Berlin arbeitet an Nationaler Sicherheitsstrategie, EU verabschiedet Strategischen Kompass, NATO bereitet Strategisches Konzept vor. Ziviles Leben wird für „Sicherheitspolitik“ verfügbar gemacht.

Mit einer neuen Nationalen Sicherheitsstrategie sucht die Bundesregierung die deutsche Außen- und Militärpolitik noch stärker als bisher zu formieren. Die Strategie wird, wie Außenministerin Annalena Baerbock am Freitag bei der Auftaktveranstaltung für die Erstellung des Papiers erklärte, sowohl die Landesverteidigung wie auch den Einsatz für deutsche Interessen „weltweit“ umfassen und dabei vor allem auf zwei Gegner orientieren – Russland und China. Wie Baerbock behauptete, „verlangen“ die verbündeten Staaten dabei von Deutschland „als größter europäischer Volkswirtschaft Führung“. Die Strategie soll einem „umfassenden Verständnis von Sicherheit“ folgen, das nicht nur das Militär, sondern weite Teile des zivilen Lebens für das „Kräftemessen des 21. Jahrhunderts“ (Baerbock) verfügbar macht; die Bandbreite reicht der Außenministerin zufolge von der Wirtschaft über die Kultur bis hin zum Sport. Den Rahmen für die deutsche Sicherheitsstrategie bilden der Strategische Kompass, den die EU gestern verabschiedet hat, und das neue Strategische Konzept der NATO, das Ende Juni abgesegnet werden soll.

Die Nationale Sicherheitsstrategie

Die Nationale Sicherheitsstrategie, deren Erstellung Außenministerin Annalena Baerbock am vergangenen Freitag offiziell angestoßen hat, wird die erste ihrer Art in der Geschichte der Bundesrepublik sein. Experten dringen bereits seit Jahren darauf, die Bundesregierung müsse ihre Außen- und Militärpolitik mit einem solchen Dokument vereinheitlichen; häufig wurde dabei auch die Gründung eines Nationalen Sicherheitsrats nach US-Vorbild gefordert.[1] Das Dokument, das einer Nationalen Sicherheitsstrategie bislang am nächsten kommt, ist das „Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“, das unter Federführung des Bundesverteidigungsministeriums erarbeitet und 2016 vom Bundeskabinett verabschiedet wurde.[2] Das Verteidigungsministerium hat aus ihm die „Konzeption der Bundeswehr“ und ein „Fähigkeitsprofil“ abgeleitet. Besondere Bedeutung kommt darüber hinaus vor allem den „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ zu, die die Bundesregierung im September 2020 präsentierte; sie legen die Grundlinien für die deutsche Chinapolitik fest.[3] Relevanz für die Themen, mit denen sich die neue Nationale Sicherheitsstrategie befassen wird, besitzt darüber hinaus die „Cybersicherheitsstrategie für Deutschland“, die das Bundesinnenministerium in ihrer gültigen Fassung im vergangenen Jahr vorlegte.

Zwei Hauptgegner

Wie aus Baerbocks Äußerungen vom vergangenen Freitag hervorgeht, wird die Nationale Sicherheitsstrategie zentrale Elemente der bisherigen deutschen Strategiebildung aufnehmen. So soll sie einerseits auf die Landesverteidigung orientieren, andererseits auf ein Eintreten für deutsche Interessen „weltweit“.[4] Baerbock nannte zudem zwei Hauptgegner – Russland und China. Besonderen Wert legt die Bundesaußenministerin aktuell auf „Wehrhaftigkeit“. Hohe Bedeutung schreibt sie dabei einer „Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie“ zu. Konkret sollen in einem ersten Schritt die Präsenz wie auch die Manövertätigkeit der NATO in Ost- und vor allem in Südosteuropa ausgeweitet werden – ein Beitrag zum Machtkampf des Westens gegen Russland. Die Bundeswehr solle sich dabei auf die Slowakei fokussieren.[5] Nicht zuletzt macht sich Baerbock für „die nukleare Abschreckung der NATO“ stark: „Daher hat die Bundesregierung sich jetzt für die Beschaffung der F-35 entschieden.“ Der überaus teure US-Kampfjet soll aus dem neuen Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr finanziert werden, für das die Bundesregierung einen 100 Milliarden Euro schweren Fonds bereitstellt und ihren Militärhaushalt auf mindestens zwei Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts anhebt.

Militär, Kultur, Sport

Dabei fordert Baerbock ausdrücklich „ein umfassendes Verständnis von Sicherheit“, das neben dem Militär weite Teile des zivilen Lebens umfasst und sie auf das Machtstreben der deutschen Eliten ausrichtet. „Wenn wir uns im Kräftemessen des 21. Jahrhunderts global behaupten wollen, dann müssen wir alle unsere Instrumente auf die Höhe der Zeit bringen“, erklärte die Außenministerin am Freitag – nicht nur „militärisch“, sondern auch „politisch, analog, digital, technologisch“.[6] „Investitionen in unser aller Sicherheit“ seien außer etwa der „Diplomatie“ auch „Kulturarbeit, Bildung, Sport“ – Aktivitäten, die „auf Strecke und Breite angelegt“ seien und bei denen „man die Erfolge nicht gleich am nächsten Tag sieht“. „Sicherheitsrelevant“ sind Baerbock zufolge auch Investitionen in die Infrastruktur; so sei etwa die „Sicherheit“ derjenigen Länder beeinträchtigt, in denen „China komplett in die Stromversorgung investiert“ habe: Dort stellten sich „Fragen von Souveränität, territorialer Integrität und Fragen des internationalen Völkerrechts ganz eindrücklich“. Im Falle von Ländern, in deren Infrastruktur dagegen die westlichen Staaten investiert haben, gilt solches laut Baerbock freilich nicht.

Von der Spitze her

Entsprechend der zunehmenden Ausrichtung auch des zivilen Lebens auf das Machtstreben der deutschen Eliten fordert die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), das zentrale militärpolitische Strategiezentrum der Bundesregierung, in einem aktuellen Positionspapier eine engere Einbindung der Öffentlichkeit in die Debatte. Zur Zeit sei wegen des Ukraine-Krieges „ein ausgeprägtes sicherheitspolitisches Informations- und Diskussionsbedürfnis in der Bevölkerung vorhanden“, heißt es bei der BAKS; die Bundesregierung solle es „aufgreifen“.[7] Im Rahmen der beginnenden Arbeit an der Nationalen Sicherheitsstrategie gelte es nun „eine inklusive und umfassende Diskussion einzuleiten“; diese könne dann „den Grundstein für einen nachhaltigen Wandel der sicherheitspolitischen Debatte in Deutschland und einen Fortschritt in der strategischen Kultur des Landes legen“. An zentraler Stelle könnten „regelmäßige außen- und sicherheitspolitische Grundsatzdebatten“ im Bundestag zu einer solchen „strategischen Kultur“ beitragen; zugleich sei aber eine „gezielte dezentrale Einbindung der Öffentlichkeit“ anzustreben. Dabei gelte, heißt es in dem Strategiepapier der BAKS: „Die Bundesregierung sollte diese Debatte mit Entschlossenheit von der Spitze her bedienen.“

Die Bündnisse

Den äußeren Rahmen bilden bei alledem, wie Baerbock am Freitag hervorhob, die Bündnisse, in denen Deutschland seine Außen- und Militärpolitik treibt: EU und NATO. Die Außen- und Verteidigungsminister der EU haben gestern den sogenannten Strategischen Kompass der EU angenommen – ein Strategiepapier, das als EU-„Militärdoktrin“ bezeichnet worden ist und die weitere Militarisierung der Union strukturiert.[8] So soll unter anderem eine rund 5.000 Soldaten starke Eingreiftruppe gebildet werden, die auch kurzfristig in Kampfeinsätze entsandt werden kann. In ihrem ersten Einsatzjahr – vorgesehen ist 2025 – soll sie einer Ankündigung von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht zufolge von der Bundeswehr gestellt werden.[9] Der Strategische Kompass sieht darüber hinaus eine enge Zusammenarbeit zwischen der EU und der NATO vor. Die NATO wiederum arbeitet zur Zeit an einem neuen Strategischen Konzept, das auf dem NATO-Gipfel Ende Juni in Madrid verabschiedet werden soll und das transatlantische Militärbündnis für das „Kräftemessen des 21. Jahrhunderts“ (Baerbock) formiert.

 

[1] S. dazu Führung aus einer Hand (II).

[2] S. dazu Deutschlands globaler Horizont (I) und Deutschlands globaler Horizont (II).

[3] S. dazu Deutschland im Indo-Pazifik (I).

[4] Außenministerin Annalena Baerbock bei der Auftaktveranstaltung zur Entwicklung einer Nationalen Sicherheitsstrategie. auswaertiges-amt.de 18.03.2022.

[5] S. dazu Der Wille zum Weltkrieg.

[6] Außenministerin Annalena Baerbock bei der Auftaktveranstaltung zur Entwicklung einer Nationalen Sicherheitsstrategie. auswaertiges-amt.de 18.03.2022.

[7] Jan Fuhrmann: Ein Kompass für die Zeitenwende: Die Bundesregierung auf dem Weg zur nationalen Sicherheitsstrategie. BAKS-Arbeitspapier 3/2022.

[8] S. dazu Die Militärdoktrin der EU.

[9] EU beschließt neue militärische Eingreiftruppe ab 2025. derstandard.de 21.03.2022.

Der Originalartikel kann hier besucht werden