Pascal Derungs für die Online-Zeitung Infosperber

Rohstoffmultis nutzten Ukrainekrieg, Sanktionen und Corona für enorme Profite. Doch steuerlich bleiben sie privilegiert.

Millionen von Menschen leiden unter steigender Ernährungs- und Versorgungsunsicherheit, doch die Rohstoffhändler verbuchen historisch hohe Erträge. Dank dieser Gewinnexplosion sei der Rohstoffsektor in der Schweiz auf einen Anteil von 8 Prozent am Bruttoinlandsprodukt gewachsen, mehr als dem Doppelten der vom Bund verwendeten veralteten Zahl. Das belegt eine detaillierte Analyse der Menschenrechtsorganisation «Public Eye». Der Rohstoffsektor der Schweiz erreiche damit beinahe das Gewicht des Finanzplatzes.

Die Schweiz ist Drehscheibe der Krisenprofite

Der Handel mit Öl, Gas und Kohle floriert weltweit – gerade in Zeiten von Engpässen in der Logistik, Sanktionen und Bemühungen hin zu einem Ausstieg aus den fossilen Energien, stellt Public Eye fest. Das Geschäftsgebaren der grossen internationalen Rohstoffmultis betrifft die Schweiz zentral, denn auch jene Händler, die ihren Hauptsitz nicht in der Schweiz haben, wickeln hierzulande grosse Teile ihres Geschäfts ab und müssen deshalb als Schweizer Händler betrachtet werden. Auch wenn die gehandelten Produkte dabei gar nie in die Schweiz gelangen, fällt doch die Wertschöpfung hierzulande an. Sie ist denn auch der Haupttreiber des spektakulären Wachstums im Schweizer Rohstoffsektor.

Gemäss eigenen Schätzungen von Public Eye ist und bleibt die Schweiz die bedeutendste Rohstoffdrehscheibe weltweit. Die hier ansässigen Händler wickeln 40 Prozent der Kohle sowie jedes dritte Fass Erdöl ab, sowie mindestens die Hälfte des weltweit gehandelten Getreides.

Fossile Brennstoffe brachten wahre Gewinnexplosionen

Public Eye listet die Gewinnsprünge aller grossen Player auf. Demnach steigerte der umsatzstärkste Händler Vitol (mit globaler Handelsabteilung in Genf) seinen eigenen Rekordgewinn von 4,2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 bereits in den ersten sechs Monaten des Folgejahrs auf 4,5 Milliarden. Trafigura, mit Handelsabteilung ebenfalls in Genf, konnte 2021 gar mit einer Gewinnsteigerung von 230 Prozent gegenüber dem Durchschnitt vor Ausbruch der Pandemie aufwarten. Mit 7 Milliarden US-Dollar hat der Konzern diesen Rekordgewinn 2022 nochmals mehr als verdoppelt. Der Konzern Gunvor berichtet im ersten Halbjahr 2022 von einer Vervierfachung des Gewinns gegenüber den ersten sechs Monaten 2021. Die in Genf beheimatete Mercuria erzielte 2021 gemäss Bloomberg ebenfalls das beste Resultat der Firmengeschichte.

Der Glencore-Konzern als Super-Profiteur

Der absolute Überflieger ist der Zuger Konzern Glencore, erklärt Public Eye. Bereits 2021 machte er knapp 5 Milliarden US-Dollar Gewinn. Dies entspricht einer Steigerung von satten 661 Prozent gegenüber dem Durchschnitt vor der Pandemie. Im ersten Halbjahr 2022 waren es dann bereits 12 Milliarden US-Dollar, eine Gewinnsteigerung von 846 Prozent im Vergleich zur Vorjahresperiode.

Laut der «Financial Times» ist Glencore «einer der grössten Gewinner des durch den Krieg in der Ukraine ausgelösten Tumults auf den Rohstoffmärkten». Für diesen Rekord mitverantwortlich: der Klimakiller Kohle, mit einem Anteil von geschätzten 50 Prozent am Glencore-Profit. Das entspreche einer Verzehnfachung des Gewinns mit Kohle innerhalb eines Jahres, schreibt Public Eye.

Auch der Agrarhandel boomte dank Krisen

Ähnlich profitabel hat der Agrarhandel in den letzten Jahren agiert. Waren bereits die Coronajahre 2020 und 2021 für die meisten Händler überaus gewinnbringend, setzten die verschwiegenen Unternehmen, die allesamt ihren Handel über die Schweiz abwickeln, im ersten Halbjahr 2022 noch einen drauf und erzielten Rekordzahlen, berichtet Public Eye. Der weltgrösste Agrarhändler Cargill, mit globalem Handels- und Frachtgeschäft in Genf, vergrösserte seinen Gewinn gegenüber dem Durchschnitt vor der Coronakrise um 141 Prozent. Ähnliches berichtet Public Eye über Archer Daniels Midland (ADM) mit Handelsabteilung in Rolle VD und über die Louis Dreyfus Company (LDC) mit operativem Hauptsitz in Genf, welche den Gewinn beinahe verdoppeln konnte.

Die Multis haben die Wertschöpfungsketten ausgeweitet

Ein Hauptgrund für die epochalen Krisengewinne liege im Wandel des Geschäftsmodells, analysiert Public Eye. Die ehemaligen Transportunternehmen, die bloss Rohstoffe von A nach B verschifften, hätten ihre Aktivitäten längst ausgedehnt. Einige seien in den Anbau vorgedrungen und kontrollierten Plantagen. Andere betrieben Minen, Raffinerien oder Tankstellennetze. Praktisch alle böten zudem eine breite Palette von Logistikdienstleistungen an.

Auffallend im gesamten Rohstoffsektor sei besonders die Ausweitung der Schifffahrt, schreibt Public Eye. So sollen die fünf grössten Agrarhändler knapp 1300 Schiffe betreiben, wovon 650 allein Cargill vom Genfer Sitz aus. Auch die Händler von Öl, Gas und Kohle seien längst intensiv in der Hochseeschifffahrt tätig, weiss Public Eye. Die fünf grössten kämen zusammen auf mindestens 1300 Schiffe. Trafigura allein betreibe eine Flotte von über 900 Tankern. Ein Tochterunternehmen von Gunvor gibt an, «einer der grössten Tankschiff-Charterer weltweit» zu sein. Auch MercuriaVitol und Glencore mischten über Subunternehmen in der Schifffahrt mit.

Die Profiteure geniessen grosse Steuerprivilegien

Die von der OECD und der G20 vorgeschlagene Reform, die eine fairere Verteilung der Steuereinnahmen von Konzernen unter den Staaten gewährleisten soll, ist zwar noch nicht abgeschlossen. Doch gemäss Public Eye ist bereits absehbar, dass Rohstoffhändler bei der Gewinnbesteuerung privilegiert werden sollen, besonders im Bereich der Schifffahrt. Die grössten Rohstoffhändler steuern über 2600 Schiffe, einen Grossteil davon aus der Schweiz. «Für Handelskonzerne mit grossen eigenen Flotten könnten sich erhebliche Steuerersparnisse ergeben, da sie ihre eigenen Verträge so umschichten werden, dass die Gewinne in den Schiffsbetrieb fliessen», wird ein Branchenkenner zitiert.

Die «groteske Gier» nach Übergewinnen 

Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass 2022 knapp 2000 Milliarden US-Dollar an Übergewinnen aus der Öl- und Gasförderung ­anfallen. UNO-Generalsekretär António Guterres warf den Energiefirmen im August 2022 denn auch eine «groteske Gier» vor und sagte, es sei «unmoralisch, dass die Öl- und Gaskonzerne auf dem Rücken der ärmsten Menschen und Gemeinschaften Rekordgewinne aus der Energiekrise ziehen, und das zu massiven Kosten für das Klima». An der UNO-Vollversammlung im September 2022 forderte er alle Staaten auf, «diese exzessiven Gewinne zu besteuern» und die Mittel zu verwenden, «um die Menschen, die unter den steigenden Nahrungsmittel- und Energiepreisen leiden», zu unterstützen. International laufen sowohl in der EU wie auch in den USA entsprechende gesetzgeberische Bemühungen.

Doch der Schweizer Bundesrat lehnt eine Übergewinnsteuer bislang ab. Daran könnte die vom Grünen-Präsident und Nationalrat Balthasar Glättli im September 2022 eingereichte parlamentarische Initiative etwas ändern. Diese fordert, dass «deutliche Übergewinne, die in einem Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine» stehen, auf Bundesebene temporär höher besteuert werden. Betroffen wären Unternehmen aus den Sektoren Energieproduktion und -handel sowie Rohstoffhandel und Rüstungsproduktion.


Auch Erdölkonzerne mit Rekordgewinnen

Das Benzin an den Tankstellen und das Gas zum Heizen kostete zeitweise so viel wie noch nie. Die Erdölkonzerne profitierten von rekordhohen Gewinnen. Die neusten Jahresgewinne (nicht Umsätze!) im Einzelnen:

  • Exxon Mobil: 56 Milliarden Dollar;
  • Shell: 40 Milliarden Dollar;
  • Chevron: 36 Milliarden Dollar;
  • Total: 36 Milliarden Dollar;
  • BP: 28 Milliarden Dollar. Das ist der höchste Gewinn der 114-jährigen Firmengeschichte;
  • Aramco: 42 Milliarden (allein im 2. Quartal 2022);
  • Gazprom: rund 40 Milliarden Dollar (allein im ersten Halbjahr 2022);

Einen grossen Teil dieser Milliardengewinne würden die Konzerne ihren Aktionären als Dividende auszahlen und Aktienrückkäufe tätigen (wovon wiederum die verbleibenden Aktionäre profitieren), schreibt die NZZ.

Quelle: NZZ vom 8.2.2023


 

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