Angesichts der anhaltenden Proteste gegen die kubanische Regierung hat die Biden-Administration umgehend ihre Unterstützung für die Protestierenden bekundet. Dabei verschweigt sie jedoch, dass die Maßnahmen der USA zur Lahmlegung der kubanischen Wirtschaft genau darauf ausgelegt sind, eine solche Krise herbeizuführen und derartige Demonstrationen zu begünstigen. Unerwähnt bleiben die Millionen von Dollar, die Washington ausgibt, um sich in Kubas innere Angelegenheiten einzumischen. Erst Ende Juni hatte die internationale Staatengemeinschaft die Wirtschaftsblockade zum 29. Mal verurteilt – mit überwältigender Mehrheit. Nur Israel und die USA stimmten für die Fortsetzung des Embargos. Kolumbien, Brasilien und die Ukraine enthielten sich der Stimme.

Er unterstütze das „kubanische Volk und seine Forderung nach Freiheit und Entlastung von den tragischen Folgen der Pandemie und der jahrzehntelangen Unterdrückung und dem wirtschaftlichen Leid, dem es durch das autoritäre Regime ausgesetzt war“, hatte US-Präsident Joe Biden erklärt. Bidens Staatssekretär Antony Blinken erläuterte auf einer Pressekonferenz, zehntausende Kubaner*innen gingen auf die Straße, um ihr Versammlungsrecht auszuüben und ihrer Meinung in ihrer Forderung nach Freiheit und Menschenrechten Ausdruck zu verleihen. Die Kritik richte sich an Kubas autoritäres Regime, weil es die grundlegendsten Bedürfnisse des Volkes, etwa nach Nahrung und Medizin, nicht erfülle. Blinken forderte die kubanische Regierung auf, die Demonstrationen nicht mit Repression zu beantworten und dem kubanischen Volk das Recht auf die Gestaltung seiner Zukunft zuzugestehen.

Jahrzehntelange Embargo-Politik trägt Früchte

Was beide unerwähnt lassen, genau wie weitere rangniedrigere der Regierungsmitglieder: die seit sechs Jahrzehnten andauernde Embargopolitik zusammen mit 243 weiteren von der Trump-Administration verhängten Maßnahmen. Ihr Ziel: die kubanische Wirtschaft zu ersticken und Engpässe bei Lebensmitteln, Kraftstoff und Medizin zu verursachen. Ebenfalls unerwähnt blieb die Tatsache, dass Washington immer noch jährlich mehr als 20 Millionen Dollar „Unterstützung” an regierungsfeindliche Gruppen in Kuba verteilt. Im Haushaltsentwurf für das nächste Fiskaljahr werden erneut 20 Millionen Dollar für „Programme zum Aufbau der Demokratie, Menschenrechte und Zivilgesellschaft in Kuba“ veranschlagt. Fast 13 Millionen sind für Radio- und Propagandasender wie TV Martí vorgesehen – wie viele weitere Millionen in geheime Operationen fließen, ist nicht bekannt.

US-Regierung bestreitet Verstrickung in Proteste

Mehrere Expert*innen und Beobachter*innen des Verhältnisses der beiden Staaten reagierten überrascht auf die Entscheidung der Biden-Administration, bis auf weiteres keinen Kurswechsel in ihrer Kuba-Politik vorzunehmen. Diesen hatte sie in ihrem Wahlkampf versprochen und die kubanische Isolationspolitik als gescheitert bezeichnet.

Ohne die wirtschaftlichen Sanktionen, die Unterstützungsgelder für Regimekritiker*innen oder die lange, unrühmliche Interventionshistorie zu erwähnen, schloss Blinken eine Verwicklung Washingtons in die Geschehnisse in Kuba aus. „Es wäre ein schwerwiegender Fehler des kubanischen Regimes, die momentanen Ereignisse als Ergebnis oder Folge irgendeiner Handlung der Vereinigten Staaten zu interpretieren.“ Die Sprecherin des Weißen Hauses Jen Psaki ergänzte: „Alles deutet darauf hin, dass die Proteste spontane Bekundungen von Menschen waren, die die Misswirtschaft und Repression der kubanischen Regierung nicht länger ertragen wollen.“ Unmittelbar darauf schien sie sich jedoch mit der Aussage, dass die Biden-Administration „prüft, wie wir den Menschen in Kuba direkt helfen können“, zu widersprechen.

US-Maßnahmen und Pandemie bedingen die Krise

Einigen Beobachter*innen fiel auf, dass die Ereignisse in Kuba niemanden in Washington, geschweige denn in Kuba, zu überraschen schienen. Der Anwalt José Pertierra, langjähriger Experte der Beziehungen zwischen den USA und Kuba, bezeichnete das Geschehen gegenüber dem mexikanischen Nachrichtenportal La Jornada als „perfekten Sturm”.  Die US-Maßnahmen, mit deren Hilfe man „an den Stellschrauben drehen“ könne, wie der Mangel an Lebensmitteln oder die fehlende Elektrizität in der Sommerhitze, falle mit den Folgen der Pandemie zusammen: Der Devisenmangel aufgrund der Stilllegung des Tourismus hatte verheerende Zustände in der Bevölkerung zur Folge. Laut Pertierra versuchen die Vereinigten Staaten, den daraus resultierenden Missmut zu stärken und knüpfen damit an das an, was von Anfang an ausdrückliches Ziel der Blockade war: „Die Menschen zur Verzweiflung zu bringen.“

Die Befürworter*innen dieser Politik in den USA seien immer bereit, eine Krise zu nutzen und zu befeuern: „Sie haben das unmittelbare Ziel, die Aufhebung der Blockade zu verhindern. Vielleicht ist es ihnen mit dem, was gerade passiert ist, vorerst mit Bidens Hilfe gelungen.“ Nach Pertierras Ansicht folgt diese Gruppe einem Drehbuch, das auch die Bedrohung ihrer Kritiker*innen beinhaltet. Die Anweisungen kämen jedoch nicht aus Kuba, sondern aus Miami. Während einer Demonstration auf der Insel sei er per Telefon bedroht worden. Er und andere Mitstreiter*innen erhielten mehrere Anrufe von einer unterdrückten Nummer: „Der Kommunismus fällt heute in Kuba. Wir beobachten Dich, Pertierra. Du wirst auf dich aufpassen müssen.”

Uneinigkeit hinsichtlich der Kuba-Politik in Washington

Abgeordnete beider Parteien, besonders Amerikaner*innen kubanischer Abstammung, verurteilten wie üblich die kubanische Regierung. Robert Menéndez, Demokrat und einflussreicher Vorsitzender des Senatsausschusses für auswärtige Beziehungen, erklärte: „Dies könnte ein Moment sein, der den Lauf der Geschichte verändert.“ Auch der republikanische Kongressabgeordnete Marco Rubio forderte, Biden müsse verlangen, dass die kubanischen Streitkräfte die Demonstrierenden nicht gewaltsam unterdrückten.

Es stimmten jedoch nicht alle in den offiziellen Chor mit ein. Jim McGovern, langjähriger Kongressabgeordneter der Demokraten, erklärte: „Die kubanische Regierung muss die Rechte ihres Volkes auf friedlichen, rechtmäßigen Protest wahren, und die US-Regierung muss das Embargo beenden, das kläglich gescheitert ist und dem kubanischen Volk großes Leid zugefügt hat.“ Der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Gregory Meeks, schloss sich der Position seines Kollegen an und forderte Biden dazu auf, dabei zu helfen, das Leiden in Kuba zu lindern, indem er die Sanktionen der Trump-Administration aufhebe und dem kubanischen Volk zusätzliche humanitäre Hilfe und Impfungen anbiete. Eine breite progressive Bewegung in den USA forderte außerdem: „Hände weg von Kuba!“

Übersetzung: Hannah Hefter

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