Wir leben in einer Zeit großer Umbrüche, geprägt von einer Krise aller menschlichen Tätigkeiten. Gleichzeitig beobachten wir in den letzten zehn Jahren, dass alte Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten über territoriale, wirtschaftliche, ethnische und religiöse Fragen erneut aufleben, während die Menschenrechte und besonders die Rechte von Mädchen und Frauen nicht weiter vorangekommen sind.
Obwohl es in den vergangenen Jahren die größte Anzahl von Wahlen in der jüngsten Geschichte gegeben hat, gab es in mehr als 107 Ländern noch nie eine Frau an der Spitze des Staates. 2024 hatten Frauen nur 27 Prozent der Sitze in Nationalparlamenten und 35,5 Prozent der Sitze in Landesregierungen inne.
Die politische Teilhabe von Frauen ist entscheidend für eine gut funktionierende Demokratie. Ihre Einbindung ist eine Frage der Gerechtigkeit und ein wichtiger Faktor für die Herausbildung einer effektiveren Staatsführung. Es hat sich gezeigt, dass eine größere Beteiligung von Frauen an der Politik dazu beiträgt, die Gesetzgebung zu entscheidenden Themen wie Gesundheit, Bildung, Kinderbetreuung, Infrastruktur und Beendigung von Gewalt gegen Frauen voranzubringen, und Mädchen dafür zu gewinnen, eine Hochschulausbildung und Karrierechancen anzustreben.
Dennoch fehlen in allen Regionen der Welt die Stimmen der Frauen bei den Entscheidungsfindungen.
Noch immer zu wenige Frauen in Entscheidungsgremien
Die deutlichste Lücke in der politischen Vertretung von Frauen findet man auf den höchsten Ebenen der Macht. Heute werden lediglich 27 Länder von einer Frau geführt, ein leichter Anstieg gegenüber gerade mal 18 Ländern vor zehn Jahren, und 107 Länder hatten überhaupt noch nie eine Frau an der Spitze.
Weltweit werden in den Regierungen nur 23 Prozent der Ministerien von Frauen geleitet, und lediglich in 15 Ländern sind die Regierungen paritätisch mit Frauen und Männern besetzt. In 141 Ländern stellen Frauen weniger als ein Drittel der Ministerposten und in 7 Ländern sind überhaupt keine Frauen in den Regierungen vertreten. Schreitet die Entwicklung so weiter wie bisher, wird die Geschlechterparität auf Regierungsebene nicht vor 2077 erreicht werden!!
Weltweit liegt der Anteil von Frauen in den Parlamenten bei 27 Prozent, und eine Parität wird voraussichtlich erst in 39 Jahren erreicht werden.
Auf Kommunalebene stellen Frauen seit 2024 35,5 Prozent der gewählten Mitglieder.
Hindernisse für die politische Teilhabe von Frauen
Obwohl das Recht der Frauen auf politische Teilhabe seit Jahrzehnten durch internationale Vereinbarungen wieder und wieder bekräftigt wird – unten anderem in der Aktionsplattform von Peking und in den Zielen für nachhaltige Entwicklung – hinkt die Umsetzung hinterher, da weltweit Hindernisse bezogen auf die politische Führung durch Frauen bestehen bleiben.
Nachteilige Standards und geschlechtsspezifische Gewalt behindern die politischen Rechte von Frauen, und von den Medien verbreitete Stereotypen halten die Vorstellung aufrecht, dass Frauen in geringerem Maße seriöse und kompetente Führungskräfte sind als Männer.
Online-Todesdrohungen, Vergewaltigungen und körperliche Gewalt gegen Frauen in der Politik und im öffentlichen Leben sind erschreckend normal geworden, und die Zunahme von künstlicher Intelligenz könnte das Ausmaß und die Tragweite eines solchen Online-Missbrauchs weiter verstärken.
Als in Jordanien, Libanon, Nepal, Palästina und Tunesien von UN Women Umfragen unter Amtsinhaberinnen in Gemeinderäten durchgeführt wurden, machten die an der Umfrage Teilnehmenden deutlich, dass psychische Gewalt die am weitesten verbreitete Form der Belästigung sei, der sie ausgesetzt sind, gefolgt von sexueller und wirtschaftlicher Gewalt – bei letzterem z.B. die Verweigerung des Zugangs zu Ressourcen wie Gehältern, Büroräumen und Einrichtungen. Amtsträgerinnen berichteten, dass sie am häufigsten in den Einrichtungen der Gemeindeverwaltungen, in denen sie tätig waren, auf Belästigung stießen, wobei es darüber hinaus zu Vorfällen in ihren Gemeinden und zu Hause kam.
Weitere Hindernisse sind der Widerstand der politischen Parteien gegen die Aufnahme von Frauen als Führungskräfte und als Kandidatinnen, sowie die „Winner-takes-all“-Wahlsysteme, die es Frauen erschweren, gleichberechtigt gegenüber Männern anzutreten.
Frauen haben verglichen mit Männern auch oft weniger Zugang zu den Ressourcen, die für ein erfolgreiches Antreten für eine Parteinominierung oder eine Kandidatur für eine Wahl erforderlich sind. Dazu gehört auch der begrenzte Zugang zu Finanznetzwerken und politischer Schirmherrschaft. In Entwicklungsländern kann das Unvermögen die selbst nur geringen Gebühren für die Registrierung von Kandidaten aufzubringen, Frauen von der Teilnahme am Wahlprozess ausschließen.
Fünf Maßnahmen, die Regierungen ergreifen können, um die politische Beteiligung von Frauen zu erhöhen.
Jede Wahl bietet die Möglichkeit, die Teilhabe von Frauen zu fördern, und die Geschlechtergleichstellung und die Rechte der Frauen voranzubringen. Die folgenden Maßnahmen können zu einer nachhaltigen Veränderung beitragen:
- Einführung von Sondermaßnahmen, wie gesetzlich vorgeschriebene Geschlechterquoten und geschlechterparitätische Anstellungen.
Weltweit hat sich gezeigt, dass Gesetze zu Geschlechterquoten die Teilhabe von Frauen wirksam verbessern. In Ländern mit vorgeschriebenen Parlamentsquoten verfügen Frauen im Durchschnitt über 26% der Parlamentssitze, verglichen mit nur 21% in Ländern ohne solche Quoten. In gleicher Weise ist in Ländern mit gesetzlichen Quoten für Kommunalwahlen der Frauenanteil um durchschnittlich sieben Prozentpunkte höher als in Ländern ohne solche Quoten.
Das Potenzial der Quoten wird jedoch oft nicht voll ausgeschöpft, da die Zielvorgaben hierfür häufig unter 50% liegen und die Umsetzungsmechanismen lückenhaft und schwach sind. Während 94 Länder Geschlechterquoten für Parlamente eingeführt haben, hat nur ein Fünftel dieser Länder eine Zielvorgabe von 50% für die Teilhabe von Frauen festgelegt.
- Beendigung von Gewalt gegen Frauen in der Politik
Gewalt hindert Frauen an der Ausübung ihrer Rechte auf Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben, und hat weitreichende Konsequenzen für Gesellschaften: sie zersetzt öffentliche Institutionen, schwächt politische Ergebnisse, hemmt den Fortschritt für Frieden und Entwicklung. Die Regierungen müssen Gesetze und Richtlinien erlassen und durchsetzen, um Gewalt während der Wahlen und darüber hinaus zu verhindern, Täter zur Rechenschaft zu ziehen, und den Zugang zur Justiz und zu Dienstleistungen für die Opfer auszubauen. Um besser gegen Online-Gewalt gegen Frauen in der Politik vorgehen zu können, sollten die Regierungen Daten über solche Belästigungen erheben und Medien- und Social-Media- Unternehmen zur Verantwortung ziehen.
- Zusicherung der Gleichstellung von Wählerinnen, politischen Kandidatinnen und Wahlleiterinnen.
Wahlleitungsgremien und andere relevante Interessengruppen sollten einheitliche Richtlinien und Verhaltensvorgaben entwickeln und umsetzen, die Nichtdiskriminierung, Integrität, Transparenz, Gewaltfreiheit und Streitschlichtung fördern. Um das Wahlrecht der Frauen aufrechtzuerhalten, müssen Regierungen die Wählerregistrierung erleichtern, für die Sicherheit in den Wahllokalen sorgen und Frauen vor Nötigung oder Einschüchterung schützen. Das Einbeziehen von Frauen in die Wahlleitung verbessert die Inklusivität und Glaubwürdigkeit von Wahlen und ermutigt mehr Frauen dazu, zur Wahl zu gehen.
- Unterstützung von Kandidatinnen und einer repräsentativen Entscheidungsfindung
Die Regierungen müssen in Programme investieren, die die Befähigungen von Kandidatinnen ausbaut, um deren Führungs- und Wahlkampfkompetenzen zu entwickeln, und sie müssen die Wahlkampffinanzierung regulieren, um gezielt Mittel für weibliche Kandidaten bereitzustellen. Die Regierungen sollten eine Regelung der Wahlkampffinanzierung in Betracht ziehen, um die politischen Parteien dazu zu bringen, gezielt Mittel für weibliche Kandidaten und ihren Wahlkampf bereitzustellen. Dieses Vorgehen würde dazu beitragen, die Finanzierungslücke zu schließen und eine gleichberechtigte Teilhabe an der Politik voranzubringen.
- Unterstützung einer gerechten und transparenten Medienberichterstattung über die politische Teilhabe von Frauen
Gesetze, die die Wahlberichterstattung regeln, sind unerlässlich für die Regulierung von Wahlprozessen und die Gewährleistung der Beteiligung einer informierten Öffentlichkeit. Solche Gesetze sollten eine ausgewogene Vorstellung aller Kandidat:innen gewährleisten, allen politischen Parteien Zugang zu den Medien garantieren, Hassreden und zu Gewalt anstiftende Reden verbieten, Geschlechterstereotypen und Diskriminierung entgegenwirken, und vor Gewalt gegen Frauen und gegen andere unterrepräsentierte Gruppen schützen. Darüber hinaus sollte eine unabhängige Kontrolle dieser Vorschriften eingeführt werden, in Verbindung mit entsprechenden Strafen bei Verstößen.
Die Ausgestaltung des Repräsentationsraums (2)
In dem Buch „Vom Monkey Sapiens zum Homo Intentional“ erklärt Silvia Swinden, wie Menschen in die Struktur der Welt eingebettet sind, und sie betont, dass ein Bewusstsein nur entwickelt werden kann, wenn man sich des Repräsentationsraums und seiner unterschwelligen Mechanismen bewusst wird.
Kurzum, sie erklärt, wie der Raum der Repräsentation unsere Wahrnehmungen und unsere Weltanschauung beeinflusst und bestimmt. Tatsächlich ist die den Frauen gesetzte Begrenzung klar festgelegt durch die Ausformung des Repräsentationsraums, welcher durch patriarchale Herrschaft und Machtpyramiden geprägt ist. Diese haben den Repräsentationsraum der Menschen jahrtausendelang ausgeformt und bestimmte Eigenschaften und Tugenden der Hälfte der Menschheit verdeckt. Das hat dazu geführt, dass menschliche Bestrebungen und die Entscheidungsfreiheit der Frauen blockiert werden.
Zwar trugen die Forderungen der Frauen in den 1960er Jahren dazu bei, die vielfältigen Formen der Unterdrückung zu bekämpfen, mit denen sie seit Jahrhunderten konfrontiert wurden. Aber heute ist es dennoch hauptsächlich die Ausformung dieses Repräsentationsraums, die diese Verhinderung der Teilhabe von Frauen an der Politik verursacht hat.
Außerdem schränkt das Lahmlegen von bestimmten Eigenschaften bei der Hälfte der menschlichen Spezies die schöpferischen Fähigkeiten des in der Welt Seins der gesamten menschlichen Gattung ein.
Diese Art der Zurichtung von Frauen und Männern auf eine ganz bestimmte Art und Weise des Seins in der Welt schränkt sie in ihren Entwicklungsmöglichkeiten ein. Kurzum, die seit Jahrtausenden bestehende Subjekt-Bewusstsein-Weltstruktur von Männern und Frauen begrenzt die Möglichkeiten, den Repräsentationsraums zu erweitern um die zunehmend komplexeren Aufgaben und Sachverhalte der jetzigen Zeit bewältigen zu können.
Wir sind dabei, unsere Welt zu verlassen und zu anderen Planeten zu gehen, wir sind dabei, eine künstliche Intelligenz zu schaffen, die unsere eigene Intelligenz weit übertreffen wird.
Aber seit Jahrtausenden schleppen wir Verhaltensweisen und -formen mit uns herum, die zu einer Kette von Aktionen und Reaktionen führen, welche für die Hälfte der Menschheit Diskriminierung zur Folge hat. Diese Aktionen und Reaktionen fesseln unsere Sinne, unser Gedächtnis und unser Bewusstsein an Situationen, die unsere eigenen Fähigkeiten einschränken, sie sind Determinismus.
Dieser Determinismus bedingt unsere Wahrnehmungen und unser Weltbild und erzeugt Formen und Darstellungen, die in eine andere Zeit gehören. Vielleicht ist es an der Zeit, sich auf Lösungen zu konzentrieren und herauszufinden, wie genau dieser Determinismus überwunden werden kann, damit wir den Raum der Repräsentation als Spezies vergrößern und diesen dunklen historischen Augenblick hinter uns lassen können.
(1) Die Berechnung von UN Women basiert auf Angaben der Ständigen Delegationen bei den Vereinten Nationen (Stand: 16. August 2024). Länder mit monarchischen Systemen sind bei der Zählung der Staatsoberhäupter nicht berücksichtigt.
(2) Raum der Repräsentation: ist eine Art mentaler Bildschirm, auf den Bilder projiziert werden, die aus Sinnesreizen, Gedächtnisreizen und der Aktivität des Bewusstseins entstehen. Er dient nicht nur als Projektionsfläche, sondern entsteht aus sämtlichen inneren Darstellungen der kinästhetischen Wahrnehmung. Der Raum der Darstellung besitzt ein Volumen und eine Tiefe, die es uns ermöglicht, je nach Position des Bildes herauszufinden, ob die Phänomene aus der Innen- oder der Außenwelt stammen. (Quelle: Amman, 2024,S.281).
Quelle: UN Women
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Doris Fischer vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!