Bundeswehr lässt hochauflösende Landkarten von Russland herstellen. EU fordert neue Sanktionen, Berliner Denkfabrik will „Wandel in Russland“ fördern, YouTube sperrt RT DE.

Die Bundeswehr hat einen Auftrag zur „Herstellung und Lieferung“ hochauflösender Landkarten von Russland vergeben. Es gehe um Wanderkarten „im Militärmaßstab“, heißt es in einem Bericht. Deutschland sei Teil eines Kooperationsnetzwerks, in dem sich 32 Staaten – gruppiert um einen NATO-Kern – „wechselseitig mit Fotos und Karten versorgen“. Die Beschaffung der militärisch nutzbaren Karten erfolgt, während die Spannungen zwischen dem Westen und Russland immer weiter anschwellen. Zuletzt hat die EU mit neuen Sanktionen gedroht. Bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) heißt es, es seien nicht nur neue „Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit im Rahmen von NATO und EU“ zu tätigen; es gelte darüber hinaus den „Wandel in Russland“ durch intensive Kontakte in die russische Gesellschaft zu fördern. Gleichzeitig sperrt der US-Konzern Google auf seiner Videoplattform YouTube den deutschsprachigen Ableger des Auslandssenders Russia Today, RT DE. Der Schritt ähnelt Maßnahmen, die die DGAP begleitend zu einer aggressiveren deutschen Außenpolitik vorschlägt.

Russlands Auslandssender gesperrt

Die Auseinandersetzung um die Sperrung von zwei YouTube-Kanälen von RT DE dauert an. YouTube hatte den eigentlichen Kanal von RT DE zunächst wegen tatsächlicher oder angeblicher Desinformation zur Covid-19-Pandemie für sieben Tage suspendiert und am Dienstagabend, nachdem RT DE einen Ausweichkanal zu nutzen begonnen hatte, beide dauerhaft gelöscht. RT DE ist der deutschsprachige Ableger des russischen Auslandssenders Russia Today. YouTube, eine Plattform, die zum US-Konzern Google gehört, begründet die Löschung beider Kanäle mit „Community-Richtlinien“, die „definieren, was auf der Plattform erlaubt ist und was nicht“.[1] Die Sperrung hat wegen der dominanten Stellung von YouTube weitreichende Folgen. Während die Bundesregierung behauptet, sie habe mit der Maßnahme rein gar nichts zu tun, kommen aus Russland wütende Reaktionen. Die Chefredakteurin von Russia Today, Margarita Simonjan, wird mit der Aussage zitiert, es werde ein „Medienkrieg“ gegen Russland geführt; Simonjan verlangt Gegenmaßnahmen gegen den deutschen Auslandssender, die Deutsche Welle.[2] Das Außenministerium in Moskau kündigt „symmetrische Antwortmaßnahmen“ an – gegen YouTube, daneben aber auch gegen noch nicht näher spezifizierte deutsche Medien in Russland.

Aggression und Resilienz

Der Vorgang ist – ganz unabhängig von der Debatte um die inhaltliche Ausrichtung von RT DE – von prinzipieller Bedeutung. Das ergibt sich aus aktuellen Überlegungen im Berliner Polit-Establishment, die ihren Niederschlag in einem vor wenigen Tagen von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) publizierten Strategiepapier gefunden haben. Das Papier skizziert eine aggressivere deutsche Außenpolitik [3] und plädiert quasi komplementär dafür, auch die „Resilienz“ (Widerstandskraft) der deutschen Gesellschaft zu stärken. Dazu müsse man „gezielte Desinformations- und Propagandakampagnen“ abwehren. Was als „Propaganda“ zu gelten hat, liegt im Auge des Betrachters; im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz aus dem Jahr 2019 etwa wurde RT DE vorgeworfen, „das Ansehen der NATO in der deutschen Bevölkerung zu beschädigen“.[4] In dem DGAP-Strategiepapier heißt es, gegen „Propaganda“ müsse eine „nicht-staatliche Rating-Agentur“ geschaffen werden, die die „Bewertung der Medienangebote“ vornehme und dazu auf Kriterien wie eine angebliche „Faktentreue der Berichterstattung“ zurückgreife. Um nicht „den Eindruck“ zu erwecken, es handle sich um ein Orwell’sches „Wahrheitsministerium“, solle sie „staatsfern und unabhängig ausgestaltet sein“. Ausdrücklich heißt es, man müsse sich nicht nur gegen „Angriffe von … außen“, sondern auch gegen „Angriffe von innen“ verteidigen.

„Wandel in Russland“ als Priorität

Während der US-Tech-Konzern Google den deutschen Ableger von Russia Today von YouTube entfernt und damit dessen Reichweite in den deutschsprachigen Ländern spürbar reduziert, dringen Berliner Politikberater auf eine erneute Verschärfung des Konfrontationskurses gegenüber Moskau. So heißt es etwa in einer neuen Stellungnahme aus der DGAP, „Projekte zur ökonomischen und energiepolitischen Interdependenz mit Russland“ – gemeint ist nicht zuletzt die Pipeline Nord Stream 2 – müssten umgehend „auf den Prüfstand gestellt werden“. Notwendig seien „Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit im Rahmen von NATO und EU“ sowie in die „gesellschaftliche Resilienz“, außerdem ein entschlosseneres „Vorgehen gegen Feinde der Demokratie in Deutschland und der EU“.[5] Darüber hinaus plädiert die DGAP, die äußere Einmischung in der Bundesrepublik entschieden ablehnt, für stärkere deutsche Einmischung in innere Angelegenheiten Russlands: So müsse „der gesellschaftliche Austausch und Wandel in Russland“ zu einer „Priorität deutscher Außenpolitik“ werden; es gelte „Projekte mit der wachsenden russischen Diaspora“, darüber hinaus aber auch „Dialogprojekte in den Bereichen Kultur-, Jugendaustausch“ mit Russland zu fördern. „Visaerleichterungen für die russische Gesellschaft“ seien einzuführen. Die Maßnahmen sind geeignet, von außen neue Spannungen in Russland zu schüren.

Neue Sanktionen im Gespräch

Darüber hinaus zieht die EU eine erneute Ausweitung ihrer Sanktionen gegen Russland in Betracht. Wie es bereits Ende vergangener Woche in einer Erklärung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell hieß, machten „einige Mitgliedstaaten“ eine russische Hackergruppe namens „Ghostwriter“ für „bösartige Cyberaktivitäten“ verantwortlich, die sich gegen „zahlreiche Parlamentsabgeordnete, Regierungsbeamte, Politiker sowie Journalisten und Personen aus der Zivilgesellschaft in der EU“ gerichtet hätten.[6] Dabei handelt es sich um Cyberattacken, die bereits zuvor unter anderem in der Bundesrepublik gemeldet worden waren; ihretwegen hatte der Generalbundesanwalt bereits am 9. September ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.[7] Die EU werde sich in Kürze mit der Sache befassen und ziehe „weitere Schritte“ in Betracht, kündigte Borrell an; dies geschehe, weil „Ghostwriter“ in Brüssel mit dem russischen Militärgeheimdienst GRU in Verbindung gebracht werde. Borrells Äußerung wird, auch im Hinblick auf frühere Reaktionen der EU, als eine Drohung mit neuen Sanktionen gegen Russland oder auch gegen russische Regierungsmitarbeiter verstanden. Ein öffentlich nachvollziehbarer Beleg für die Anschuldigung, der GRU habe mit den Attacken zu tun, liegt – wie üblich – nicht vor; auch aus dem russischen Außenministerium heißt es, es seien „keine Beweise für eine Beteiligung“ Russlands „vorgelegt“ worden.[8]

„Fernerkundung samt Datenanalyse“

Unterdessen wird bekannt, dass die Bundeswehr einen Auftrag zur „Herstellung und Lieferung“ hochauflösender Landkarten von Russland vergeben hat – „im Militärmaßstab“.[9] Auf ihnen solle sich „mehr als nur Straßen, Wege und Häuser erkennen lassen“, heißt es. Auftragnehmer ist demnach eine Arge VEHA GbR („Arbeitsgemeinschaft Vektordatenerfassung Hohe Auflösung“), die von drei Lieferanten der Bundeswehr sowie anderer Streitkräfte gegründet worden ist: vom Dienstleister IABG, von der zum italienischen Rüstungskonzern Leonardo gehörenden GAF AG (München) und von der Airbus DS Geo (Immenstaad am Bodensee). Die drei Unternehmen sind „im Wachstumsmarkt Fernerkundung samt Datenanalyse“ tätig.[10] Experten weisen darauf hin, dass der Bundeswehrauftrag nicht isoliert zu sehen ist: „Vielmehr gibt es ein Geodaten-Kooperationsnetzwerk (MGCP), bei dem sich 32 Länder mit dem Kern der Nato-Mitglieder wechselseitig mit Fotos und Karten versorgen.“ Die „Detailschärfe“ betrage gewöhnlich „unter 50 Zentimeter bis maximal ein Meter pro Bildpunkt“; damit ließen sich „jeder etwas größere Baum“ sowie „jedes Fahrzeug“ erkennen – auch in Russland.

 

[1] Oliver Noyan: Nach Löschung von Russia Today droht Russland YouTube mit Gegenmaßnahmen. euractiv.de 30.09.2021.

[2] Moskau droht deutschen Medien in Russland. Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.09.2021.

[3] Ideenwerkstatt Deutsche Außenpolitik: Smarte Souveränität. 10 Aktionspläne für die neue Bundesregierung. DGAP Bericht Nr. 16. September 2021. S. dazu Handlungsempfehlungen an die nächste Bundesregierung (I) und Handlungsempfehlungen an die nächste Bundesregierung (II).

[4] Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat: Verfassungsschutzbericht 2019. Berlin 2020.

[5] Stefan Meister: Pragmatische Russlandpolitik. DGAP Memo Nr. 04. September 2021.

[6] Declaration by the High Representative on behalf of the European Union on respect for the EU’s democratic processes. consilium.europa.eu 24.09.2021.

[7], [8] EU wirft Russland gezielte Cyberangriffe vor. n-tv.de 24.09.2021.

[9], [10] Gerhard Hegmann: Verschlusssache Russland. Welt am Sonntag 26.09.2021.

Der Originalartikel kann hier besucht werden