Als Marlene Engelhorn vor gut einem Jahr erklärte, 90 Prozent ihres Erbes spenden zu wollen, sorgte sie für Aufsehen: „Ich habe für mein Erbe keinen Tag gearbeitet und zahle keinen Cent dafür. Besteuert mich endlich.“ Seither engagiert sich die 30-Jährige Millionenerbin für Vermögenssteuern und Verteilungsgerechtigkeit. Engelhorn hat die Initiative „Taxmenow“ gegründet, einen Zusammenschluss vermögender Menschen, der Vermögens- und Erbschaftssteuern für die Reichsten fordert. Jetzt hat Engelhorn angekündigt, jede Spende an das Momentum-Institut zu vervierfachen. Denn dort setzt man sich wie sie für Steuergerechtigkeit ein. 

In ihrem Buch „Geld“ beschreibt Engelhorn ihre Klasse, das reichste Prozent der Gesellschaft, als „eine der schlechtest integrierten Parallelgesellschaften“, die wenig Ahnung vom Leben der restlichen 99% hat. Dennoch bestimmen sie aber deren Lebensbedingungen zu einem wesentlichen Teil, denn das Geld der Reichsten erkauft ihnen nicht nur ein Luxusleben, sondern vor allem Einfluss – in der Wirtschaft, der Politik und in den Medien.

Als Erbin aus einer der reichsten Familien Österreichs stellt sie genau das in Frage: Die Weitergabe von Vermögen in Familiendynastien – sie nennt das feudal, ein Relikt aus vor-demokratischen Zeiten.

“Überreiche Menschen müssen anerkennen, dass ihre Privilegien aus Prinzip ein Unrecht sind”, schreibt Engelhorn in „Geld“.

Mit Arbeit haben Vermögen von hunderten und tausenden Millionen jedenfalls nichts zu tun: “Es ist eine Lüge, dass Arbeit reich macht. Wer nicht in den reichsten zehn Prozent der Gesellschaft ins Leben startet, wird mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nicht reich. Arbeit hin oder her”, gibt Engelhorn zu, was viele Überreiche nicht hören wollen. Dennoch sind die Steuern auf Arbeit deutlich höher als jene auf Erbschaften und Schenkungen in Millionenhöhe.

Die Steuern, die die Geldlobby auf Vermögen und Millionenerbschaften verhindert, fehlen uns allen – für Kindergärten, Krankenhäuser und Gerichte. Engelhorn würde also lieber ordentliche Steuern zahlen als zu spenden, das „gönnerhafte Spendierverhalten der Vermögenden“ ist ihr nicht sympathisch. Doch bis dahin spendet sie einen Teil ihres Geldes dem Momentum-Institut, das sich für Vermögenssteuern und Verteilungsgerechtigkeit einsetzt. Jeden Euro, der bis Ende Dezember an Momentum gespendet wird, will Engelhorn vervierfachen.

Im Interview mit Kontrast erklärt Engelhorn ihre Motivation für die Spendenaktion und warum sie sich so beharrlich gegen die Übermacht ihrer Klasse einsetzt.

INTERVIEW MIT MARLENE ENGELHORN

Kontrast: Reiche Menschen sprechen nicht gerne über ihr Vermögen. Darum umgeben sie sich gerne mit Leuten, die selbst reich sind oder dafür bezahlt werden, ihren Reichtum nicht zu hinterfragen”, schreibst du in deinem Buch. Wie wichtig ist reichen Menschen ihr Geld und haben sie ein Unrechtsbewusstsein?

Marlene Engelhorn: Überreiche Menschen definieren sich über ihr Geld, vor allem ihr Vermögen. Ich kann nicht für alle sprechen, aber meistens identifizieren sich Überreiche so stark mit ihrem Überreichtum, dass alles, was ihn in Frage stellt, bedrohlich für die eigene Identität wirkt. Das Unrechtsbewusstsein ist schon da, aber sehr abstrakt und es sind auch immer die andern: Die andern sind reicher und man selbst macht ja eh, was man kann und spendet und isst nur Bio im Privatjet und so weiter. Die Allerwenigsten wissen, wo sie sich in der Vermögensverteilung befinden und glauben, sie gehörten zur „oberen Mittelklasse”. Das ist das Ergebnis, wenn Vermögende sich abschotten und in einer realitätsfremden Welt leben. Eine Gesellschaft darf sich auf deren Gewissen nicht verlassen, man sieht ja, dass dann die Schere nur weiter auseinander klafft, weil Überreiche alle glauben, sie seien die eine Ausnahme, die berechtigterweise hortet.

Du bist der Meinung, dass du deine Erbschaft nicht verdient hast – wie kein Millionenerbe deiner Meinung nach. Deshalb sprichst du sehr viel über dein Geld – privat und öffentlich, um ein Gespräch darüber möglich zu machen. Die öffentliche Debatte, wer zu viel hat und wer zu wenig, die fehlt? Warum wäre sie wichtig?

Mir kommt schon vor, dass langsam mehr darüber gesprochen wird. Aber Vermögen bedeutet Macht und die beste Möglichkeit, diese Macht zu sichern, besteht darin, sie zu verschleiern. Wenn also die Verteilungskämpfe in die Mittelklasse und das Prekariat verlegt werden, dann hilft das der Intransparenz von Überreichen und festigt schlussendlich ihre Vormachtstellung.

Man wird nicht überreich durch Arbeit, sondern durch Geburt, aber es sollte in einer Demokratie keine dynastischen Herrschaftsprivilegien geben.

Es ist so wichtig, transparent zu machen, wem welche Vermögen gehören, weil wir dann ein klareres Bild davon haben, wer sich über die Demokratie stellen will und über sein Geld Einfluss nimmt; auf Politik, Medien und Wirtschaft. Mal abgesehen davon hat uns der unhinterfragte Exzess der Überreichen überhaupt erst die Krisen gebracht:

Vermögende haben die größten CO2-Fußabdrücke, schwimmen in Übergewinnen, können über den Finanzmarkt Geld horten und dank Steuerungerechtigkeit aus der Gesellschaft, und somit aus dem Budget für öffentliche Infrastruktur, wie etwa Krankenhäuser, Schulen, öffentlichen Verkehr, Grundlagenforschung, Rechtsstaat, etc. ziehen.

Das Geld, das du erben wirst, ist in Fonds angelegt und du fragst dich: Woher kommt das Geld. Das hat mit der Arbeit anderer Leute zu tun, oder?

Überreiche Familien haben ihr Geld geparkt, in Stiftungen, in Finanzprodukten wie Fonds, in Unternehmen, in Immobilien, etc. Es ist generell problematisch, dass es zu wenig Daten zur Verteilung der Vermögen gibt. Unter welchen Bedingungen wurden solche Vermögen gehortet? Wessen Arbeit wurde genutzt und wird verschleiert, um die Gewinne ungleich zu verteilen? Nehmen wir die Kapitalerträge: Wenn ich mit Geld Aktien kaufe, gehört mir ein Teil des Unternehmens und ich habe Anspruch auf einen Teil des Gewinns, das ist mein Ertrag.

Mein Geld „arbeitet” aber nicht, sondern die Menschen, die im Unternehmen angestellt sind. Warum bekomme ich einen Teil des Gewinns, den diese Menschen erarbeiten?

Und selbst wenn wir das gut finden: Warum wird dieses leistungslose Einkommen so niedrig besteuert? Das ist doch absurd! Ungleichheit hat System, ist also nicht natürlich: Wir haben sie hergestellt und wir können sie abschaffen.

Umgekehrt macht Arbeit aber nicht reich, selbst wenn man gut verdient. Beziehungsweise sind wir da beim Unterschied zwischen Einkommen und Vermögen, der dir sehr wichtig ist. Warum?

Oft wird von der Vermögensdebatte die Abzweigung in die Einkommensdebatte genommen, weil das viel mehr Menschen betrifft, die kein Vermögen haben und weil man dann dort die Verteilungskämpfe anfachen kann. Aber es ist nicht zu verwechseln! Die Vermögensungleichheit in Österreich sieht so aus: ein Prozent, also ca. 40.000 Haushalte, besitzt 50 Prozent aller Vermögen in Österreich. Gleichzeitig hat die Hälfte der Österreicher:innen nur Zugang zu etwa drei Prozent der Vermögen oder hat Schulden.

Die wenigsten haben eine Vorstellung davon, was das heißt und ob es sie betrifft. Schulden über Kredite zB sind eine wichtige Vermögenskategorie. Runtergebrochen: Vermögende besitzen das Land und die Immobilien, in denen die arbeitenden Menschen wohnen und wofür sie Miete und manchmal auch Kredite bezahlen. Sie besitzen die Unternehmen, wo sie Gehälter und Warenangebote gestalten, sie besitzen Medienhäuser, wo sie mitreden, was öffentlich wie besprochen wird, sie spenden an Parteien und bekommen Netzwerke in die Politik auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene, wo Steuerprivilegien für Überreiche, Vergaben von Kulturförderungen an Motorsportunternehmen und Ortsentkernungen durch Grundverkauf an Supermarktkonzerne entschieden werden. Dieser Einfluss gestaltet unsere ganze Gesellschaft! Er muss transparent gemacht und reguliert werden.

Engelhorns erster Auftritt im ORF im April 2021 sorgte für großes Aufsehen.

Du hoffst durch deine Offenheit im Sprechen über (dein) Geld eine demokratische, öffentliche Diskussion über Vermögen, Erben, Steuern und Gerechtigkeit anzustoßen. Hoffst du auf die Einsicht und Selbstreflexion deiner Klasse oder auf die Stärke der unteren 50% oder 90%, die sich gegen die Reichenlobby durchsetzen können?

Auf meine Klasse der Überreichen, also auf das reichste Prozent, ist kein Verlass: Sie haben schon genug Geld, um viel Gutes im öffentlichen Interesse zu tun, aber was passiert? Sie horten weiter und polieren mit Spenden ihr Image, die nur einen winzigen Bruchteil ihres Vermögens ausmachen. In der Zivilgesellschaft aber passiert schon wahnsinnig viel. Die Menschen aus den genannten 50-90 Prozent wissen, dass das System ungerecht ist und kaputt. Es wird zwar von der Lobby des großen Geldes viel Narrativarbeit gemacht, um so zu tun, als wären die Ungleichheit alternativlos und Überreichtum systemrelevant, aber das ist Quatsch. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Gesellschaft die Ungleichheit überwinden wird und zwar auf eine demokratische, öffentliche und partizipative Art und Weise, etwa über soziale Bewegungen. Das wird dauern, aber es ist die Mühe wert.

Mich frustriert am meisten zu sehen, dass in Österreich der politische Wille fehlt, endlich Entscheidungen mit Rückgrat für alle Menschen, statt nur für die Vermögenden zu treffen.

Du hast viel Hoffnung in das politische Engagement von Menschen, in die Wiederbelebung demokratischer Mitbestimmung. Heute glauben viele eher, man könne die Welt durch bewussten Konsum verändern und nicht durch Politik. Dem widersprichst du …

Es ist eine Feigheit, die politische Gestaltung an Konsument:innen abzutreten, und eine Lüge. Die Aufgabe der Politik ist, das Miteinander im Sinne aller zu gestalten. Und es gibt tolle Modelle, etwa Bürger:innenräte, wo Menschen nach einem repräsentativen Schlüssel an wichtigen gesellschaftspolitischen Debatten teilnehmen und Lösungsansätze formulieren können. Der Klimarat hat ganze Arbeit geleistet. Auch Volksbegehren werden initiiert und zeigen, es gibt Willen zur Veränderung in einer aktiven Zivilgesellschaft. Unser Parlament dagegen liefert nur ein Armutszeugnis, insbesondere die Regierung.

Die Demokratie ist eine Herrschaftsform, kein Service und die Konsumwelt ersetzt nicht die Gesetzgebung. Demokratie verlangt nach Haltung und Anerkennung unterschiedlicher öffentlicher Interessen, die in einem transparenten Prozess in die Gesetzgebung einfließen sollen. Wenn es alle etwas angeht, sollen alle entscheiden, das ist der Kern. Überreiche kontrollieren in der Konsumwelt aber das Angebot, aus dem alle anderen dann wählen können, und in manchen Fällen auch den Preis, was den Zugang zum Angebot ebenfalls ungleich macht. Wenn wir also die Entscheidungen auf der Konsumebene austragen, dann überlassen wir denen, die entscheiden, was es zu konsumieren gibt, die ganze Gestaltungsmacht. Das ist nicht nur undemokratisch, es ist gefährlich.

Du schreibst: “Mir ist die Welt von 99% der Gesellschaft fremd”. Und doch bestimmen Menschen mit deinem Vermögen die Welt der 99% – durch ihren Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Medien. Das widerspricht dem demokratischen Prinzip?

Ganz genau, denn die Vermögenden haben ja kein Mandat. Niemand hat sie darum gebeten, sich als Herrschende aufzuführen. Sie sind niemandem zur Rechenschaft verpflichtet und dürfen trotzdem mit dem Leben der 99 Prozent spielen. Wir kennen das, das nennt man Feudalismus und wir haben ihn nicht grundlos abgeschafft. Aber eben nur formal.

Vermögen als Machtfaktor müssen gerecht verteilt werden, damit sich so eine Schieflage in der Macht nicht festigen kann.

Dafür braucht es Transparenz darüber, wer auf welche Art und Weise Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Medien nimmt, es braucht aber auch konkrete politische Maßnahmen. Vieles kennen und können wir schon, Stichwort: Steuerpolitik, ein demokratisches Mittel, um Vermögen und damit Macht nach demokratischen Prinzipien umzuverteilen – damit sich eben kein paralleles Schattenherrschaftssystem entwickeln kann.

„Vermögensungleichheit zerreißt das Miteinander“, das ist die These von Marlene Engelhorn. In ihrem Buch „Geld“ spricht die Millionenerbin über ihr Vermögen und darüber, was Geld mit Menschen und ihren Beziehungen zueinander macht.

Du setzt einen Teil deines Geldes ein, um ein Gegengewicht zu unterstützen – das Momentum Institut, das sich – wie du – für Steuergerechtigkeit engagiert. Warum?

Das Momentum Institut leistet in meinen Augen einen unglaublich wichtigen Beitrag zu den Daten, Zahlen und Fakten, die öffentlich besprochen werden. Sie engagieren sich über die Steuergerechtigkeit hinaus zu unterschiedlichen Themen, zeigen, wie komplex diese Dinge verwoben sind und das in einer Sprache auf Augenhöhe, die im 21. Jahrhundert angekommen ist. Sie sind aber vor allem auch transparent und unabhängig. Das sind klare Werte, denen kann ich mich anschließen. Kein anderer Thinktank in Österreich, von dem ich wüsste, ist transparent und unabhängig.

Gleichzeitig bist du aber auch sehr kritisch gegenüber Spenden und Charity von Überreichen. Was ist das Problem, wenn reiche Leute ihr Geld verschenken?

Überreiche Menschen, die entscheiden dürfen, wohin sie ihr Geld spenden, entscheiden gleichzeitig, was vermeintlich wichtig ist. Das zivilgesellschaftliche Engagement wird dazu genötigt, sich am Spendenverhalten der Überreichen zu orientieren, um Förderungen zu erhalten. Nicht ausschließlich, aber das ist nicht zu unterschätzen. Gleichzeitig entsteht eine Abhängigkeit der Gesellschaft vom gönnerhaften Spendierverhalten der Vermögenden, um die soziale Infrastruktur aufrecht zu erhalten. Es geht aber alle etwas an, wie unsere Gesellschaft aussieht. Wir haben eigentlich einen Sozialstaat, der aber kaputtgespart wird, um die Privatvermögen des reichsten Prozents zu schützen, damit diese Überreichen dann eine lächerliche Version von Wohltätigkeit als glorreiche Alternative mit ihrem Namen drauf anbieten können. Charity ersetzt keine Gerechtigkeit. Das geht sich hinten und vorne nicht aus und widerspricht unserer Demokratie. Menschen wie ich müssen auf ihre Vermögen, Erbschaften, Kapitalerträge, etc. gerecht besteuert werden, wie alle anderen auf ihre Arbeit ja auch.

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