„I want you to panic!“ Kaum ein anderer Satz von Greta Thunberg hat mehr Kritik und Widerstand ausgelöst. Mir ging es genau umgekehrt. Auf mich wirkte er wie ein Hammer, der alten Mörtel von Ziegeln klopft, inneren Mörtel, versteht sich.

Sie sei eben eine Jugendliche, hieß es noch in den freundlichsten Berichten; genau umgekehrt, tönte es, müsse man auf die Klimakrise reagieren, umsichtig, mit Bedacht, erwachsen. Nein, dachte ich, das haben wir die letzten 30 Jahre getan, oder jedenfalls so getan als ob. Und jedes Mal drängten sich andere, emotionale Themen in den Vordergrund. Jeder Faschingszug, jedes Bundesligaspiel, jede Ministerpräsidentenwahl im unbedeutendsten Bundesland war und ist wichtiger, weil emotional besetzt, als die Klimakrise. Die Gesellschaft reagiert eben nicht umsichtig, mit Bedacht und erwachsen, sondern ratlos, neurotisch und kindisch. Von außen gesehen: geistesgestört.

Und ich? „I want you to panic!“, sollte ja bedeuten: Nehmt sie endlich ernst, die Klimakrise. Tut nicht so, als gebe es sie nicht. Unser Bus fährt in Richtung Wand, die Wand ist schon in Sichtweite, und ihr diskutiert über die Farbe des Lenkrads, die Fenstervorhänge und den rappeligen Scheibenwischer. Nicht nur in der Politik reagierte man überheblich und mit Wegschauen, auch in den größten Teilen der Wirtschaft und der Kirchen – von Papst Franziskus einmal abgesehen. Auch in meinem Umfeld machten und machen so gut wie alle weiter wie bisher: vergnügen sich nach allen Regeln und Möglichkeiten der Konsumgesellschaft – endlich, nach Covid! –, genießen, solange das Zeug hält, und verhalten sich im Großen und Ganzen wie die Menschen zu Pestzeiten, als man ein rauschendes Fest nach dem andern feierte, denn dieses könnte ja das letzte sein.

Und ich? Mir ging es eine Weile gesundheitlich ziemlich mies. Ich hatte also einen guten Grund, für Besorgungsfahrten das Auto zu nehmen anstelle des E-Bikes. Außerdem ist es ja kalt. Und wenn ich nicht aufpasse, werde ich meine nächste Jeans nicht im Secondhand-Laden kaufen, sondern neu. Meine letzten Bücher habe ich gleichfalls neu bestellt und nicht als bereits gelesene. Auch ich nehme „I want you to panic!“ längst nicht ernst genug, aber ich weise den Appell auch nicht zurück. Ich versuche meinen Lebensstil immer verantwortungsvoller zu gestalten, auch wenn mir bewusst ist, dass ich damit nahezu nichts ändere. Trotzdem. Der Appell ist nicht nur ernst gemeint, er ist ernst. Die jüngsten Berichte des IPCC sagen das Gleiche aus, nur eben wissenschaftlich formuliert, so dass man darüber nachdenklich mit dem Kopf wackeln kann, bevor man zum „business as usual“ zurückkehrt.

Die russische Invasion der Ukraine löste Schockwellen aus, nicht aber die globale Bedrohung der menschlichen Zivilisation. Da höre ich allenthalben, das eine sei konkret, das andere viel zu abstrakt. Nur: Faktisch ist das falsch. Die ukrainischen Schockwellen entstehen nicht dadurch, dass der Russe in Deutschland einmarschieren will, sondern durch die Art, wie darüber berichtet und wie die russische Invasion politisch instrumentalisiert wird. Die Dürresommer und Waldbrände, die Überschwemmungen und Tornados in Deutschland sind Realität, faktisch greifbar und nachprüfbar –und nicht durch Einschaltquotenwünsche erzeugt oder gesteuert. Zwischen dem Jahr 1800 und dem Jahr 1900 weiß man von vier Tornados in Deutschland, in den hundert Jahren zwischen 1900 und 2000 waren es 16, und in den 22 Jahren seither waren es schon 26. Wo aber bleiben die Schockwellen? Mich haben sie erreicht, aber meist fühle ich mich damit einsam. Wo bleibt der Klimabericht vor Acht? Er ginge uns alle an, der Börsenbericht vor Acht juckt nur wenige.

Gestern berichtete der deutsche Einzelhandelsverband über große Zufriedenheit im Weihnachtsgeschäft. Die Biobranche hingegen verzeichnet zweistellige Verluste. Und die Schockwelle?