Daniela Gschweng für die Onlinezeitung Infosperber

Die Temperaturen in der Stadt erreichen im Sommer über 50 Grad. Die Einwohner fliehen, wenn sie können. Und es wird immer heisser.

Es gibt zweifellos heissere Orte als Jacobabad, das Death Valley zum Beispiel. Dort aber lebt kaum jemand. Jacobabad in Pakistan ist eine Grossstadt mit mehr als 200’000 Einwohnern. Im Sommer erreichen die Temperaturen zuverlässig Werte über 40 Grad, in den letzten Jahren auch über 50 Grad.

Kann ein Mensch damit noch leben? «Er muss», würden die Einwohner vermutlich sagen. Felder müssen bestellt, Läden betrieben werden. Wer nicht arbeitet, verdient kein Geld. Die Hälfte der Einwohner verlässt im Sommer die Stadt.

Die Klimawissenschaftlerin Chandni Singh aus Bangalore beschreibt in einem Interview mit cbc, wie sich Temperaturen von 45, 46 Grad im vergangenen Jahr in Delhi anfühlten. Temperaturen, wie sie für Anfang Juni auch in Jacobabad vorhergesagt sind.

Der Körper kommt an seine Grenzen

«Ich musste [nur] von mittags bis 15 Uhr in der heissen Sonne ausharren», berichtet Singh. «[Es ist] wirklich absolut unerträglich.» Währenddessen denke man einfach, es sei heiss. Schlimm werde es erst danach.

«Wenn es abends abgekühlt hat, spürt man eine enorme Müdigkeit, und man fühlt sich, als wäre man ausgetrocknet, egal wie viel Wasser man trinkt. Ich war am Ende völlig erschöpft, nicht nur an diesem Tag, sondern auch am nächsten», beschreibt sie. «Und ich hatte ein kühles Haus und viel Wasser, viele Menschen haben das nicht.» Erholen kann sich der Körper bei hohen Temperaturen nachts oft nicht. Es habe zwei Tage gedauert, bis sich ihr Körper wieder normalisiert habe.

50 Grad sind noch einige Grade mehr. «Wenn es so heiss ist, kann man sich kaum noch auf den Beinen halten», sagte ein Einwohner Jacobabads zum britischen «Telegraph». Bei 50, 52 Grad nähert sich das Ende der menschlichen Belastbarkeit, selbst bei trockener Hitze. Bei höherer Luftfeuchtigkeit reichen schon tiefere Temperaturen aus, um einen Menschen umzubringen.

Kaum Strom, wenig Wasser und geschlossene Schulen

Viele Bilder aus Jacobabad zeigen Menschen, die ihre Köpfe unter Wasserpumpen halten, sich eimerweise Wasser über den Kopf giessen, Eisblöcke bearbeiten oder erschöpft im Schatten liegen. Die Karren der Eis- und Wasserhändler sind ebenfalls ein häufiges Bild. Frisches Trinkwasser ist knapp. 2019 gaben die USA zwei Millionen Dollar zur Unterstützung der Wasserversorgung in Jacobabad aus. Es half wenig, da auch die Wasserfilteranlage ohne Strom nicht läuft. Der Strom fällt täglich mehrere Stunden aus.

Der einzige Ort, an dem er kalte Füsse bekomme, sei die Eisfabrik, berichtet der Journalist Sultan Rind mit einem Versuch von Humor. Rind wohnt in der Nähe von Jacobabad, in einem Video auf «The Third Pole» führt er durch einen seiner Tage im Sommer 2022. 46 Grad habe es derzeit, erzählt er. Dennoch sieht alles erstaunlich normal aus. Bis man genauer hinsieht. Viele Kinder seien wegen der Hitze nicht gekommen, sagt der Lehrer an der Schule.

Auch Lehrpersonal ergreift im Sommer die Flucht, schreibt «Arabnews» und zitiert die Studie einer lokalen Wohlfahrtsorganisation von 2018. Schon vor fünf Jahren waren 70 Prozent der Schulen wegen Hitze geschlossen.

Wer kann, der flieht

Nicht nur die Schüler fehlen, auch ihre Eltern. Allah Noor, über den  «Arabnews» berichtet, arbeitet in einer Ziegelei. Im Sommer sei Arbeit dort fast unmöglich, sagt er. Wie der 26-jährige Mujeeb Rehman Kharani nimmt der 54-Jährige dann Handlanger-Jobs in kühleren Gegenden an. Kharainis Familie muss monatelang allein in der Stadt bleiben. Er verdient auf Baustellen etwa drei Dollar am Tag. Das reicht nicht, um Frau und Kinder mitzunehmen.

Selbst besser bezahlte Arbeit kommt zum Erliegen. Die 23-jährige Liza Khan beispielsweise kann im Sommer ebenfalls kaum arbeiten. «Wie kann man arbeiten, wenn jeden Tag zehn Stunden lang der Strom ausfällt?», fragt die Content Writerin. In den Monaten Mai bis August sei Arbeit unmöglich.

Die Hauptlast tragen Frauen und Kinder

Neben Strom und Wasser brauchen die Einwohner Jacobabads vor allem Eis, mit dem fast alles gekühlt wird. Gekocht wird in vielen Haushalten auf dem offenen Feuer. Die Einwohner holzen die Bäume und Sträucher der Umgebung ab und vernichten damit auch noch das letzte bisschen Schatten. Ein Teufelskreis.

Die Hauptlast der brüllenden Hitze tragen die Armen, besonders Frauen und Kinder, die teilweise ohne Schutz weite Wege zur Schule gehen müssen. Soziale Normen, Sicherheitsbedenken und häusliche Pflichten halten Frauen davon ab, ihre Arbeitszeiten flexibel zu gestalten, wie es die Männer tun. Selbst in den heissesten Zeiten des Tages sehe man sie arbeiten, schreibt die Reporterin Zoha Tunio für «Inside Climate News».

Menschen, die wegen der Hitze zusammenbrechen, sind in den Ambulanzen Jacobabads ein gewohntes Bild. Eine Mehrheit seien Frauen, gibt das medizinische Personal im Hitzezentrum an.

Tunio spricht mit Noor Bibi, die in einem Dorf in der Nähe lebt. Noor steht vor Tagesanbruch auf, um für ihren arbeitslosen Mann und die Kinder zu kochen. Im Juni läuft sie um 6.30 Uhr zweieinhalb Meilen zu den Reisfeldern, um dort Reis zu pflanzen, egal wie heiss es ist. «Ich bin schlechter dran als unsere Wasserbüffel», sagt sie. «Die können sich wenigstens ins Wasser legen.»

Wirklich unangenehm wird es erst in 30 Jahren

Pakistan ist eines der Länder, die von der Erderwärmung stark betroffen sind, obwohl sie wenig dazu beigetragen haben. Neben lebensbedrohlichen Sommertemperaturen gibt es auch regelmässig Starkregen. Im Herbst letzten Jahres wurde ein Drittel des Staatsgebietes überschwemmt – eine Katastrophe riesigen Ausmasses, wenn auch nicht die erste. Auch Jacobabad war betroffen.

Wenn man sich die Hitzeprojektionen Indiens anschaue, werde es um 2050 wirklich schlimm werden, sagt die Klimawissenschaftlerin Singh. Bis 2100 werde man an vielen Orten nicht mehr leben können, unter anderem in mehreren Regionen Pakistans und Indiens.

Das Indus-Tal sei eines der Epizentren der Krise, von Wasserknappheit bis hin zu extremer Hitze, sagt Tom Matthews, Dozent für Klimawissenschaften an der Universität Loughborough, zum «Telegraph». Betroffen wären hunderte Millionen Menschen im Süden Asiens, warnte die Weltbank 2018.

Jacobabad wäre eine der ersten Städte, die wegen Hitze aufgegeben würde

Nach Wetterdaten, die Matthews und sein Team analysiert haben, haben die beiden Städte Jacobabad und Ras al Khaimah in den Vereinigten Arabischen Emiraten die tödliche Schwelle bereits zeitweise überschritten – Jahrzehnte bevor dies in den Klimamodellen prognostiziert war.

Wohin die Entwicklung mittelfristig führt, ist absehbar. Ob Jacobabad wirklich die heisseste Stadt der Welt ist, ist unklar. Aber es könnte die erste sein, die wegen tödlicher Hitze aufgegeben wird. Andere sehr heisse Städte, etwa in der Golfregion, können sich vermutlich länger anpassen, weil sie wohlhabender sind. Entweder die Stadt investiert massiv in Wasser- und Energiehaushalt oder es werden nur diejenigen übrigbleiben, die nirgends anders hinkönnen. Auch, wenn Bleiben lebensgefährlich ist.

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