Eigentlich müssten wir schon angefangen haben, uns auf eine heissere Zukunft vorzubereiten. Vor allem im Gebäude- und Städtebau.

Daniela Gschweng für die Online-Zeitung INFOsperber

Gesundheitsgefahren durch Wetterereignisse werden in Mitteleuropa vor allem mit Kälteeinbrüchen und Extremwetter wie Stürmen und Überschwemmungen in Verbindung gebracht. Die zunehmende Bedrohung durch steigende Temperaturen wird dabei oft übersehen.

Statistisch gesehen ist das nicht ganz falsch. Kälte ist in Europa zehnmal tödlicher als Hitze, was sich in etwa 30 Jahren aber ändern dürfte. Weltweit übersteigt die Anzahl der Opfer von Kälteereignissen die der Hitzetoten, stellt eine umfassende Studie fest. Hitze sei ein zunehmendes Gesundheitsrisiko, warnt dagegen die Hauptautorin Katrin Burkart im Fachmagazin «The Lancet». 2019 sind demnach schätzungsweise 356‘000 Menschen weltweit an Hitze gestorben. Etwa ein Drittel aller Hitzetoten sei auf den Klimawandel zurückzuführen, stellte eine andere Studie in «Nature Climate Change» fest.

Hitzefolgen für die Gesundheit «entscheidende Frage des Jahrzehnts»

Wie mit einem zunehmend heissen Klima und dessen gesundheitlichen Folgen umgegangen werden soll, seien zwei der entscheidenden Fragen dieses Jahrzehnts, schreibt «The Lancet», der dazu in seiner August-Ausgabe mehrere Artikel publiziert hat. Nach einem vergleichsweise kühlen Sommer hört sich diese Aussage zwar zugegebenermassen seltsam an, die Vorhersagen für die Zukunft sind jedoch eindeutig: Wir werden zunehmend mehr und längeren Hitzewellen ausgesetzt sein.

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Temperaturvorhersage des IPCC für Europa nach Grad der Erderwärmung (1,5/2/4°C) im Winter (linke Spalte) und Sommer bis etwa 2100. © IPCC Alle Rechte vorbehalten

Wie rechtzeitig und wie erfolgreich wir gegen Hitzegefahren vorgehen, wird weitreichende Auswirkungen auf Produktivität, öffentliche Gesundheit und Gesellschaft haben. Kleine Einschränkungen wie grosse Planungsaufgaben, die sich jahrzehntelang auswirken werden, werden unseren Alltag verändern.

Hitzegefahren werden unser Leben verändern

Die ersten Beispiele für Hitzerisiken sehen wir bereits. Bei der letzten Austragung der olympischen Spiele in Japan waren Temperatur und Luftfeuchtigkeit beispielsweise so hoch, dass für teilnehmende Sportler Lebensgefahr bestand. Das lag nicht nur am Klimawandel, sondern auch am Veranstaltungsort und an der Jahreszeit. In Folge kam die Frage auf, ob Leistungssport unter solchen Bedingungen noch zu rechtfertigen ist.

Dieselbe Frage könnte bald für Sportunterricht am frühen Nachmittag, Arbeiten, die draussen erledigt werden müssen, oder zur Bewegungsfreiheit älterer Menschen in den Sommermonaten gestellt werden. Durch Hitze gefährdet sind besonders ärmere und ältere Menschen sowie solche, die in Berufen arbeiten, in denen sie sich schlecht schützen können, beispielsweise im Handwerk oder im Strassenbau.

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Der Körper reagiert auf Hitze mit verschiedenen Massnahmen, um sich kühl zu halten. Schafft er das nicht, versagen Herz und Kreislauf. © The Lancet

Der Körper reagiert auf Hitze mit zwei Massnahmen: Er leitet vermehrt Blut zur Haut und er produziert Schweiss, um die Körperoberfläche abzukühlen. Wenn sich der Körper mehr aufheizt, als er sich durch die sogenannte Verdunstungskälte beim Schwitzen abkühlen kann, geraten Herz, Kreislauf und zunehmend auch andere Systeme und Organe an ihre Grenzen. Wann konkret, hat nicht nur mit der Temperatur, sondern auch mit Luftfeuchtigkeit und Luftbewegung zu tun.

Die Hitzeanpassung müsste schon begonnen haben

Gesundheitsrisiken durch Hitze müsse dringend mehr Beachtung geschenkt werden, schreibt der «Lancet». Wir müssten eigentlich schon längst angefangen haben, uns auf lebensbedrohliche Hitze einzustellen. Vor allem in Städten, vor allem dort, wo ältere, vulnerable und arme Menschen leben. Besonders in Bereichen, die lange Vorlauf und jahrzehntelang Bestand haben, wie im Städte-, Wohnungs- und Strassenbau.

Eines der wirksamsten Mittel gegen Hitzeüberlastung sind Klimaanlagen, listet der «Lancet» auf. Klimatisierung reduziere beispielsweise die Sterblichkeit in Spitälern während einer Hitzewelle um bis zu 40 Prozent. Sie hält die Produktivität an Büroarbeitsplätzen und die Leistung in Schulen und Universitäten aufrecht. Ein Stromausfall während einer Hitzewelle kann bereits jetzt Leben kosten. Klimatisierung wird gemäss einer Auswertung der möglichen Gegenmassnahmen gegen Hitzeüberlastung die weltweit meistadaptierte Technologie werden, schätzt das Autorenteam.

Der Nachteil daran: Für weniger gut gestellte Bevölkerungsschichten sind Klimaanlagen unerschwinglich, für die Gesamtbevölkerung ökologisch kostspielig, für das Klima wenig schonend. In vielen Klimageräten stecken klimaschädliche Chemikalien und sie heizen städtische Gebiete durch Abwärme noch mehr auf. Wie sich der Energiebedarf tausender Klimageräte mit einem in der Zukunft voraussichtlich reduzierten Stromangebot in Übereinstimmung bringen lässt, ist ebenfalls unklar. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass der Energiebedarf für die Kühlung von Gebäuden bis 2030 weltweit um bis zu 50 Prozent steigen wird, wenn keine Gegenmassnahmen ergriffen werden.

Städtebau: «Blaue» und «grüne» Inseln

Städte können um bis zu zehn Grad wärmer werden als die umgebende Landschaft, in der Stadt lässt sich aber auch viel gegen Erwärmung tun. «Blaue Inseln» wie Seen, Flüsse und Brunnen müssen in der Stadtplanung grösseres Gewicht bekommen, schlagen die Autoren vor. «Grüne Inseln», das heisst Bäume, Büsche, bepflanzte Verkehrsinseln und Vorgärten können das Stadtklima durch Beschattung und Verdunstung verbessern. Kühle Orte verursachen Luftbewegung, was weiter abkühlt. Zu Pflanzen in Parks äussern sich die Autoren eher vorsichtig. Parks geben zwar Kühlinseln ab, verbrauchen aber auch viel Platz und Wasser.

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Wärmebild der Stadt Atlanta © NASA/GSFC

Statt einen Platz an der Sonne werden wir in Zukunft öfter einen Platz im Schatten suchen. Die Beschattung von Schulhöfen, Sportstätten und vor allem von Alten- und Pflegeheimen sollte in der Planung höhere Priorität haben. Ältere Menschen schwitzen nicht nur weniger, sie nehmen auch oft Medikamente, die die Hitzeempfindlichkeit steigern. Infrastruktur wie glühend heisse Bushaltestellen, die in der Mitte von vielbefahrenen Strassen liegen, sollte es in Zukunft nicht mehr geben.

Und mal wieder: Individualverkehr und Bauvorschriften

Viel Verkehr, das dürften die meisten Menschen aus Erfahrung wissen, heizt die schon grösstenteils versiegelte, stark reflektierende Stadt zusätzlich auf. Auf stark befahrenen Strassen ist die Temperatur wochentags, wenn viel Betrieb ist, um mehrere Grad höher als am Wochenende. Autos wirken wie eine Heizung, auch dann, wenn sie nur geparkt sind, das haben Messungen in München an einem nicht allzu heissen Tag gezeigt. Bei Hitze sollte es Möglichkeiten geben, den Verkehr zu drosseln – was allerdings den Preis zumindest vorübergehend eingeschränkter Mobilität hätte.

Dämmung, Anstriche und Fassadengestaltung, die die Hitzeentwicklung reduzieren, müssen bei jedem Neu- und Umbau eingeplant werden, genauso wie Klimaanlagen und gut isolierende Fensterbedeckungen. Nicht nur da müssen Bauvorgaben überdacht werden: Bisher sind Klimaanlagen und Dämmungen in der Schweiz auf 40 Grad Aussentemperatur ausgerichtet. Gemessen wird in der Regel mit Sensoren an einem schattigen Teil der Fassade. An heissen Tagen und in der Stadt könnte das zukünftig zu wenig sein.

Kein Gebäude dürfte mehr geplant werden, ohne an steigende Temperaturen zu denken

Kein Pflegeheim, kein Spital, keine Veranstaltungs- und Sporthalle dürfte mehr geplant, gebaut oder umgebaut werden, ohne dass Kühlung mitbedacht wird. Dasselbe gilt für Wohnungen, die sich potenziell stark aufheizen, wie Dachwohnungen oder Gebäude mit Flachdächern, sonst werden sie zu Hitzefallen. «Thermische Umweltverschmutzung» durch Abgase oder Hitzeinseln – beispielsweise auf breiten Strassen, Firmengeländen oder in Industriegebieten – muss bekämpft werden.

Für alle Orte, an denen sich viele Menschen versammeln wie in Sportstadien, Konzerthallen oder Kirchen bräuchte es in Zukunft nicht nur andere Bauvorschriften, sondern auch ein Hitzekonzept. Einen «Heat Action Plan», wie es ihn beispielsweise für Phasen hoher Luftverschmutzung oder Ozonwerte gibt, haben bisher nur wenige Städte und Länder weltweit.

Teile davon könnten praktisch so lauten: Trinkwasser ist kostenlos zur Verfügung zu stellen. Ventilatoren oder Klimaanlagen in Wartezimmern, öffentlichen Verkehrsmitteln, Schulen und Restaurants sind ab einer bestimmten Hitzewarnstufe Pflicht. Wasserspender in Einkaufszentren gehören zur Standardeinrichtung, Restaurants müssen Leitungswasser kostenlos anbieten.

Die Schweiz ist besser vorbereitet als viele andere Länder

Die Bevölkerung wird bei ungünstigen Wetterprognosen gewarnt. Bei Veranstaltungen im Freien muss der Veranstalter für Beschattung sorgen. Für besonders gefährdete Personen gibt es Hitzebetreuung, gefährliche Tätigkeiten werden während der wärmsten Stunden des Tages eingeschränkt, nichtklimatisierte Sportstätten werden geschlossen.

Die Schweiz ist besser vorbereitet als die meisten anderen Länder und gilt bei der Vorsorge für Hitzeereignisse als Vorzeigeland. Das Schweizer Tropeninstitut machte schon 2017 Vorschläge, wie Gesundheitsgefahren durch Hitze auf verschiedenen gesellschaftlichen und organisatorischen Ebenen begegnet werden kann. Die seit einer Hitzewelle 2003 in mehreren Kantonen eingeführten Hitzeaktionspläne haben sich bewährt. Auch in Deutschland, England, Frankreich, Italien und Spanien gibt es regionale oder landesweite Hitzewarnpläne.

Potenzial gibt es noch im Gebäudebau. So gibt es beispielsweise in vielen Treppenhäusern keine Möglichkeit, die Fenster abzudecken. Grosse Glasflächen an Fassaden können oft nicht abgedeckt werden, Vorgärten werden versiegelt statt bepflanzt. Grosstädte in den USA experimentieren längst mit hellen Anstrichen für Flachdächer und Stassen, Dachbegrünung und hitzetolerantem Asphalt.