Trotz ist eine Eigenschaft, die heute vor allem negative Assoziationen weckt. Ein neues Buch rehabilitiert diese besondere Form des Eigensinns: klug und erhellend. Unbedingt lesenswert.
Von Helmut Ortner
Mit Trotz verbindet man störrischen Eigensinn, törichte Sturheit, renitente Querulanz. Ein Trotzkopf ist, wer – womöglich gegen bessere Einsicht – an etwas Unvernünftigem, ja Schädlichem festhält. Ein nervender Quälgeist eben, dem nur schwer beizukommen ist. Ein Trotzkopf, der schnell als »kindisch«, »pubertär« und »infantil« charakterisiert wird. Doch wer trotzig auf seiner Sache beharrt, sich fremdbestimmter Autorität widersetzt, findet durchaus auch unsere Anerkennung und Bewunderung, denn der Trotzige beweist Standfestigkeit, Rückgrat und Mut.
Keine Frage: Trotz ist eine zwiespältige, ambivalente Eigenschaft. Eine Haltung des individuellen Aufbegehrens. Solange er individuell daherkommt, mag er für die Nächsten eine Plage sein, aber er erschöpft sich im Privaten. Anders verhält es sich mit dem kollektiven Trotz. Seine Dynamik hat die Kraft der Rebellion, die nicht unbedingt auf Ausgleich und ein friedliches Ende aus ist. Riskant wird es, wo individueller Eigensinn das private Terrain verlässt, sich trotziges Dagegensein kollektiv verdichtet. Kurzum, wo die Trotzigkeit des Einzelnen sich bündelt und zur Querulanz der Menge anschwillt, ist Vorsicht, mitunter Alarm angezeigt.
Die Literaturwissenschafterin Daniela Strigl, die am Institut für Germanistik der Universität Wien lehrt, hält Trotz vor allem für eine unterschätzte Eigenschaft. In ihrem neuen Buch erkundet sie ihn in seiner individuellen Ausformung, ebenso in seiner politischen Dimension und beschreibt facettenreich historische als auch literarische „Phänomene des Aufbegehrens“. Von kindlichem Trotz, romantisch verklärtem Wilderertum, dem allgegenwärtigem »Querdenkertum« bis hin zum egomanischen Amoklauf, versucht die Autorin, nicht nur eine Definition für diesen Begriff zu finden, sondern schafft gleichzeitig eine Art Typologie der unterschiedlichen Wortbedeutungen und ihrer Ausprägungen. Porträtiert werden diese Typen anhand von Beispielen literarischer Figuren, die uns durchaus sympathisch sind, so wie der notorische Rechthaber Michael Kohlhaas, der dank der Kleist´schen Dichtung so etwas wie das literarische Urbild des Trotzes ist.
Weitere notorische Trotzköpfe mit all ihren zwiespältigen Eigenschaften bringt uns die Autorin nahe: den Rebell, den Desperado, den Dissident, bis hin zum einzelkämpfenden Terroristen. Ein Panoptikum der Trotzigen, mit historisch wie aktuellen exemplarischen Widerspruchsgeistern und Quälgeistern, von Karl Kraus bis Peter Handke. Der eine, ein routinierter Beleidiger und Polemiker, der sich als der große Aufklärer sah und doch vor keiner auch noch so klein-kleinlichen Rechthaberei zurückschreckte – der andere, ein narzisstischer Groß-Schriftsteller, der selbst einen Tyrannen, den serbischen Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic, trotzig verteidigt und bewundert – und in Folge dieser fatalen Realitätsverweigerung zur umstrittenen Figur wird.
Einen weiteren Aspekt, den die Autorin aufzeigt, ist die unterschiedliche Wahrnehmung des Trotzes in Relation zu Frauen, was auch an zahlreichen Beispielen in der Literatur veranschaulicht werden kann. Denn der Trotz, der als Widerstand und Widersprechen wahrgenommen wird, entspricht in patriarchalen Systemen keinesfalls dem idealen Bild von Frauen. Dem gegenübergestellt gibt es jedoch auch die Figur der Heroine, die als Heldin gepriesen wird.
Daniela Strigl beschreibt eindrucksvoll das weite, widersprüchliche und zwiespältige Trotz-Panorama. Es gelingt ihr, die produktiven Seiten des Trotzigen sichtbar zu machen und den Trotz vom Makel des Destruktiven zu befreien – individuell und gesellschaftlich. Produktiver Trotz setzt nicht auf sinnfreie Querulanz, nicht auf coole Randale, nicht auf eruptive Militanz – sondern auf vor allem auf Eigensinn und Autonomie.
Gerade der »Querdenker« galt lange als Beleg für unkonventionelles, eigensinniger Denken. Mit der Corona-Pandemie und den damit verbunden staatlichen Eingriffen und Maßnahmen kam der rapide Bedeutungswandel. Bei massenhaften »Querdenker«-Demonstrationen versammelten sich nun Zehntausende bei Demonstrationen, die die Gefährlichkeit der Covid-Infektion herunterspielten, vor allem aber gegen die staatliche Einschränkung individueller Freiheiten und Bürgerrechten protestierten – und die gesetzliche Impfung verdammten. Ein Querschnitt des bürgerlichen Protest formierte sich hier, mitunter sonderbar sorglos, neben rechten Reichsflaggen-Trägern und Verschwörungs-Apokalyptikern.
Eindrucksvoll seziert Daniela Strigl den Begriff »Querdenker«, unter dem laut dem »Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache« eine „Person, die eigenwillige und mit etablierten Positionen meist nicht vereinbare Ideen oder Ansichten vertritt und deshalb auf Unverständnis der Widerstand trifft” zu verstehen ist. Es ist zu vermuten, dass protestierende Querdenker gerne diese Zuschreibung für sich reklamieren, auch wenn deren Widerstand – das zeigt die Autorin – doch zum Widerspruch einlädt.
Ein Grund mehr, historische Verzerrungen und aktuelle Verblendungen allerorten zurecht zu rücken und den Trotz, wo immer uns begegnet, zu rehabilitieren – gewissermaßen zum Trotz. Daniela Strigls kluges und erhellendes Buch zeigt uns, dass eigensinniges Beharren trotz allem auch immer mit dem zu tun hat, was wir alle schätzen sollten: Selbstachtung.
Daniela Strigl – Zum Trotz
Erkundung einer zwiespältigen Eigenschaft
Residenz Verlag, 160 Seiten, 22 Euro, ISBN: 9783701736355