Der Bundestag stimmt einer weiteren Aufstockung des Militärhaushalts zu und will in Kürze das 100 Milliarden Euro schwere „Sondervermögen“ für die Bundeswehr bewilligen.

Am heutigen Mittwoch stimmt der Bundestag der nächsten Erhöhung des deutschen Militärhaushalts zu; zudem ist soeben eine Einigung über das 100 Milliarden Euro schwere „Sondervermögen“ für die Bundeswehr getroffen worden. Damit übersteigt der deutsche Wehretat ab sofort die Zwei-Prozent-Schwelle, auf die sich die NATO 2014 geeinigt hat – freilich nicht zwingend schon unmittelbar in diesem Jahr, aber auf jeden Fall im mehrjährigen Durchschnitt bis mindestens 2026. Kanzler Olaf Scholz fordert mit Blick auf den Machtkampf gegen Russland eine „große, nationale Kraftanstrengung“, um „neue, starke Fähigkeiten“ für die Bundeswehr aufzubauen. Die Bundesrepublik arbeitet nicht erst seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs, sondern bereits seit Jahren daran, ihren Großmachtanspruch mit militärischen Fähigkeiten zu untermauern; der russische Überfall auf die Ukraine ermöglicht es nun, einen schon lange geplanten Aufrüstungsschub gegenüber der Bevölkerung zu legitimieren. Der 100-Milliarden-Euro-Kriegskredit, der noch vom Bundestag abgesegnet werden muss, soll konkrete Maßnahmen im Kontext des globalen Einflusskampfes der NATO gegen Russland finanzieren.

Das Haushaltsjahr 2022

Nach dem Abschluss des üblichen „Bereinigungsverfahrens“ wird der Bundestag den Bundeshaushalt für das Jahr 2022 voraussichtlich in dieser Woche endgültig verabschieden. Gewöhnlich beschließt das Parlament den Haushalt früher – am Ende eines Jahres für das nächste Jahr. Aufgrund der Bundestagswahl im September 2021 und der darauf folgenden Koalitionsbildung führen die Abgeordneten ihre Etatdebatte für das Jahr 2022 allerdings erst seit März dieses Jahres. Zentrales Thema ist dabei der Krieg in der Ukraine und die von Kanzler Olaf Scholz ausgerufene „Zeitenwende“ nicht zuletzt für die Bundeswehr, die ein „Sondervermögen“ in dreistelliger Milliardenhöhe erhalten wird.[1] Man wolle „unserer Bundeswehr ihre volle Einsatzbereitschaft zurück[geben]“, erklärte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht in ihrer Rede zum Wehretat.[2] Auf dieses Ziel arbeitet die Bundesregierung allerdings nicht erst seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs hin. Viele der nun mit dem Krieg legitimierten Rüstungsvorhaben waren bereits vorher im Gespräch oder sogar schon konkret in Planung, teilweise seit Jahren.[3] Russlands Überfall auf die Ukraine setzt in Berlin die Kräfte für einen längst vorbereiteten Aufrüstungsschub frei.

Der Wehretat 2022

Der vom Haushaltsausschuss endgültig abgesegnete Wehretat für das Jahr 2022 hat einen Umfang von 50,4 Milliarden Euro und liegt damit deutlich über dem Vorjahresbudget von 46,9 Milliarden Euro. Allerdings verfehlt der Kernverteidigungshaushalt 2022 das Zwei-Prozent-Ziel, das die NATO bereits 2014 beschlossen hat – mit Blick auf die eskalierende Konfrontation mit Russland – und das Kanzler Scholz in seiner „Zeitenwende“-Rede erfüllen zu wollen bekräftigte, immer noch um mehr als 20 Milliarden Euro. Die Lücke schließen soll das sogenannte Sondervermögen der Bundeswehr, das dazu dienen soll, das Zwei-Prozent-Ziel im „mehrjährigen Durchschnitt“ zu erfüllen. Es würde es der Bundesregierung selbst bei einem gleichbleibenden Kernverteidigungshaushalt ermöglichen, die NATO-Vorgabe bis 2026 faktisch per Kriegskredit einzuhalten.[4] Die Unionsparteien hatten dies kritisiert und gefordert, stattdessen den Kernverteidigungshaushalt selbst auf zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung zu erhöhen.[5]

„Solidaritätsbetrag Landesverteidigung“

Das Sondervermögen für die Bundeswehr soll laut der Bundesregierung ausschließlich über Kredite finanziert werden. Aufgrund der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse können die 100 Milliarden Euro nicht einfach in den regulären Verteidigungshaushalt gestellt werden; brächte man sie dort unter, dann müssten sie entweder durch Einsparungen an anderer Stelle oder durch erhöhte Staatseinnahmen gedeckt werden. Die Verankerung des Sondervermögens im Grundgesetz ermöglicht es, die Schuldenbremse für den 100-Milliarden-Euro-Kredit auszuhebeln. Ein Experte für Öffentliches Recht an der Bundeswehr-Universität in Hamburg, Ulrich Hufeld, wies den Haushaltsausschuss bei einer Anhörung Anfang Mai darauf hin,das geplante Vorgehen laufe dem Haushaltsverfassungsrecht und der Schuldenbremse zuwider. Während Hufeld dennoch keine grundsätzlichen Einwände erhob, empfahl sein Kollege an der Hamburger Bundeswehr-Universität, der Volkswirt Dirk Meyer, der Bundesregierung, die Aufrüstung besser durch eine zeitlich begrenzte Sondersteuer („Solidaritätsbetrag Landesverteidigung“) zu finanzieren.[6] Der für die Realisierung zuständige Bundesfinanzminister Christian Lindner – Reserveoffizier, laut eigenen Angaben Major der Reserve bei der Luftwaffe – hält Steuererhöhungen allerdings angesichts der Wirtschaftskrise und aus „ordnungspolitischen Gründen“ nicht für machbar. Freilich steht auch für das Sondervermögen faktisch der Steuerzahler ein.

Aufrüstung per Grundgesetz

Die ursprünglich für Mitte Mai geplante Abstimmung über das Sondervermögen, das eine Grundgesetzänderung und damit eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag erforderlich macht, hatte zunächst wegen Unstimmigkeiten sowohl innerhalb der Regierungskoalition als auch zwischen der Koalition und den Unionsparteien, deren Zustimmung für die Zwei-Drittel-Mehrheit benötigt wird, verschoben werden müssen. CDU und CSU hatten zunächst darauf bestanden, neben dem Sondervermögen auch das Zwei-Prozent-Ziel im Grundgesetz zu verankern und für das Sondervermögen eine ausschließliche Verwendung für die Bundeswehr festzulegen. Die Regierungskoalition lehnte beides ab; insbesondere Bündnis 90/Die Grünen bestanden darauf, den Verwendungszweck breiter zu fassen und ihn begrifflich etwa als „Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit“ festzulegen; das hätte es erlaubt, das Sondervermögen etwa für Maßnahmen zur Stärkung der Cyberabwehr oder für die Finanzierung von Projekten in verbündeten Staaten zu nutzen.[7] Kanzler Scholz hatte darauf gedrungen, eine Einigung herbeizuführen und die Kriegskredite mit einer „patriotischen Mehrheit“ möglich zu machen.[8]

Ein Militarisierungsschub

Am Sonntagabend wurde nun ein Kompromiss erzielt. Demnach wird nur das Sondervermögen, nicht aber das Zwei-Prozent-Ziel im Grundgesetz verankert; dafür fließen die Kriegskredite ausschließlich für Vorhaben der Bundeswehr. Dazu soll ein Wirtschaftsplan mit konkreten Rüstungsprojekten verabschiedet werden. Details stehen noch nicht fest. Laut Verteidigungsministerin Lambrecht hat vor allem die Ausrüstung der Bundeswehr für ihre Beteiligung an der Schnellen Eingreiftruppe der NATO und für die deutsche NATO-Präsenz entlang der russischen Westgrenze Priorität.[9] Mit den aktuellen Bundestagsbeschlüssen ist der Weg für einen dramatischen Militarisierungsschub frei.

 

[1] S. dazu Die Zeitenwende.

[2] Rede von Christine Lambrecht im Bundestag. bmvg.de 23.03.2022.

[3] S. dazu Aufrüsten für die Großmachtkonfrontation.

[4] Christian Mölling, Torben Schütz: Zeitenwende in der Verteidigungspolitik. DGAP Policy Brief. Berlin, 06.05.2022.

[5] „Ampel“ und Union einigen sich bei Bundeswehr-Sondervermögen. mdr.de 30.05.2022.

[6] Albert Funk: Braucht die Ampel die Stimmen der Union wirklich? tagesspiegel.de 09.05.2022.

[7] Weg frei für Bundeswehr-Milliarden. tagesschau.de 30.05.2022.

[8] Albert Funk: Das Kanzleramt bremst beim Sondervermögen für die Bundeswehr. tagesspiegel.de 17.05.2022.

[9] S. dazu Von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer.

Der Originalartikel kann hier besucht werden