Die wirtschaftliche Entwicklung der Länder südlich des Rio Grande erreichte nach ihrer politischen Unabhängigkeit bis zur Gegenwart keine selbsttragenden Strukturen für eine stabile Wirtschaft, die für ein menschenwürdiges soziales Niveau sorgen können.

Die Ausgangsbedingungen zur Bildung der Nationalstaaten waren schlecht. Industrielle Fertigerzeugnisse wurden in der Kolonialepoche kaum produziert. Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte wurden für den Bedarf der Mutterländer angebaut und exportiert. Das spanische Königshaus verbot den Handel untereinander und es besaß die Steuerhoheit. Land, Wälder und Seen wurden im Grundbuch rechtlich dem König zugeordnet. Die internationale Arbeitsteilung war zwangsläufig vom Rohstoffexport und Fertigwarenimport geprägt.

Nach der Konferenz von Bretton Woods (USA) 1944 und der Gründung des Internationalen Währungsfonds (IWF) haben sich die Bedingungen des internationalen Handels für die Entwicklungsländer kaum verbessert. Sie wurden auf die Bedürfnisse des internationalen Finanzkapitals umgestellt.

Künftig erhielten sie ihre Kredite zu den Bedingungen des IWF, der sich Ratingagenturen bediente, die die Rückzahlungsfähigkeiten beurteilten. Die Lateinamerikanischen Länder wurden regelmäßig in die letzte Kategorie C eingestuft. Von den Stufen hingen die Zinshöhen ab (Argentinien musste zeitweilig 21 % Zinsen zahlen) und eröffneten die Möglichkeit über die Ausgabenpolitik der Entwicklungsländer zu verhandeln. Ausgaben für soziale Bereichen mussten oftmals gestrichen werden, um einen Kredit zu erhalten.

Hauptursache für den andauernden Kreditbedarf war und ist, dass wesentlichen Glieder der Wertschöpfungskette (Bank, Versicherung, Produzenten im Land, Transport) in den Händen des ausländischen Kapitals lagen und liegen und so nicht in die Steuerkasse der Entwicklungsländer gelangten. Steuerzahlungen vom Schifffahrts- und Transportunternehmen, aus der Weiterverarbeitung der Rohstoffe kamen den Ländern Europas zugute. Das Erdölland Venezuela besitzt keine eigene Tankerflotte. Der enorme Reichtum an Rohstoffen, wissenschaftliche Pionierleistungen Lateinamerikas in der Mathematik, Zuchtleistungen von Mais, Kartoffeln, Tabak, Tomaten u.v.a. brachten bis zur Ankunft der Europäer keine Vorteile. Die Ureinwohner erhielten kein Geld für ihr Land, für ihre die Bodenschätze und für ihre Vorleistungen.

Es wäre ein Witz in der Wirtschaftsgeschichte, wenn Deutschland für den Anbau von Kartoffeln, Tomaten, Mais u.a. Entwicklungskosten an Lateinamerika zahlen müsste. Kein Witz ist indessen, dass Entwicklungsländer für die Herstellung von Aspirin in ihren Staaten bis heute zur Kasse gebeten werden, unbeachtet, dass Bayer bereits seit 1897 Aspirin auf dem Markt verkauft und die Entwicklungskosten im Preis vergütet erhält.

Die Ursachen für die wirtschaftlichen Rückstände und den Kapitaltropf haben weitere Facetten: Aufrechterhaltung der Verschuldungssituation über eine andauernde Neuverschuldung, Mutter- und Tochterbeziehungen, Patentzahlungen und Technologiegebühren u.v.m. Auch das weltweite Übel der Korruption gehört dazu. Der venezolanische ex. Bankdirektor Maza Zavala empfiehlt, einen Blick in die Dienstleistungsbilanzen der Länder zu werfen, um die Größenordnung der Geldabflüsse zu erkennen, die für den Aufbau der nationalen Wirtschaft fehlen. Eduardo Galeano aus Uruguay beschreibt in seinem Buch „Die offenen Adern Lateinamerikas“, die ganze Breite der Benachteiligungen. Der Ecuadorianer Pedro Páez, ein Finanzwissenschaftler, hat gemeinsam mit Joseph Stiglitz den gegenwärtigen Zustand der Finanzwirtschaft im Neoliberalismus analysiert. Sie glauben, dass die Ursachen vor allem der Verschuldung der Entwicklungsländer einem angewandtem Geschäftsmodell des Kapitals zuzuordnen sind. Der Tropf reicht gerade aus, um das Leben im Kreditnehmerland aufrecht zu erhalten, nicht für weiterreichende wirtschaftliche und soziale Ziele.

Historische neue Wege für Latein- und Mittelamerika gehen auf Gedanken von Simon Bolivar zurück, der die Ziele der Französischen Revolutionen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit im Herzen trug. Die Mexikaner Juárez und Zapata folgten, ebenso wie Sandino und Ortega (Nicaragua), Castro (Kuba), Allende (Chile), Morales (Bolivien) und Chávez (Venezuela), die alle für die Selbstbestimmung ihrer Länder eintraten und ein würdiges Leben für die Bevölkerung anstrebten. Es entspricht der Logik, dass Befreiungstheologen der katholischen Kirche dem Fortschrittsprozess in Lateinamerika nahe stehen. Papst Franziskus I. steht nicht abseits mit seiner Aussage „Diese Wirtschaft tötet“. Er verurteilte in Pressekonferenzen mehrfach die Anbetung des Kapitals als Dienst an Götzen.

Im 20. Jahrhundert ist Lateinamerika seiner globalen Fortschrittsrolle gerecht geworden

Mexiko hat im Ergebnis einer Bauernrevolution 1910/1917 die fortschrittlichste bürgerliche Verfassung der Welt eingeführt. Sie gilt noch in Teilen. Land und Bodenschätze werden zum nationalen Eigentum erklärt. Auslandskapital darf nicht in allen Bereichen tätig werden, Sie schützt Rechte der Abhängigen (Achtstundentag, Arbeitsschutz) und juristisch die Natur. Die nationale und internationale Lobby ist seit 1965, dem Abschluss des Nordamerikanischen Freihandels Abkommens NAFTA zwischen USA, Kanada und Mexiko intensiv bemüht, Bestimmungen der Verfassung zugunsten des Kapitals zu ändern. Zum Beispiel Privatinvestitionen im Energie- und Wassersektor zuzulassen.

Lateinamerikanische Länder haben 1972 der UNO unter Führung Mexikos den Vorschlag unterbreitet, eine „Neue Weltwirtschaftsorganisation“ einzuführen. Die detaillierten Vorschläge wurden in 2 Resolutionen der UNO aufgenommen. Das Votum der G7 verhinderte das Procedere der Inkraftsetzung.

Ebenfalls von Mexiko ausgehend, ist mit dem Vertrag von Tlatelolco Südamerika zu einer atomwaffenfreien Zone erklärt worden. Der Länderverbund CELAC hat sich 2021 zu einer Friedenszone bekannt.

Wirtschaftlich wurde die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts für Latein – und Mittelamerika zu einer verlorenen Epoche erklärt. Die Auslandsschulden erreichten 1990 einen Stand von 339 Milliarden US$ (Quelle: Weltbank). Ursachen sind vorrangig in der verfehlten Kreditpolitik des IWF zu finden. Die Manipulierung der Rohstoffpreise und die mangelhafte Bekämpfung der von außen hineingetragenen Inflationen in ausgewählte Länder haben ihren Teil beigetragen.

Die Sanktionspolitik der USA und der EU, besonders gegenüber Kuba wurde verstärkt. Politisch wurde die Organisation der Lateinamerikanischen Staaten unter Führung der USA Regierung genutzt, um Fortschrittsprozesse zurück zu drängen (Kuba, Venezuela, Bolivien, Ecuador, Brasilien, Nicaragua, Honduras u.a.). Der Militärputsch in Chile 1973 hat in der Welt ähnlichen Protest- und Solidaritätsaktionen der Bevölkerungen hervorgerufen, wie gegenwärtig zur Ukraine.

Das Fortschrittsdenken in Lateinamerika ist nicht aufzuhalten. Das Bestreben zur Selbstbestimmung findet Wege über die Integration im Rahmen des ALBA Verbundes, der Schaffung der UNASUR und letztlich der CELAC, die alle Länder des Kontinents außer den USA und Kanada, verbindet. Trotz unterschiedlichen Meinungen in Einzelfragen.

Die Visionen Lateinamerikas können einer Pressemitteilung des Botschafters der Republik Ecuador, Jorge Jurado, vom 8.12.2015 anlässlich der 22. Konferenz “Friedensratschlag“ in Kassel entnommen werden:

„Das gemeinsame Ziel ist die Ungleichheit aus der Welt zu schaffen, die Demokratie zu stärken und die Asymmetrien zu verringern……“.

Von Menschen geschaffene Widersprüche sind von Menschen korrigierbar. Menschen besitzen humane Vernunft und Gebote. Menschenrechte der UNO von 1947 und 1966 wurden zu Leitlinien des Handelns erhoben.