Heribert Prantl für die Onlinezeitung Infosperber

Nicht ein Ukraine-Sondertribunal, sondern der vor 25 Jahren gegründete Internationale Strafgerichtshof soll Putin & Co. packen.

Bundesaussenministerin Annalena Baerbock sollte einsehen, dass es die Autorität des Weltstrafgerichts in Den Haag untergräbt, wenn sie jetzt im Einklang mit den Amerikanern ein Ukraine-Sondertribunal fordert.

Putin packen? Ein Sondertribunal nach ukrainischem Recht, wie Baerbock es vorschlägt, könnte das gar nicht, es könnte nur die Handlanger Putins verfolgen. Das reicht aber nicht. Nur beim Weltstrafgericht gilt keine Immunität für aktive Staats- und Kriegslenker.

Gleichwohl: Die Amerikaner wollen unter Aufbietung all ihrer juristischen und diplomatischen Hilfstruppen den von ihnen bekämpften Weltstrafgerichtshof lahmlegen. Die USA bekämpfen den Weltstrafgerichtshof, weil sie ihre Kriege und ihre Kriegführung nicht von einem Weltstrafgericht prüfen und aburteilen lassen wollen. Sie fürchten den Autoritätsgewinn, den die Ankläger in Den Haag und der Weltstrafgerichtshof hätten, wenn dort Haftbefehle gegen Putin, Lawrow und Co. ausgestellt würden.

Weltstrafgerichtshof soll ausgebootet werden

Deshalb soll dieser Weltstrafgerichtshof durch ein Sondertribunal ausgebootet werden, das sich offenbar in Den Haag schon im Aufbau befindet. Das ziemlich dürftige Argument lautet: Das Weltstrafgericht könne ja „nur“ die Kriegsverbrechen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermordsverbrechen untersuchen und bestrafen, wie das 43 Staaten aus allen Kontinenten schon beantragt haben. Beim Verbrechen der Aggression seien aber dem Weltstrafgerichtshof die Hände gebunden; die Statuten geben seine Zuständigkeit nicht her. Das ist richtig. Aber wenn man die Aggressionsverbrechen hinzunimmt, würden die zu erwartenden Strafen ohnehin nicht höher ausfallen.

Der Internationale Strafgerichtshof ist ein Geschenk der Hoffnung

Sehr ins Gewicht fallen die Nachteile eines Sondertribunals: Es würde den weiteren Ausbau einer globalen Strafjustiz verhindern, die auch vor Staatsangehörigen und Staatslenkern einer UN-Vetomacht nicht haltmacht. Das wäre den US-Amerikanern ein Gräuel, weil es auch sie treffen könnte. Deshalb wollen sie ein Sondertribunal, nur Russland und die Ukraine betreffend. Deshalb wollen sie auf diese Weise den Weltstrafgerichtshof, den sie ebenso wenig anerkennen wie Russland und China, schwächen.

Der Internationale Strafgerichtshof, das Weltstrafgericht, braucht Stärkung, nicht Schwächung. Karim Khan, der Chefankläger, hat es sensibel auf den Punkt gebracht: „We don’t want dilution, we want consolidation“ («Wir wollen keine Verwässerung, wir wollen Verbesserung»). Der Internationale Strafgerichtshof muss ausgebaut, seine Statuten müssen verbessert und geschärft werden. Er ist kein „Monster“, wie ihn US-Politiker nennen, er ist ein Geschenk der Hoffnung.

Hoffen wir, dass die Eskalation von Krieg und Gewalt gestoppt werden kann – auch mit justitiellen Mitteln.

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Dieser Kommentar des Kolumnisten und Autors Heribert Prantl erschien am 29. Januar 2023 als „Prantls Blick“ in der Süddeutschen Zeitung.

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