estland oder sogar Iran unter den Bedingungen harter US-Sanktionen -, sie liegen vor allem in einigen konkreten Bereichen begründet. So ist Kasachstan traditionell ein bedeutender Lieferant von Erdöl; knapp ein Zehntel der deutschen Öleinfuhren stammten im Jahr 2020 von dort.[4] Hinzu kommt, dass das Land als bedeutende Drehscheibe für ganz Zentralasien gilt; deshalb hat in Almaty etwa die Delegation der Deutschen Wirtschaft für Zentralasien ihren Sitz. Es kommt hinzu, dass Kasachstan ein wichtiges Transitland unter anderem für den Bahnverkehr nach China ist; damit ist es für die EU-Initiative „Global Gateway“ interessant, die das Ziel verfolgt, mit Chinas Neuer Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) zu konkurrieren.[5] Kasachstans Eisenbahngesellschaft KTZ, der dabei erhebliche Bedeutung zukäme, arbeitet bei der Modernisierung der Infrastruktur mit der Deutschen Bahn AG zusammen.[6]

Deutschlands Wasserstoff-Wunschpartner

Nicht zuletzt hat Kasachstan in den Planungen der deutschen Wirtschaft Bedeutung für die Energiewende. Diese sorge dafür, dass die Rohstoffbranche „neue Bedeutung“ erlange, hieß es bereits im August 2020 auf einer Videokonferenz des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft mit dem kasachischen Vizepremierminister Roman Sklyar, die ausdrücklich der Rohstoffkooperation diente.[7] Hintergrund sei, dass für den Bau etwa von Batterien für Elektroautos oder von Solar- und Windenergieanlagen spezielle Bodenschätze nötig seien, über die Kasachstan verfüge, etwa Seltene Erden. Als günstig für die deutsche Industrie gilt, dass die Bundesregierung im Jahr 2012 mit der Regierung unter Präsident Nasarbajew eine „Rohstoffpartnerschaft“ geschlossen hat, die den Zugriff auf die kasachischen Ressourcen erleichtert.[8] Darüber hinaus sei das riesige Kasachstan „mit seinen großen Flächen“ sowie seinem Potenzial an Solar- und Windenergie, mit deren Hilfe sich Wasserstoff gewinnen lässt, „ein deutscher Wunschpartner für den Import von grünem Wasserstoff“, wird Michael Klor-Berchtold, Leiter der Wirtschaftsabteilung im Auswärtigen Amt, zitiert; deutsche Unternehmen könnten im Gegenzug die dafür „nötige Technik bereitstellen“, erklärte Klor-Berchtold auf einer Tagung des Ost-Ausschusses Ende 2021.[9] Ein Sondergesandter des kasachischen Präsidenten teilte auf der Tagung mit, sein Land, zur Zeit ein wichtiger Erdöl- und Erdgaslieferant, solle „zu einem der größten Exporteure von grünem Wasserstoff werden“.

Widersprüchliche Vektoren

Für die deutschen Wirtschaftsinteressen war die Politik des autoritären Ex-Präsidenten Nursultan Nasarbajew günstig. Sie folgte nach außen einem sogenannten multivektoriellen Ansatz, zielte also darauf ab, gute Beziehungen zu mehreren Mächten zu entwickeln, um von keiner von ihnen allzusehr abhängig zu werden. Ist Russlands Einfluss traditionell stark, so ist in den vergangenen Jahren der Wirtschaftseinfluss Chinas rasch gewachsen. Das deutsche Streben nach einer stärkeren ökonomischen Stellung in Kasachstan bot der Regierung dort die Chance, ihre Beziehungen zu einem dritten Machtpol auszubauen. Schon unter Präsident Nasarbajew sei es Kasachstan gelungen, „die verschiedenen Vektoren seiner Außenpolitik auszubalancieren“, hieß es kürzlich im Kazakhstan Journal of Foreign Studies, das die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung mit herausgibt; sein Amtsnachfolger Tokajew habe diese Politik fortgesetzt. Freilich existiere „ein gewisser Widerspruch“ zwischen Kasachstans „Interesse an einer multivektoriellen Außenpolitik und dem wachsenden Einfluss Russlands und Chinas im zentralen Eurasien inmitten einer zunehmenden Opposition der Vereinigten Staaten (gemeinsam mit ihren Verbündeten – dem kollektiven Westen) gegenüber diesen beiden Kontinentalmächten“.[10]

Russlands Chance

Dieser Widerspruch könnte nun zu Verschiebungen beim äußeren Einfluss auf Kasachstan führen. Bislang sei es der Regierung in Nursultan (vormals Astana) stets gelungen, „Moskaus politische Kontakte in das Land zu monopolisieren“, urteilt Dmitri Trenin, Direktor des Carnegie Moscow Center: „In der politischen Elite“ sei „jeder, der allzu enger Verbindungen nach Russland verdächtigt wurde, verdrängt und isoliert worden“.[11] Auch Tokajew sei „keinesfalls Moskaus Klient“. Der Einsatz des Militärbündnisses OVKS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit) in Kasachstan sei recht gewagt. Moskau beschränke sich bislang strikt darauf, strategische Einrichtungen zu schützen – nicht ohne Grund: Weite der Einsatz sich aus, dann drohten womöglich „offene Feindschaft und Widerstand“ seitens der Bevölkerung. Gelinge es jedoch, die Regierung zu stützen und sie „stärker prorussisch“ auszurichten, dann gebe es für Moskau die Chance, die bisherige „multivektorielle Außenpolitik zu begradigen“, also den Einfluss des Westens zurückzudrängen, wie es zuletzt in Belarus und in Armenien gelungen sei. Damit steht bei den aktuellen Unruhen auch ein bisheriger Einflusshebel für Berlin in Zentralasien auf dem Spiel.

 

[1] Reinhard Lauterbach: Trittbrettfahrer. junge Welt 10.01.2022.

[2] Reinhard Veser: Putins zweite Front. Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.01.2022.

[3] Statement des Ost-Ausschuss-Vorsitzenden Oliver Hermes zur aktuellen Situation in Kasachstan. ost-ausschuss.de 06.01.2022.

[4] Till Bücker: Sorgenvoller Blick nach Kasachstan. tagesschau.de 06.01.2022.

[5] S. dazu 300 Milliarden gegen die Seidenstraße.

[6] Erfolgreiche Kooperation in Kasachstan wird fortgesetzt. db-engineering-consulting.com 03.05.2021.

[7] Online-Treffen mit dem kasachischen Vize-Premier Sklyar zur Rohstoffkooperation. ost-ausschuss.de 26.08.2020.

[8] S. dazu Kampf um Rohstoffe (IV) und Militärtransporter für Kasachstan.

[9] Kasachstan und Deutschland wollen ein neues Kapitel ihrer Zusammenarbeit aufschlagen. ost-ausschuss.de 07.12.2021.

[10] Sergey Lebedev, Andrey Kazantsev, Svetlana Medvedeva: Cooperation between Russia and Kazakhstan: Economics and Politics. In: Kazakhstan Journal of Foreign Studies. No 1-2 (2021). S. 15-24.

[11] Dmitri Trenin: Russia Takes a Gamble in Kazakhstan. carnegiemoscow.org 06.01.2022.

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