Zustimmung zu Aufrüstung ist bei Grünen-Wählern massiv gestiegen. Anhänger der Partei sind besonders wohlhabend, werden von Rückwirkungen von Sanktionen weniger getroffen.

Mit bellizistischen Forderungen wie derjenigen nach einem Ende der „Kriegsmüdigkeit“ kann Außenministerin Annalena Baerbock bei der Wählerschaft der Grünen auf überdurchschnittliche Zustimmung hoffen. Dies geht aus aktuellen Umfragen über die Haltung im Milieu der Partei zu Aufrüstung und Waffenlieferungen an die Ukraine hervor. Demnach wird die Ansicht, man müsse „bereit sein …, sein Land und die Freiheit mit allen Mitteln zu verteidigen“, von Anhängern der Grünen entschiedener vertreten als von Anhängern aller anderen Parteien. Auch bei der Befürwortung der Lieferung schwerer Waffen liegen Bündnis 90/Die Grünen weit vorn. Hintergrund ist die Entwicklung der Partei, deren Gründungsgeneration längst aus den sozialen Bewegungen der 1980er Jahre in gut bezahlte und abgesicherte Berufspositionen aufgerückt ist. Der Anteil der Beamten sowie der im öffentlichen Dienst Tätigen ist bei den Grünen höher, der Anteil schlecht bezahlter Jobber niedriger als in jeder anderen Partei. Von den negativen Auswirkungen der Sanktionen auf Versorgung und Wirtschaft im eigenen Land sind die Grünen daher individuell am wenigsten betroffen.

Abschreckung statt Abrüstung

Wie aktuelle Umfragen bestätigen, haben nicht nur Parteifunktionäre und Abgeordnete, sondern auch die Wählerschaft von Bündnis 90/Die Grünen die Abkehr von den einstigen friedensbewegten Positionen der Partei inzwischen umfassend vollzogen. Waren 1989 „nur sechs Prozent der westdeutschen Anhänger der Grünen überzeugt“, dass militärische „Abschreckung die beste Verteidigung“ sei, so seien das heute 62 Prozent, heißt es in einer Untersuchung aus dem Allensbacher Institut für Demoskopie.[1] Umgekehrt sei „die Hoffnung, dass einseitige Vorleistungen bei der Abrüstung Erfolg“ versprächen, „von 77 auf 35 Prozent geschrumpft“. Im Hinblick auf den Ukraine-Krieg seien im Durchschnitt 57 Prozent der Bevölkerung der Ansicht, „dass man bereit sein muss, sein Land und die Freiheit mit allen Mitteln zu verteidigen“; dies werde „am entschiedensten von den Anhängern der Grünen“ vertreten. Befragt, ob der Westen der Ukraine schwere Waffen liefern solle, antworteten in einer anderen Umfrage 67 Prozent aller Grünen-Anhänger mit „Ja“. Lediglich bei FDP-Wählern lag die Zustimmung mit 70 Prozent leicht darüber; selbst die Wähler von CDU und CSU hielten sich mit einer Befürwortungsquote von 53 Prozent viel stärker zurück.[2]

„Realpolitik in ihrer brutalsten Ausprägung“

Demnach entsprechen besonders aggressive Äußerungen grüner Regierungspolitiker in hohem Maß der Stimmung in der grünen Wählerschaft. „Wir müssen auch schwere Waffen liefern“, hatte bereits am 6. April der Grünen-Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter gefordert; das sei „Realpolitik in ihrer brutalsten Ausprägung“ und mit Blick auf die Frage, ob Deutschland von Russland als Kriegspartei eingestuft werde, „riskant“, aber dennoch notwendig.[3] Kurz darauf erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), es sei „wichtig, dass der Westen die Ukraine mit weiteren“, vor allem „wirkungsvolleren Waffen“ unterstütze: „Da sollte sich Deutschland nicht ausnehmen“.[4] Özdemir behauptete, die Waffenlieferungen seien nicht zuletzt nötig, um eine weltweite Hungerkatastrophe zu verhindern – mit Hilfe militärischer Erfolge gegen Russland. Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck schloss sich der Forderung an; „es müssen mehr Waffen kommen“, verlangte der Minister Mitte April: „Natürlich bedeutet eine Brutalisierung des Krieges auch, dass man in Quantität und Qualität der Waffenlieferungen zulegen muss.“[5] Den die ukrainischen Streitkräfte kämpften gegen Russland „auch für uns“.

„Ein Moment der Fatigue“

Nicht zuletzt Außenministerin Annalena Baerbock prescht regelmäßig mit der Forderung nach härtestmöglichen Sanktionen gegen Russland vor – und übertrifft dabei immer wieder Unionspolitiker, die für scharfe Töne gegenüber Moskau bekannt sind. Nur wenige Tage nach Kriegsbeginn hatte Baerbock geäußert, die Sanktionen des Westens sollten „Russland ruinieren“.[6] Mitte Mai hatte sie hinzugefügt, Deutschland werde „nie wieder“ Erdgas aus Russland importieren. Dies hatte den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz zu vorsichtiger Kritik veranlasst; die Ankündigung der Außenministerin, erklärte Merz, „teile ich in dieser apodiktischen Form nicht“.[7] In der vergangenen Woche hatte Baerbock nun mit einer Warnung vor „Kriegsmüdigkeit“ für erhebliches Aufsehen gesorgt: „Wir haben einen Moment der Fatigue erreicht“, behauptete die Grünen-Politikerin.[8] Die Ursache dafür sei nicht zuletzt, dass die Energie- und Lebensmittelpreise stark gestiegen seien, was zu wachsendem Unmut in der Bevölkerung führe. Dessen ungeachtet müssten die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten werden. Die Sanktionen tragen allerdings massiv zum Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise bei [9], was Baerbock aber, um den Wirtschaftskrieg gegen Russland nicht zu gefährden, schlicht leugnet.

Das Ergrauen der Grünen

Bündnis 90/Die Grünen sind dank der sozioökonomischen Lage ihrer Wählerschaft relativ problemlos in der Lage, Krieg und Sanktionen zu eskalieren – denn ihre Anhänger sind im Vergleich zu denjenigen anderer Parteien materiell besonders gut gestellt und oft solide abgesichert. Dies hat mit der Entwicklung der Partei seit den 1980er Jahren zu tun. Waren 1980 noch fast 80 Prozent aller Grünen-Wähler jünger als 35 Jahre, so lag dieser Anteil bei der Bundestagswahl 2017 nur noch bei 27,8 Prozent.[10] Zwar wird die Partei bis heute besonders stark von Jüngeren gewählt; bei der Bundestagswahl 2021 etwa war sie mit rund 23 Prozent der Stimmen unter den 18- bis 24-Jährigen die stärkste Kraft.[11] Allerdings sind der Partei viele Wähler der 1980er Jahre treu geblieben; zuweilen ist von ihrem „Ergrauen“ die Rede. Das Grünen-Milieu verfügt, seinen Ursprüngen in den stark akademisch geprägten sozialen Bewegungen der 1980er Jahre entsprechend, über die höchsten Bildungsabschlüsse: Im Jahr 2016 hatten rund 37 Prozent aller Grünen-Anhänger einen Hochschulabschluss – deutlich mehr als die Anhänger der FDP (32 Prozent), der Linkspartei (31 Prozent) oder der SPD (21 Prozent).[12]

Wohlhabend, abgesichert

Damit hängt es zusammen, dass die Grünen-Wählerschaft über klar überdurchschnittliche Einkommen verfügt. So liegt beim bedarfsgewichteten Monatseinkommen, verglichen nach Parteipräferenz, der Median – der Wert, der die gesamte Wählerschaft in zwei Hälften teilt – bei den Grünen höher als bei jeder anderen Partei.[13] Auch beim Anteil der Beamten (10 Prozent) und beim Anteil der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst (40 Prozent) lagen die Grünen-Anhänger im Jahr 2016 mit klarem Abstand an der Spitze; Folgen von Sanktionen für die deutsche Wirtschaft schlagen kaum direkt auf sie zurück. Hingegen gingen nur 10 Prozent ihrer Wähler sogenannten „einfachen“, also schlecht bezahlten Tätigkeiten nach – weniger als bei allen anderen Parteien. Beim Anteil der Gewerkschaftsmitglieder wurden die Grünen (18 Prozent) nur von den Unionsparteien (17 Prozent) und der FDP (16 Prozent) unterboten.

Abschied von der Friedensbewegung

Zu ihrer materiellen Situation passt, dass die Wähler der Grünen, wie es etwa in einer knappen Analyse aus dem Jahr 2020 hieß, „heute nur noch in gesellschaftspolitischen Fragen klar links“ stehen – so etwa bezüglich der Gleichstellung von LGBT –, während sie sich „in der Sozial- und Wirtschaftspolitik“ längst von ihren früheren linken Positionen verabschiedet haben.[14] In einer Zeit, in der der Abstieg des Westens den gewohnten materiellen Wohlstand bürgerlicher Milieus auch in Deutschland in Frage stellt, kommt der endgültige Abschied von früheren friedensbewegten Haltungen im Machtkampf gegen weltpolitische Rivalen – Russland und China – hinzu.

 


[1] Renate Köcher: Neues Leitbild „Wehrhafter Frieden“. Frankfurter Allgemeine Zeitung 27.05.2022.

[2] Silke Kersting, Jürgen Klöckner: Die Wandlung der Grünen: Plötzlich Panzerfans statt Pazifisten. handelsblatt.com 30.04.2022.

[3] Serafin Reiber, Jonas Schaible: „Scholz muss handeln, Europa wartet darauf“. spiegel.de 06.04.2022.

[4] Özdemir fordert mehr Waffen für Ukraine. n-tv.de 17.04.2022.

[5] Habeck fordert mehr Waffen für die Ukraine. tagesschau.de 15.04.2022.

[6] S. dazu “Russland ruinieren“.

[7] Marie Illner: Merz widerspricht Baerbock: „Teile ich in dieser apodiktischen Form nicht“. web.de 12.05.2022.

[8] Baerbock warnt vor Kriegsmüdigkeit. t-online.de 25.05.2022.

[9] S. dazu Die Hungerkrise (II) und Die Sanktionen schlagen zurück.

[10] Frank Decker: Wahlergebnisse und Wählerschaft der GRÜNEN. bpb.de 01.09.2020.

[11] Frauen und Rentner lassen Union abstürzen, die Jungen bestimmen die Kanzlermacher. focus.de 27.09.2021.

[12], [13] Karl Brenke, Alexander S. Kritikos: Wählerstruktur im Wandel. In: DIW Wochenbericht Nr. 29 (2017). S. 595-606.

[14] Frank Decker: Wahlergebnisse und Wählerschaft der GRÜNEN. bpb.de 01.09.2020.

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