Ein unterschätzter Faktor in der rassistischen Gewalt des Tulsa-Massakers von 1921 ist die Art und Weise, wie weiße Rassist:innen den Wohlstand der Schwarzen dezimierten.

Hundert Jahre nach dem schlimmsten Fall von rassistischer Massengewalt im Amerika des 20. Jahrhunderts bekommt das Tulsa-Massaker endlich die Aufmerksamkeit, die ihm gebührt. Der Terroranschlag eines bewaffneten weißen Mobs gegen eine wohlhabende schwarze Gemeinde im Jahr 1921 ist vielleicht eine der deutlichsten und extremsten Beispiele dafür, dass vielen Afroamerikaner:innen ihr Wohlstands eine Generation lang verwehrt blieb.

Innerhalb von nur 24 Stunden verwüstete eine Armee deputierter weißer Männer den Greenwood District in Tulsa, Oklahoma, brannte nieder, was als „Black Wall Street“ bekannt war, und tötete Hunderte von Bewohner:innen und Geschäftsinhaber:innen. Es gab nie eine vollständige Aufklärung über die Morde und das Chaos, das über die Gemeinde hereinbrach. Einige Schätzungen gehen von mindestens 300 Toten aus.

Während die großen Medien endlich über diesen dunklen Vorfall als Symbol historischer weißer, rassistischer Gewalt berichten, ist eine entscheidende Lektion des Tulsa-Massakers, wie wirtschaftliche Ungerechtigkeit dem schwarzen Amerika aufgezwungen wurde und wie der Reichtum den wenigen schwarzen Amerikaner:innen, die innerhalb des kapitalistischen Systems Erfolg hatten, aus den Händen gerissen wurde.

Professor Karlos K. Hill, Lehrstuhlinhaber und außerordentlicher Professor für afrikanische und afroamerikanische Studien an der Universität von Oklahoma, ist einer der herausragenden Wissenschaftler:innen des Landes zur Geschichte der Rassengewalt und Autor von The 1921 Tulsa Race Massacre: A Photographic History. In einem Interview erklärte er mir, dass „der Greenwood District [von Tulsa] vielleicht die wohlhabendste schwarze Gemeinde im Land war“ und ein „Symbol dafür, was selbst im Jim-Crow-Amerika möglich war.“ Hill zufolge lebten die 11.000 schwarzen Einwohner:innen von Greenwood in einem Gebiet, das Hunderte von erfolgreichen Unternehmen beherbergte und vier Millionär:innen und sechs Beinahe-Millionär:innen umfasste –  in heutigen Dollar. Es war Booker T. Washington, der Greenwood 1913 als die „Negro Wall Street“ bezeichnete.

An einem einzigen Tag wurde alles, was aufgebaut wurde, zerstört. „Der Greenwood District und sein Wohlstand zogen die Aufmerksamkeit der Weißen auf sich“, so Hill. Er argumentierte, dass der bewaffnete weiße Mob und seine Unterstützer:innen „in Greenwood nicht nur [ihren eigenen] Groll gegen die wirtschaftliche Reichtumsanhäufung der Schwarzen sahen, sondern sie sahen in Greenwood die Zukunft.“ Mit anderen Worten: „Die Befürchtung war, wenn Schwarze wirtschaftliche und politische Gleichheit haben könnten, dann würde die soziale Gleichheit gleich darauf folgen.“ Und das war eine Bedrohung für die Fundamente der Jim-Crow-Gesetze.

Eine Überlebende des Massakers, die 107-jährige Viola Fletcher, sagte einige Wochen vor dem 100. Jahrestag vor dem Kongress aus und erinnerte sich daran, wie sie als Kind in Greenwood in einem „wunderschönen Haus“ mit „großartigen Nachbarn und … Freunden zum Spielen“ aufwuchs. „Ich hatte alles, was ein Kind brauchen konnte. Ich hatte eine glänzende Zukunft vor mir“, sagte sie. Ein paar Wochen nachdem Fletcher sieben Jahre alt geworden war, schlugen die bewaffneten Männer am 31. Mai 1921 zu. Nachdem sie von der „Gewalt des weißen Mobs“ und ihren Erinnerungen an „schwarze Leichen, die auf der Straße lagen“ und „schwarze Geschäfte, die verbrannt wurden“ berichtet hatte, fuhr sie fort, die bittere Armut zu beschreiben, in die sie durch das Massaker gestürzt wurde.

Fletcher schaffte es in der Schule nie über die vierte Klasse hinaus. Die vielversprechende Zukunft, für die ihre Familie hart gearbeitet hatte, wurde in der Asche des Tulsa-Massakers ausgelöscht. „Die meiste Zeit meines Lebens war ich eine Hausangestellte, die weißen Familien diente. Ich habe nie viel Geld verdient. Bis heute kann ich mir kaum das Nötigste leisten“, sagte sie den Anwesenden während ihrer Zeugenaussage.

Das Massaker von Tulsa war ungewöhnlich in seinem Ausmaß, der grausamen Geschwindigkeit seiner Zerstörung und dem Ausmaß des Wohlstands, der dezimiert wurde. Aber es war nicht ungewöhnlich, da es unerbittliche Pogrome gegen schwarze Gemeinden gab, besonders zwischen den Jahren 1917 und 1923 – so sehr, dass ein Bericht die Periode als „eine Herrschaft des rassischen Terrors nach dem Ersten Weltkrieg“ bezeichnete, als Weiße sich erhoben, um wohlhabende schwarze Gemeinden zu unterdrücken.

Die Proklamation von Präsident Joe Biden zum 100. Jahrestag des Massakers von Tulsa und seine bewegende Rede in Greenwood gingen viel weiter als von jedem Präsidenten zuvor, um die Schrecken von Tulsa anzuerkennen und einen Ansatzpunkt für Gerechtigkeit zu bieten. Seine Ankündigung von neuen Maßnahmen zum Aufbau von schwarzem Reichtum und zur Verringerung der rassisch bedingten Wohlstandskluft ist ein weitaus progressiverer Hinweis auf die systemische, rassisch bedingte wirtschaftliche Ungerechtigkeit, als man vom Weißen Haus erwarten würde.

Während Hill zugibt, dass Bidens „Plan ein guter Anfang ist“, behauptet er, „er ist nicht ausreichend.“ „Wir müssen uns weiterhin auf die Wiedergutmachung für die Opfer, Überlebenden und Nachkommen konzentrieren“, sagte er. In der Tat empfahl die Tulsa Race Massacre Commission, die vor mehr als zwei Jahrzehnten vom Staat Oklahoma ins Leben gerufen wurde, Wiedergutmachung, die „Entschädigung auf individueller und gemeinschaftlicher Ebene beinhaltet.“ Wenn wir darüber nachdenken, wie Fletchers Leben hätte aussehen können, wenn der Wohlstand ihrer Familie und ihre Gemeinde nicht niedergebrannt worden wären, können wir uns nur vorstellen, was für sie als Individuum und für Generationen von schwarzen Amerikaner:innen wie sie und ihre Nachkommen verloren gegangen ist.

Heute fordern schwarze Aktivist:innen, Anführer:innen und Anwält:innen eine Abrechnung mit der rassistischen Gewalt und dem systemischen Entzug von Reichtum aus schwarzen Gemeinschaften. Die Bewegung für schwarzes Leben zum Beispiel fordert ausdrücklich „wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle und einen Umbau der Wirtschaft, um sicherzustellen, dass schwarze Gemeinschaften kollektiven Besitz haben, nicht nur Zugang.“ Es gibt eine direkte Verbindung zwischen der makabren Geschichte rassistisch motivierter Gewalt in den USA und den heutigen Formen des systemischen Rassismus, die darauf abzielen, schwarzen Erfolg und Wohlstand zu unterdrücken. Eine Studie nach der anderen beweist die anhaltende Diskriminierung schwarzer Amerikaner bei Haushypotheken, Mietwohnungen, Beschäftigung, Löhnen und College-Zulassungen, und zwar so sehr, dass sie der Wirtschaft als Ganzes schadet.

Und dennoch weigern sich weiße Konservative immer noch zu akzeptieren, dass das amerikanische Wirtschaftssystem so gestaltet ist, dass es ihnen auf Kosten der Farbigen und insbesondere der Schwarzen zugutekommt. Hill behauptete: „Wir müssen größer und aggressiver über die Art und Weise nachdenken, wie der systematische Rassismus den Wohlstand der Schwarzen nicht nur verringert, sondern unmöglich gemacht hat, ihn aufzubauen.“

Die neueste Front im rechten Kulturkrieg ist eine bizarre neue Kampagne gegen das Feld der „kritischen Rassentheorie„, die an akademischen Einrichtungen gelehrt wird. Im selben Jahr, in dem sich das Tulsa-Massaker zum hundertsten Mal jährte, in dem ein US-Präsident endlich eine beispiellose Würdigung des Ereignisses vornahm und in dem die Geschichte der rassistischen Gewalt in Tulsa endlich den Stellenwert erhielt, den sie verdient, verbot der Bundesstaat Oklahoma die Lehre der kritischen Rassentheorie. Hill prangerte diesen Schritt scharf an und sagte: „Es ist so beleidigend, dass dieser Staat am 100. Jahrestag des Rassenmassakers ein solches Gesetz erlassen würde. Es ist so wahnsinnig, es ist so frustrierend, es ist so ein Schlag ins Gesicht.“ Vielleicht, weil dies genau der pädagogische Rahmen ist, der jungen Amerikaner:innen helfen kann, die Geschichte rassifizierter wirtschaftlicher Ungerechtigkeit zu analysieren, sehen die heutigen weißen Konservativen dies als eine Bedrohung für die Aufrechterhaltung ihrer rassischen und wirtschaftlichen Privilegien.

Während ihrer Aussage über das Überleben des Tulsa-Massakers warnte Fletcher:

„Unser Land mag diese Geschichte vergessen, aber ich nicht. Ich werde es nicht… und unsere Nachkommen auch nicht.“

Dieser Artikel von Sonali Kolhatkar wurde von Economy for All produziert, einem Projekt des Independent Media Institute. Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige! 


Sonali Kolhatkar ist die Gründerin, Gastgeberin und ausführende Produzentin von „Rising Up With Sonali“, einer Fernseh- und Radiosendung, die auf Free Speech TV und Pacifica ausgestrahlt wird. Sie ist Stipendiatin für das Projekt „Economy for All“ am Independent Media Institute.