Mein Bücherregal beherbergt zum Teil Ausgaben, die ich mir in meinen späten Teenie oder frühen 20er Lebensjahren gekauft habe und die ich nach wie vor in Ehren halte, weil sie mir damals viel gaben und ich sie immer griffbereit für eine neue Lektüre haben möchte. Mittlerweile gibt es zu den „alten“ Ausgaben ab und an eine Neuübersetzung. Dabei ist mir vor der Lektüre immer ein wenig bang. Wird die Lektüre mir immer noch so viel geben wie damals? Gründe für diese Angst gibt es zweierlei: Einerseits natürlich wegen der Zeitspanne, die seit der früheren Lektüre ins Land ging und andererseits wegen möglicher Diskrepanzen zwischen der sprachlichen Ausgestaltung der Übersetzung und der inhaltlichen Komponente. Glücklicherweise waren diese Bedenken bei der Neuausgabe von Ray Bradburys Fahrenheit 451 völlig unbegründet.

Über den Inhalt von Bradburys Fahrenheit 451– wir wissen, das ist die Temperatur, bei der Papier Feuer fängt – muss ich wohl nicht viel erzählen. Es geht um Feuerwehrmänner, die nicht im gedachten Sinn löschen, sondern Bücher verbrennen und damit vieles andere aus-löschen. Sie leben in einer Welt, in der alles gelenkt wird, in der die Menschen abhängig sind von vielem und Glück ein nur noch abwesendes Gefühl ist, außer man lässt sich durch Drogen in einen Glück vorgaukelnden Zustand versetzen.

Als der Feuerwehrmann Guy Montag auf die 17 jährige Clarisse trifft und diese ihn fragt, ob er glücklich sei, passiert etwas mit ihm. Seine Frau kommt beinahe durch eine Überdosis Schlaftabletten um und als die medizinische Abteilung ihr Leben rettet, indem sie quasi alles an ihr austauscht, beginnt bei Montag ein Denkprozess, der schlussendlich dazu führt, dass er sich gegen die herrschenden Strukturen wendet.

Peter Torberg hat dem 1953 von Ray Bradbury verfassten dystopischen Roman mit seiner Neuübersetzung eine emotionale Ebene gegeben, die mich überrascht und direkt getroffen hat. Gleich zu Beginn des Buches, als Montag auf Clarisse trifft, hatte ich das Gefühl, eine ganz andere Clarisse zu lesen, als ich sie kannte. Neugierig auf die Welt kamen sie mir beide vor, die Clarisse aus meiner Erinnerung aber war weniger fein gezeichnet und nicht von diesem poetischen Hauch umweht, den sie in der Neuübersetzung, die der 2003 vom Autor überarbeiteten Ausgabe folgt, eindeutig mit sich bringt. Es waren nicht so sehr alleine einzelne Worte, als viel mehr der ganze Fluss des Textes, der viel geschmeidiger war.

Das Herbstlaub wehte über den vom Mond erhellten Gehweg, und das Mädchen schien zu gleiten, als würden Wind und Blätter sie vorwärts tragen. Sie hatte den Kopf leicht geneigt und beobachtete, wie ihre Schuhe in den wirbelnden Blättern rührten. Ihr Gesicht war schmal und milchig weiß, und es lag eine sanfte Gier in ihrem Blick, der alles mit unermüdlicher Neugier erfasste. Ein Blick sanften Staunend eigentlich; die dunklen Augen saugten sich so sehr fest an der Welt, dass ihnen nichts entging. Das Kleid war weiß und wisperte.

Obwohl es nun auch schon eine Weile her ist, dass ich diese großartige Neuübersetzung quasi inhaliert habe, kann ich mich genau daran erinnern, dass ich meine alte Ausgabe von 1981 aus dem Regal holte und die Stelle erstaunt verglich. Während mir Torbergs Clarisse so nah kam, verschreckte mich die Clarisse aus der Übersetzung von Fritz Göttinger geradezu. Klar war 1981 schon, dass mir das Buch immer wichtig sein würde, schon wegen der Thematik, die man in unserer aktuellen Lebensrealität durchaus wiederfinden kann. Dass mich die Geschichte aber auf einer ganz anderen, einer menschlichen, einer verbindenden Ebene erreicht hat, das ist alleine der wirklich wunderbaren Übersetzung Peter Torbergs geschuldet.

Solltet ihr Fahrenheit 451 noch nicht kennen, dann wird es sowieso Zeit für die Lektüre. Solltet ihr die frühere Ausgabe kennen, dann lege ich euch die Neuübersetzung von 2020 sehr ans Herz, sie stösst neue Denkprozesse an und ist dabei ein sprachlich sehr schönes Leseerlebnis. Hier schlägt nicht mehr Inhalt Sprache, sondern die Sprache verhilft dem Inhalt zu neuer Wahrhaftigkeit.

Fahrenheit 451 von Ray Bradbury in der Neuübersetzung von Peter Torberg ist als Hardcover 2020 im Diogenes Verlag erschienen. Für mehr Infos per Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder auf der Verlagsseite.

Rezension von

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