Der Fall des venezolanischen Diplomaten Alex Saab nahm eine dramatische Wendung, als sein Verteidigerteam die eklatante Missachtung der seit langem geltenden Konventionen zur diplomatischen Immunität durch die US-Regierung anprangerte.

Saabs Anwalt David Rivkin bezeichnete die Argumente der US-Regierung vor dem 11th Circuit Court in Miami als „äußerst gefährlich“. „Die Implikation“, fügte er hinzu, ist, dass „weil Sie ein missliebiges Regime sind, weil Sie Venezuela unter Maduro sind … werden wir Sie so behandeln, als hätten Sie irgendwie den westfälischen Anspruch auf Souveränität verloren.“ Und damit hat Rivkin die imperiale Weltsicht der USA ziemlich genau auf den Punkt gebracht.

Von Roger D. Harris

Bei der Anhörung am 6. April ging es um Saabs Anspruch auf diplomatische Immunität gemäß dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen. Dieses internationale Recht, das auch die USA unterzeichnet haben, gewährt akkreditierten Diplomaten selbst in Kriegszeiten absoluten Schutz vor Verhaftung und Strafverfolgung. Unter Verweis auf den Krieg in der Ukraine erinnerte Saabs Anwalt das Gericht daran, dass der Grundsatz, um den es hier geht, „für das wirksame Funktionieren der Diplomatie aller Staaten von entscheidender Bedeutung ist … [was] in diesen Tagen umso dringlicher ist.“

Anklagen gegen Alex Saab

Alex Saab, 2018 von Venezuela zum Sondergesandten ernannt, wurde zunächst am 12. Juni 2020 auf Anordnung der USA festgenommen. Er befand sich auf dem Weg von Caracas nach Teheran, als sein Flugzeug in Cabo Verde zwischenlandete und auftankte. Saab war im Besitz seines Diplomatenpasses und anderer Dokumente (siehe online), die seiner diplomatischen Mission entsprachen.

Saab war auf einer Mission, um im Rahmen des legalen internationalen Handels, aber unter Umgehung der illegalen US-Sanktionen und der Blockade Venezuelas humanitäre Lieferungen von Grundnahrungsmitteln, Treibstoff und Medikamenten für Venezuela aus dem Iran zu beschaffen. Die USA hatten Saab als eine Schlüsselfigur im Widerstand gegen den Wirtschaftskrieg der USA gegen Venezuela ausgemacht.

Nachdem er fast 500 Tage lang unter qualvollen Bedingungen in Cabo Verde festgehalten wurde, entführten die USA Saab ein zweites Mal und halten ihn seit dem 16. Oktober 2021 in Miami gefangen. Washington hatte kein Auslieferungsabkommen mit Cabo Verde und informierte weder Saabs Anwälte noch seine Familie, bevor es ihn in die USA flog.

Die US-Regierung ließ ihre ursprünglichen sieben Anklagepunkte wegen Geldwäsche fallen und behielt nur einen Anklagepunkt wegen „Verschwörung“ zur Geldwäsche bei, zu dem sich Saab im November letzten Jahres vor dem US-Bezirksgericht nicht schuldig bekannte. Diese Anklage sieht eine Höchststrafe von 20 Jahren Haft vor. In diesem Fall extraterritorialer gerichtlicher Übergriffe Washingtons hat die Verteidigung darauf hingewiesen, dass Saab weder US-Bürger ist, noch das mutmaßliche Verbrechen in den USA begangen hat.

Funktionale Verweigerung der Immunität

In einem halben Jahr soll Saab vor dem 8. Bezirksgericht einzig wegen Verschwörung angeklagt werden.

Gegen sein Erscheinen vor dem 11. Bezirksgericht am 6. April wurde Berufung eingelegt mit der Begründung, er genieße wie jeder andere Diplomat den Schutz der Wiener Konvention, die ihm absolute Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung gewährt.

Saabs Anwalt Rivkin argumentierte vor dem Berufungsgericht, dass „jeder Tag, an dem Herr Saab sich im Gefängnis befindet, ein schwerer Verstoß ist. Es handelt sich fast um eine Situation, die dem ersten Verfassungszusatz entspricht. Das ist ein irreparabler Schaden für ihn. Es ist ein nicht wiedergutzumachender Schaden für den souveränen Staat, dessen diplomatischer Vertreter er ist.“

Der Anwalt der US-Regierung äußerte am 6. April vor Gericht, dass Saabs „Behauptung, er sei ein Sondergesandter, lediglich eine von einem Schurkenstaat erfundene List ist, die es dem Angeklagten ermöglicht, einer strafrechtlichen Verfolgung in den USA zu entgehen“. Auf dieser Grundlage plädierte der US-Staatsanwalt Jeremy Sanders dafür, dass Saab einfach so viele Jahre hinter Gittern warten sollte, bis über die Anklage wegen Verschwörung in der unteren Instanz entschieden ist. Sollte er dann für schuldig befunden werden, könnte er versuchen, die Ablehnung seiner diplomatischen Immunität anzufechten.

Sogar der Richter des Bezirksgerichts, Jordan, forderte den Anwalt der US-Regierung heraus, indem er das hypothetische Beispiel anführte, dass ein staatliches Gericht einen US-Präsidenten strafrechtlich anklagt. Der Richter witzelte, anstatt zu warten, bis das Verfahren in der unteren Instanz fortgesetzt wird, „wären Sie sofort beim Berufungsgericht und würden argumentieren, dass diese Frage sofort geklärt werden muss. Richtig?“

Richter Luck, ebenfalls Mitglied des Drei-Richter-Gremiums, fügte hinzu, dass „das Versäumnis, darüber [die diplomatische Immunität] zu entscheiden, an sich schon eine Entscheidung ist, jemanden vor Gericht zu bringen, jemanden vor Gericht zu zerren, der ansonsten nicht verpflichtet oder berechtigt ist, vor Gericht zu erscheinen“, d.h. eine „funktionale Verweigerung der Immunität“ in den Worten von Richter Jordan.

Das Gericht wird die Angelegenheit prüfen“, was in der Juristensprache bedeutet, dass es darüber nachdenken wird, während Saab weiter im Gefängnis schmachtet.

Internationale Unterstützung für Alex Saab

In der Zwischenzeit führte William Camacaro, Leiter der US-Kampagne #FreeAlexSaab, zusammen mit ihrem Ehrenvorsitzenden, dem puerto-ricanischen Befreiungshelden Oscar López Rivera, vor dem Gerichtsgebäude eine Demonstration zur Unterstützung von Saab an. Ähnliche Unterstützungskundgebungen fanden auch anderswo in Nordamerika und international statt.

Die venezolanische Nationalversammlung verabschiedete einstimmig eine Resolution, in der sie das verurteilte, was ihr Präsident Jorge Rodríguez als „Akt unermesslicher Heuchelei“ seitens der USA bezeichnete.

Die National Lawyers Guild forderte die sofortige Freilassung von Saab und erklärte, der Fall zeige, „wie weit die US-Regierung geht, um ihre einseitigen Zwangsmaßnahmen und Wirtschaftssanktionen gegen Venezuela, den Iran und andere Zielländer durchzusetzen“.

Es handele sich um einen politisch motivierten Fall, nicht um einen juristischen, und es gehe „wirklich um die internationale Ordnung und die Lebensfähigkeit der Diplomatie“, so Anwalt Femi Falana. Falana war Saabs Hauptverteidiger vor dem regionalen Gerichtshof der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS), der zweimal die Freilassung von Saab anordnete, als er in Cabo Verde inhaftiert war.

Venezuelas erfolgreicher Widerstand gegen die US-Wirtschaftskriegsführung

Die Regierung Biden, die Trumps Blockade gegen Venezuela mit „maximalem Druck“ fortgesetzt hatte, zeigt Anzeichen dafür, dass sie sich mit ihrem lateinamerikanischen Nachbarn versöhnen muss. Die ohnehin schon inflationäre US-Wirtschaft ist durch die Sanktionen Washingtons gegen Moskau noch unbeständiger geworden, was zu höheren Preisen an den Zapfsäulen geführt hat. Dies führte zu einem Besuch, der für Washington noch vor einigen Monaten undenkbar gewesen wäre.

Anfang März besuchte eine hochrangige US-Delegation Caracas, um sich mit dem venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro zu treffen, vermutlich, um über ein Ölhandelsabkommen zu verhandeln. Auch wenn es keine offizielle Bestätigung eines solchen Abkommens gab, erkannte der Besuch implizit die Legitimität des gewählten Präsidenten Venezuelas an und bescherte Maduro einen großen Sieg. In der Zwischenzeit könnte der glücklose Juan Guaidó, der nur von den USA und einigen ihrer Verbündeten als „Interimspräsident“ Venezuelas anerkannt wird, bald Geschichte sein.

Nach Angaben der UNO haben die US-Sanktionen die venezolanischen Staatseinnahmen zunächst um außerordentliche 99 % reduziert und eine astronomische Hyperinflation ausgelöst. Der erfolgreiche Widerstand Venezuelas, der von Saab und vielen anderen unterstützt wurde, hat den Versuch der USA vereitelt, einen Regimewechsel durch die Verhängung von Wirtschaftssanktionen herbeizuführen, was die UNO „einseitige Zwangsmaßnahmen“ nennt, eine Form der kollektiven Bestrafung und der wirtschaftlichen Kriegsführung. Vielmehr verjüngt sich die einst zerstörte Wirtschaft Venezuelas.

Im letzten Monat hat sich die Inflation in Venezuela auf 1,4 % verlangsamt und ist damit niedriger als vor der Verhängung der ersten Sanktionen durch Obama im Jahr 2015. Der nationale Verbraucherpreisindex lag in den letzten sieben Monaten unter 10 %. Die Investmentbank Credit Suisse prognostiziert für Venezuela ein beachtliches BIP-Wachstum von 20 % im Jahr 2022 und weitere 8 % im Jahr 2023. Laut dem politischen Analysten Ben Norton ist „das Schlimmste dieser von den USA angeheizten Wirtschaftskrise vorbei„.

Alex Saab war maßgeblich an der wirtschaftlichen Trendwende beteiligt. Der Präsident der venezolanischen Nationalversammlung, Rodríguez, schrieb Saab zu, dass er dazu beigetragen habe, „den brutalsten Angriff, den das Land erlitten hat, zu überwinden“, und genau aus diesem Grund wird er von den USA verfolgt. Und die venezolanische Regierung hat deutlich gemacht, dass sie ihren – in den Worten von Präsident Maduro – „entführten“ Diplomaten nicht aufgeben wird.

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Alina Kulik vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


Roger D. Harris ist Mitarbeiter der 1985 gegründeten Menschenrechtsorganisation Task Force on the Americas.