Die UN-Kampagne „Orange The World“ macht seit 1991 auf Gewalt aufmerksam – vom Internationalen Tag zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen am 25. November bis zum 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte. Dann zeigen auf der ganzen Welt Menschen, Organisationen, Städte und Unternehmen mit der Farbe Orange ihre Solidarität und die Nulltoleranz gegen Gewalt an Frauen. Darüber unterhalten wir uns im Interview mit Elke Ferner, Vorstandsvorsitzende von UN Women Germany[1].

Liebe Frau Ferner, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für ein Interview nehmen. Mit der Kampagne ‚Orange The World‘ machen Sie auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam. Eines vorab: Warum die Farbe Orange?

Die Farbe Orange symbolisiert eine bessere, gewaltfreie Zukunft. Die Signalfarbe an sich hat direkt keine Bedeutung wie beispielsweise die Regenbogenflagge. Im Gegenteil ist sie frei von Stereotypen und anderen Assoziationen. Daher ist sie ideal, denn wir verleihen ihr Bedeutung, indem wir Farbe bekennen, orange tragen oder auch Gebäude in oranger Farbe anstrahlen zu lassen.

Geschlechtsspezifische Gewalt ist nicht gleich verteilt. Welche Unterschiede stellen Studien in verschiedenen Ländern oder anhand anderer körperlicher oder sozialer Merkmale bei Frauen fest?

Man kann sagen, dass Frauen in allen Ländern von geschlechtsspezifischer Gewalt in einem deutlich höheren Maß betroffen sind als Männer. Das hat immer etwas mit Macht und Machtgefälle zu tun. Es geht nicht nur um physische, sondern auch um psychische Gewalt. Viele Männer nutzen ihre Machtpositionen aus, um Frauen Gewalt zuzufügen.

Dabei ist es auch wichtig darauf hinzuweisen, dass geschlechtsspezifische Gewalt keine sozialen Schichten kennt. Die Professorin kann genauso betroffen sein wie die Krankenschwester oder die Hausfrau.

Aber natürlich ist es so, wenn wir in Länder schauen, in denen die Position der Frauen auch formalrechtlich schlechter ist als die der Männer, dann ist das Machtgefälle dortnoch größer. Dort wird Frauen dann auch vom Staat Gewalt angetan nicht nur von Individuen.Dabei kann keine Kultur, Religion o.ä. Gewalt an Frauen rechtfertigen.

Orange the World – Stopp die Gewalt gegen Frauen – 25. November

Statistiken ergeben, dass 2021 alle 45 Minuten eine Frau körperliche Gewalt durch ihren Partner ausgesetzt war. Nun ist es nicht immer leicht, um Hilfe zu bitten, oder diese zu finden. Welche Hilfs- und Beratungsangebote empfehlen Sie Frauen, die in ihrer Beziehung von Gewalt betroffen sind?

Zunächst einmal sollten Sie sich an eine Fachberatungsstelle wenden, sofern eine in Ihrer Nähe ist oder sich an das das bundesweite Hilfstelefon „Gewalt gegen Frauen“ wenden. Es ist unter der Nummer

08000 116 016

zu erreichen und 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr besetzt. Hier erhalten Frauen Unterstützung in 17 verschiedenen Sprachen, völlig anonym und kostenfrei. Sie können auch erfahren, wo es in der Nähe Frauenhäuser gibt.

Natürlich kann Frau sich auch an die Polizei wenden. Die Beamt*innen kommen und bringen die betroffene Frau an einen sicheren Ort. Schließlich kann es auch um Leben und Tod gehen. Es ist nicht nämlich nicht nur so, dass alle 45 Minuten Frau in der Beziehung Gewalt ausgesetzt wird. Jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Frauen sollten sich trauen, sich Unterstützung zu suchen. In der Gewaltsituation zu bleiben, hilft am Ende nicht weiter.

Aber auch das persönliche Umfeld des Opfers, z.B. Bekannte, Arbeitskolleg*innen, Nachbar*innen können sich an das Hilfetelefon wenden, wenn sie nicht wissen, wie sie dem Opfer am besten helfen können.

Eine der Kernbotschaften von ‚Orange the World‘ ist, dass Gewalt gegen Frauen alle Geschlechter betrifft. Inwiefern sollten sich auch andere Geschlechter durch diese Situation angesprochen fühlen? Was kann getan werden?

Eines vorab: Selbstverständlich sind nicht alle Männer gewalttätig. Männer sind als Verbündete im Kampf für Gewaltfreiheit besonders gefragt: In der eigenen Community kann man oft am meisten erreichen. Wir brauchen Männer an unserer Seite, die dabei helfen, die Strukturen zu ändern und das Gewaltgefälle ein für alle Mal abzubauen, damit eine reale Gleichberechtigung herrscht.

Im Zuge von ‚Orange the World‘ fordert UN Women Deutschland, die konsequente Umsetzung der sogenannten Istanbul-Konvention. Können Sie uns mehr über die Ziele dieser Schrift verraten?

Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, das 2011 in Istanbul beschlossen wurde, ist eines der bedeutendsten Übereinkommen zur Sicherung der Frauenrechte, die es in Europa gibt. Auch, weil Staaten involviert sind, die nicht Teil der EU sind. Die Istanbul-Konvention verlangt, alle Frauen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, ihrer Herkunft oder Behinderung zu vor Gewalt zu schützen.

UN Women Deutschland fordert die vollständige, konsequente und schnelle Umsetzung der Istanbul-Konvention, damit alle Frauen – unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Alter, ihrem Aufenthaltsstatus, ihrer Hautfarbe, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität – und ihre Kinder vor geschlechtsspezifischer Gewalt geschützt werden und gesicherten Zugang zu Hilfesystemen haben.

In Deutschland sind nach unserer Verfassung die Länder für die Finanzierung des Hilfesystems zuständig. Wir brauchen eine bedarfsgerechte und bundeseinheitliche Finanzierung des Hilfesystems, insbesondere der Frauenhäuser und Fachberatungsstellen, aber auch von Angeboten im Anschluss an den Aufenthalt im Frauenhaus. Und wir brauchen eine bessere Anwendung des Gewaltschutzgesetzes. Nicht die Opfer, sondern die Täter sollen die Wohnung verlassen müssen. UN Women Deutschland fordert einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe, damit es egal ist, ob Gewaltopfer in Berlin oder Bayern leben.

Jede Frau muss überall gleich geschützt sein.

Was würden Sie sagen, ist die Rolle der sozialen Medien beim Thema Gewalt gegen Frauen? Welches gewaltsame oder friedensstiftende Potenzial steckt in ihnen?

Wir sehen es häufig, dass Frauen, die sich online zu feministischen Positionen bekennen, in einem Ausmaß an Drohungen und verbaler Gewalt betroffen sind, wie es bei Männern nicht der Fall ist. Wir haben bei einer unserer eigenen Kampagnen festgestellt, dass für gleiche Inhalte .Frauen öfter Hassreden als Männer erhielten. Das ist mehr als besorgniserregend und zeigt, dass im Netz Hass und Hetze hemmungslos eingesetzt werden als im offline-Leben. Schließlich würde sich wahrscheinlich niemand auf offener Straße trauen, einer fremden Frau solche wüsten Bedrohungen an den Kopf zu werfen.

Das Netz darf kein straffreier Raum sein. Auch hier sollte es die selben Grenzen geben, um zwischen Meinungsfreiheit und Belästigung wie im richtigen Leben zu unterscheiden.

Natürlich kann Social Media auch dazu genutzt werden, um Awareness zu generieren. Nehmen Sie nur das Beispiel #metoo. Doch auch hier sieht man, dass Frauen, die solche Hashtags benutzen, einen höheren Preis zahlen müssen als Männer.

Wollen Sie ein paar abschließende Worte zu der diesjährigen Kampagne und den Botschafter*innen sagen?

Wir sind froh und überaus dankbar, dass wir auch dieses Jahr große Unterstützung durch unsere Botschafter*innen, Kommunen, Frauenbüros oder Behörden haben. Gewalt gegen Frauen fängt mit Alltagsdiskriminierung an und hört mit Femiziden auf, deswegen brauchen wir die ganze Bandbreite an Unterstützung, damit es eine klare Haltung in der gesamten Gesellschaft gibt und

Gewalt an Frauen am Ende keine Option der Konfliktlösung darstellt.

Wir hoffen, dass wir dieses Jahr mehr Menschen für das Thema sensibilisieren können und auch finanzielle Unterstützung erhalten. Jede Spende kann Frauen dabei helfen, in Krisensituationen verlässliche Hilfe zu erhalten. Dazu wollen wir einen möglichst großen Anteil beitragen.

Auch Sie können Farbe bekennen und etwas spenden: https://unwomen.de/jetzt-spenden/

Vielen Dank für Ihre Antworten, Frau Ferner.


[1] Die Parlamentarische Staatssekretärin a.D. und langjährige Bundestagsabgeordnete Elke Ferner war bis Juni 2018 Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF). Seit 2021 ist sie Vorsitzende von UN Women Germany.