Die Unanständigkeit der Macht und die Manipulation der kollektiven Vorstellungskraft summieren sich zu der schändlichen Entscheidung der britischen Innenministerin Priti Patel, die Auslieferung des australischen Whistleblowers Julian Assange an die USA zu genehmigen. Assange, der Gründer von Wikileaks, ist von Washington der Spionage in 17 Fällen und angeblicher Cyberkriminalität in einem Fall angeklagt.

Das Kuriose an der ganzen Sache ist, dass die Vereinigten Staaten nie die Fakten geleugnet haben, die in den 700.000 Dokumenten des Weißen Hauses und des Pentagons enthüllt wurden – vor allem bezüglich der Barbareien, die die Vereinigten Staaten im Irak und in Afghanistan begangen haben und die von Wikileaks geleakt wurden: Folter, Morde, Massaker, Spionage, Manipulation. Mit anderen Worten: Sie wollen den Whistleblower, nicht die Täter, mit 175 Jahren Gefängnis bestrafen (die wohl kaum jemand absitzen kann). Die Wahrheit wurde ermordet. Der Journalismus auch.

In einer Erklärung des britischen Innenministeriums heißt es in vermeintlich humanitären Tönen, dass die Auslieferung nicht repressiv, unfair oder verfahrensmissbräuchlich sein dürfe und auch nicht mit Assanges Menschenrechten, einschließlich seines Rechts auf ein faires Verfahren und Meinungsfreiheit, unvereinbar sei. Assange wurde 2019 verhaftet, nachdem er mehr als sieben Jahre als Flüchtling in der Botschaft Ecuadors in London verbracht hatte.

Er wird im Gefängnis bleiben, weil es für die westliche und christliche Macht weitaus besser ist, ihn zu kriminalisieren, als die Schuld für Völkermord, Folter und all das Elend der Militär- und Regierungsaktionen nicht nur der USA, sondern auch ihrer Verbündeten, insbesondere Großbritanniens, auf sich zu nehmen. Diejenigen, die ihn verurteilen, sind diejenigen, die inhaftiert und vom Internationalen Gerichtshof verurteilt werden sollten für all die schweren Verbrechen, die nie bestritten worden sind.

Die Scheinheiligkeit und Falschheit von Patels Aussagen wird angesichts der Enthüllungen über die illegale Bespitzelung von Assange durch den US-Geheimdienst Central Intelligence Agency CIA deutlich, bei der Gespräche zwischen ihm und seinen Anwälten abgehört wurden, um die Verteidigungsstrategien des Angeklagten zu untergraben.

Zum x-ten Mal machen die Medien publik, was die Vereinten Nationen als Folter bezeichnet haben: Assanges Behandlung im britischen Guantanamo, wo er nach mehr als einem Jahrzehnt Hausarrest und Einzelhaft festgehalten wird. Die „Nachrichten“ über Assange sind keineswegs gerichtliche Notizen. Sie erzählen vielmehr von der Gewalt, die ihm zugefügt wurde. Er ist ein isolierter Außenseiter, ein depressiver Asperger, der kurz vor dem Selbstmord steht, sagt Victor Sampedro.

Assange wird in einer Endlosschleife hingerichtet. Die Medien, die von seinen Leaks profitiert haben, machen seine Bestrafung öffentlich und vertuschen seine Taten. Sie fungieren lediglich als Notare und Schoßhunde der Folterer. Assange wäre frei, wenn auch nur einer der Redakteure, die seine Leaks veröffentlicht haben – zum Beispiel in El País, Le Monde, der New York Times oder dem Guardian – sich der Vorwürfen gegen den australischen Hacker selbst für schuldig bekannt hätte, fügt er hinzu.

Indem man sich des Verbrechens, Wahrheiten zu untersuchen und aufzudecken, schuldig macht, kann man Journalismus betreiben. Indem sie sich selbst belasteten, erkämpften Feministinnen das Recht auf Abtreibung, und das aufmüpfige Volk setzte dem Militärdienst ein Ende, erinnert sich der Spanier.

„Alle in diesem Land, denen die Meinungsfreiheit am Herzen liegt, sollten sich zutiefst schämen, dass die Innenministerin die Auslieferung von Julian Assange an die USA genehmigt hat – an das Land, das seine Ermordung geplant hat“, heißt es in der Wikileaks-Erklärung. Amnesty International war empört. Die Generalsekretärin Agnès Callamard warnte, dass die Genehmigung der Auslieferung von Julian Assange an die USA „eine verstörende Botschaft an Journalistinnen und Journalisten auf der ganzen Welt sendet“.

Assange um jeden Preis zum Schweigen bringen

Mehrere aufeinanderfolgende US-Regierungen haben immer wieder imaginäre Verbrechen gegen ihn erfunden. Eine Person, die keiner Macht diente, sondern daran arbeitete, die internationale Öffentlichkeit zu informieren, kann nicht der Spionage beschuldigt werden.

Außerdem schränkt diese Entscheidung das Recht der Gesellschaft auf Information auf unerträgliche Weise ein. Seit April 2019 ist Julian Assange im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh inhaftiert, seit 2010 wird er von den Regierungen der USA, Schwedens und Großbritanniens juristisch verfolgt.

Es ist klar, dass die Manöver zwischen Washington und London zur Vollendung der Justizfarce eine unmissverständliche Botschaft der Bestrafung an die gesamte journalistische Zunft der Welt darstellen: Die öffentliche Macht dieser Nationen duldet es nicht, in ihren kriminellen Handlungen, in ihrer Korruption und Unanständigkeit bloßgestellt zu werden, und wird sich an denen rächen, die es wagen, ebendies zu tun, heißt es in einem Leitartikel der mexikanischen Tageszeitung La Jornada.

Assange hat der Transparenz und Information einen überragenden Dienst erwiesen, indem er La Jornada (wie auch anderen Medien auf der ganzen Welt) Tausende von diplomatischen Kabelnachrichten übergab, die von der US-Botschaft und den Konsulaten in diesem Land an das Außenministerium geschickt wurden und in denen die Zersetzung der Regierung von Felipe Calderón und deren Unterwerfung unter Washington im Rahmen der Merida-Initiative aufgezeichnet waren.

Dutzende von internationalen Organisationen haben die Schandtaten, die Willkür und die Verletzungen der Grundrechte im Prozess gegen den Gründer von WikiLeaks angeprangert, darunter das Büro des Berichterstatters der Vereinten Nationen über Folter und Amnesty International, aber die Entscheidung war auf höchster Ebene der US-amerikanischen und britischen „Geheimdienste“ getroffen worden: Der Bote muss zum Schweigen gebracht, vernichtet werden.

Im Internet ist immer noch das Video «Collateral Murder» zu finden, das aus einem Militärhubschrauber heraus die Tötung von 12 Zivilist:innen – darunter zwei Reuters-Journalisten – im von den USA besetzten Bagdad im Juli 2007 aufzeichnete. Das Video zeigt den Moment, in dem die Gruppe von Zivilist:innen von der Hubschrauberbesatzung beschossen wurde, und wie diese Sekunden später einen weiteren Angriff auf eine irakische Familie verübte, die den Verwundeten zu Hilfe kam.

Die materiellen, intellektuellen und politischen Urheber dieses Verbrechens – und all der anderen – wurden nie zur Rechenschaft gezogen, aber diejenigen, die der Welt davon erzählten – die ehemalige US-Soldatin Chelsea Manning und Assange selbst – sind seitdem unerbittlichen gerichtlichen Schikanen ausgesetzt, die im Fall des Australiers nun zur Genehmigung seiner Auslieferung an die Vereinigten Staaten führt.

Wenn überhaupt, dann ist es verwunderlich, dass mehrere aufeinanderfolgende US-Regierungen die Wikileaks-Leaks und -Berichte nie dementiert haben und dass alle Verantwortlichen weiterhin frei sind und… gegen Assange vorgehen.

Die US-Regierung forderte die Inhaftierung des Australiers, während sie Assanges wichtigste Whistleblowerin, die Soldatin Chelsea Manning, strafrechtlich verfolgte, um Zeit zu gewinnen und ihm 18 Straftaten anzuhängen. Dies ist kein Akt der Gerechtigkeit, sondern ein Akt der Rache an denjenigen, die die schmutzige Wäsche der USA aufdecken, und eine Drohung an die Adresse von Informant:innen und Journalist:innen, damit sie es nicht wagen, die internen Missstände der US-Macht aufzudecken.

Wikileaks hat seine Erkenntnisse in einer Reihe von großen Zeitungen auf der ganzen Welt wiedergegeben, die die „Justiz“ in Washington und London nicht anzugreifen wagte.

Könnte es sein, dass Assange derjenige war, der im April 2010 US-Soldaten befahl, unbewaffnete Menschen in einem Vorort von Bagdad niederzumähen, wie es im Video «Collateral Murder» zu sehen ist?

Ist Assange für die Menschenrechtsverletzungen im Irak und in Afghanistan verantwortlich? Wikileaks veröffentlichte (Juli 2010) mehr als 90.000 freigegebene Dokumente, die die schweren Menschenrechtsverletzungen im Irak belegen, und weitere 400.000 Dokumente (Oktober 2010), die die verborgenen Gräueltaten im Irak aufdecken.

Ist es Assange, der die E-Mails von CIA-Direktor John Brennan verschickt hat, in denen er von Folter bei der Vernehmung von Terrorverdächtigen spricht? Ist es Assange, der die Kommunikation der US-Regierung mit ihren diplomatischen Delegationen verfasst hat, einschließlich der Berichte über die Passage von CIA-Flügen über spanisches Gebiet mit Gefangenen auf dem Weg nach Guantanamo?

Könnte er der Mann sein, der Hunderte von Afghanen und Iranern ohne Grund festhielt und sie in den Konzentrationslagern von Bucca, Guantánamo und Abu Ghraib bestialisch folterte? Oder vielleicht der Mann, der das Handbuch der US-Armee für die Soldaten in Guantánamo geschrieben hat?

War es Assange, der die Nationale Sicherheitsbehörde (NSA) leitete, als er heimlich das Treffen zwischen Angela Merkel und UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon abhörte, oder als er das private Treffen zwischen Italiens Silvio Berlusconi, Frankreichs Nicolas Sarkozy und Merkel ausspionierte und ein Gespräch zwischen Berlusconi und dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu abhörte und mitschnitt?

War es Assange, der im März 2016 die 30.000 kompromittierenden E-Mails von Hillary Clinton redigierte oder die 27.000 Mitteilungen des Demokratischen Nationalkomitees (DNC) und die 50.000 E-Mails von John Podesta, dem Leiter von Clintons Präsidentschaftskampagne, in denen er Saudi-Arabien und Katar beschuldigte, den terroristischen Islamischen Staat (Daesh) zu unterstützen?

Oder ist er in das Netzwerk für Menschenhandel und sexuellen Missbrauch von hochrangigen Funktionären der Demokratischen Partei verwickelt, das den Pizzagate-Skandal ausgelöst hat? Oder war etwa er derjenige, der die ultra-rechte Vox in Spanien finanzierte, und nicht derjenige, der die großen Vermögen hochrangiger spanischer Führungskräfte aufdeckte, die ihre Entstehung finanzierten.

Könnte es Assange gewesen sein, der den geheimen Leitfaden verfasst hat, mittels dessen Agenten des US Central Intelligence Agency (CIA) unter falscher Identität in Europa eingedrungen sind, und der aufgedeckt hat, dass US-Spione das EU-Grenzkontrollhandbuch in der Hand hatten, wie aus den durchgesickerten Checkpoint-Berichten der CIA zu entnehmen war?

 Nein, natürlich nicht. Die Verbrecher sind und bleiben frei und werden vom Establishment, der Justiz und den Mitteln der hegemonialen Medien verteidigt. Assanges Verbrechen war es, über die Vorgänge zu berichten, die einzig und allein auf den Berichten der US-(Un-)Sicherheitsorgane beruhten.

Der Kummer der Mutter

In einem offenen Brief schreibt Christine Ann Assange, die Mutter von Julian Assange, über „den Schmerz, mit ansehen zu müssen, wie ein gesunder Sohn langsam verfällt, weil ihm in jahrelanger Haft eine angemessene medizinische und gesundheitliche Versorgung verweigert wurde; die Qual, mit ansehen zu müssen, wie mein Sohn grausamer psychologischer Folter ausgesetzt wird, um seinen unbändigen Geist zu brechen; den ständigen Albtraum, dass er an die USA ausgeliefert wird und dann den Rest seiner Tage lebendig begraben in totaler Isolation verbringt“.

Sie fügt hinzu: „die ständige Angst, dass die CIA ihre Pläne, ihn zu ermorden, in die Tat umsetzen könnte; die Welle der Traurigkeit, als ich sah, wie sein zerbrechlicher Körper bei der letzten Anhörung, aufgrund von chronischem Stress erschöpft, mit einem Mini-Schlaganfall zusammenbrach“ und stellt fest, dass „viele Menschen geschockt waren, zu sehen, wie eine rachsüchtige Supermacht ihre unbegrenzten Ressourcen einsetzt, um einen wehrlosen Menschen einzuschüchtern und zu zerstören“.

Abschied vom Journalismus

Wikileaks ist zu einer Rarität geworden, denn immer weniger Journalisten setzen sich für Transparenz ein. Sie werden durch diejenigen ersetzt, die sich um die öffentlichen Beziehungen der Macht sorgen. Die Redaktionen machen keinen Journalismus mehr, sondern als Nachrichten getarnte Konzernwerbung und politische Propaganda.

Es ist nicht leicht, die Anprangerung der Kriegsverbrechen des Pentagons und des Neoimperialismus des mächtigsten diplomatischen Netzwerks der Welt unwiderlegt zu begraben. Stell dir vor, Wikileaks könnte über die Ukraine berichten: Dann gäbe es sicher keinen Krieg.

Das Schweigen der Medien ist feige, es ist dasjenige von Komplizen. Vielleicht haben wir zu viel erwartet: zumindest, dass es nach dem Bekanntwerden der Leaks Akte der Empörung geben würde, dass der Journalismus – diese gefährdete Spezies – zu Informationen übergehen würde, die auf echten Daten beruhen, und dass Hoffnung bestand, die Globalisierung möge zumindest dazu dienen, die Menschenrechte vor dem Ansturm der vernetzten Macht zu schützen.

Es gibt Optimisten, die glauben, dass die britische Justiz mehr Verstand und Anstand hat als die Londoner Regierung unter Boris Johnson, und es gibt diejenigen, die davon träumen, dass Assange so bald wie möglich freigelassen wird.

Es ist kein Zufall, dass Donald Trumps Mandat den Grundstein für das juristische Massaker an Assange gelegt hat, und dass es die Regierung von Boris Johnson (neben Wladimir Putin vielleicht der kriegstreiberischste Führer) ist, die grünes Licht für seine Auslieferung gibt. Assange zu rehabilitieren bedeutet, diese nackt auszuziehen, sagt Sampedro.

Als er den Nobelpreis für Literatur erhielt, sagte Gabriel García Márquez, Journalismus sei der beste Beruf der Welt. In Maceió, mitten im Wahlkampf, meinte der ehemalige brasilianische Präsident Lula de Silva, dass Assange „einen Oscar für Anstand und Mut erhalten sollte, weil er ein Land, das ein anderes Land ausspioniert, in der ganzen Welt anprangert. Welches Verbrechen hat Assange begangen? Es ist das Verbrechen, das ihr alle begangen habt: Er hat die Wahrheit gesagt“.

Übersetzung aus dem Englischen von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


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