Ökozid ist die Zerstörung großer Gebiete der Natur infolge menschlicher Aktivitäten.

Diese Zerstörung großer Gebiete ist so deutlich und so bedrohlich für alle Lebewesen einschließlich der menschlichen Existenz geworden, dass eine Gruppe internationaler Juristen aktuell daran arbeitet, beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) den Entwurf eines neuen „Ökozid“ Gesetzes vorzulegen.

„Stopp Ökozid“ heißt die Gruppe, die diese Initiative unterstützt. In der Erklärung auf ihrer Website heißt es: „Die Zukunft des Lebens auf der Erde schützen bedeutet, den massiven Schäden und der Zerstörung der Ökosysteme, die weltweit stattfinden, Einhalt zu gebieten. Wir nennen diese ernsthafte Schädigung der Natur „Ökozid“. Und gerade jetzt, in den meisten Teilen der Welt, ist er gesetzlich erlaubt. Es ist an der Zeit, die Regeln zu ändern. Wir arbeiten daran, Ökozid zu einem internationalen Verbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu machen.“

Es ist kein bedeutungsloses Unterfangen. Das Europäische Parlament unterstützt die Initiative, die kanadische Regierung hält sich eng daran, der französische Präsident Macron ist ein Verfechter davon und Belgien hat das Thema 2020 beim IStGH in seiner offiziellen Erklärung bereits mit aufgenommen. Inzwischen plant ein Ausschuss führender Juristen, die an dem Entwurf arbeiten, seine Arbeit bis Juni 2021 zu beenden und dem IStGH vorzulegen.

Es hat etwas Verstörendes, dass diese Initiative den Ökozid auf die gleiche Stufe stellt wie den Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggressionsverbrechen – alle im Wirkungsbereich des Internationalen Strafgerichtshofs. Doch dazu später. Die Notwendigkeit der Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofs geht zurück auf die UN-Resolution Nr. 260 vom Dezember 1948, als Reaktion auf den Faschismus des vorhergegangenen Jahrzehnts. Die UN schloss dann am 17. Juli 1998 das Römische Statut ab und bildete damit die Grundlage für den Internationalen Strafgerichtshof. Dieses Statut trat im Dezember 2015 im niederländischen Den Haag in Kraft.

Nach viel zu vielen Jahren der Überlegungen und Verfahrensabsprachen ist der IStGH nun offiziell von ca. 123 Staaten anerkannt. Diese Anerkennung ist jedoch fragil, da sie durch die aktuellen Erscheinungen von Faschismus von einigen in Frage gestellt wird. Einige Staaten, wie zum Beispiel 2019 die Philippinen haben ihre Unterschrift zurückgezogen, andere wiederum haben das Römische Statut unterzeichnet, nicht aber ratifiziert und vier Unterzeichnerstaaten haben den UN-Generalsekretär darüber unterrichtet, dass sie nicht mehr beteiligt sein wollen. Dabei handelt es sich um Israel, den Sudan, die USA und Russland. Auf die Frage hin, worin das allgemeine Interesse am Untergraben der Wirksamkeit des IStGH liegt, lautet die Antwort: die auch nur entfernte Möglichkeit, auf der Anklagebank zu landen.

Unter Präsident Rodrigo Duterte zogen sich die Philippinen ab dem Moment zurück, als der IStGH erste Ermittlungen zu seinen Drogenkriegen aufnahm. Die Trump Administration (Faschismus light) – vorausgesetzt man kann sie als eine Administration bezeichnen – ging sogar so weit, dem IStGH und seinen Mitarbeitern mit Strafverfolgung und finanziellen Sanktionen zu drohen und verhängte Visa-Sperren als Reaktion auf die Strafverfolgung eines jeden Amerikaners, insbesondere in Bezug auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Afghanistan. Natürlich hatten die USA das Römische Statut in der ersten Instanz nicht ratifiziert. Unter Trump ging es dann damit noch weiter den Bach runter, indem „die Aufrichtigkeit, Integrität und Wahrhaftigkeit“ des IStGH offen in Frage gestellt wurde, ergänzt durch verschiedene harte (kindische) Drohungen gegenüber der internationalen Organisation. Die Weltgemeinschaft verschloss vor diesem rüpelhaften Benehmen nicht im mindesten die Augen. Sie hatte es so erwartet. (Fußnote: Seit dem 26. Januar werden die US-Sanktionen für Vertreter des IStGH durch die Biden-Administration „gründlich untersucht“.)

Und doch ist alles in allem der verstörendste Aspekt der Ökozid-Bewegung die einfache Tatsache ihrer Notwendigkeit. Die Initiative spricht Bände über den schlechten Zustand verschiedener Ökosysteme, die am Zusammenbrechen sind und von denen einige das direkt vor unseren Augen tun, besonders im hohen Norden. Es mag die brutale Wahrheit sein, dass die Ökozid-Bewegung zu spät kommt. Denn schließlich steht der Planet bereits auf wackeligen Füßen.

Anzeichen für einen verlorenen Planeten, der in seinen letzten Zügen liegt, gibt es reichlich. So stellen zum Beispiel komplexe Lebensformen wie wildlebende Säugetiere, Vögel, Reptilien und Amphibien heute nur noch 5% der gesamten Biomasse der Erde. Die anderen 95% machen Nutztiere und Menschen aus. Und so drängen sich – jeder gegen jeden – Kühe, Hühner, Schweine und Menschen zusammen und krallen sich an dem fest, was von der Natur übrig ist.

Zwei Drittel (67%) aller freilebenden Wirbeltiere sind innerhalb von nur 50 Jahren ausgestorben. Das sind nur etwas weniger als beim Perm/Trias-Massensterben vor 252 Millionen Jahren, als 70% der Landwirbeltiere und 95% der Meerestiere im größten Massensterben verschwanden, die der Planet jemals erlebt hatte – auch „das große Sterben“ genannt. Und unser heutiges anthropozänes Zeitalter ist eindeutig bereits wieder „mitten im Geschehen“. Was wird in den kommenden 50 Jahren passieren?

Globale Feuchtgebiete sind auf nur noch 13% des Standes von vor 300 Jahren heruntergepflügt worden, womit einige Insektenpopulationen bis zu 80% vernichtet worden sind. Fragen Sie den Entomologischen Verein Krefeld (gegründet 1905) zu den stark fallenden Zahlen von Insekten in 63 Landschaftsschutzgebieten, Regionen also, in denen die Landschaft geschützt wird.

Währenddessen vermehrt sich die menschliche Bevölkerung weiter und versprüht dabei toxische Insektizide auf alles, was ihr in die Quere kommt. Fakt ist, dass es nicht viel ist, was noch nicht direkt oder indirekt in Giften getränkt wurde, einschließlich der – meist ungetesteten – Chemikalien, auf denen das Dasein von Menschen und Nutztieren basiert. Allein in den USA sind das 80.000. Inzwischen leidet die Hälfte der Einwohner der USA an einer chronischen Krankheit (Rand Studie, 2017): Arthritis, Asthma, Krebs, ALS, Mukoviszidose, Alzheimer und andere Demenzerkrankungen, Osteoporose, Herz-Kreislaufkrankheiten und Diabetes. Jede dieser Krankheiten kann umweltbedingt ausgelöst worden sein.

Gifte tyrannisieren den Planeten. Sie sind überall zu finden – auf dem Gipfel des 8848 m hohen Mount Everest, wo Bergsteiger im Schnee Arsen und Kadmium in einer Konzentration jenseits der von der amerikanischen Umweltbehörde festgelegten Grenzwerte gefunden haben, bis hinunter auf den Grund des 11.000 Meter tiefen Marianengrabens, wo Tiefseeforscher Schalentiere entdeckten, deren toxische Werte das 50fache derer aus den dreckigsten Flüssen Chinas betrug – und das will schon etwas heißen!

Was vergegenwärtigt ein passenderes Bild eines sterbenden Planeten in seinen letzten Zügen, als die 40% weniger Kelp-Unterwasserwäldern, 50% weniger Korallenriffe und ein um 40% großflächig dezimiertes Pflanzenvorkommen, zu dem allein 2020 im brasilianischen Regenwald 103,000 Flächenbrände beitrugen, die mit 90% nahezu ausnahmslos vom Menschen verursacht waren?

All das sind bitterernste Fakten, die in Artikeln wie diesem erscheinen und dankenswerterweise von einer Anzahl Menschen gelesen werden. Doch leider passiert nicht viel, während das Desaster mit jedem Jahr größer wird. Uns läuft die Zeit davon!

Um die Dramatik der Lage noch klarer zu machen, sollte man auf die Feuchtbiotope schauen, die drei Mal schneller verschwinden als die Wälder, das Herz der Biosphäre. Die Feuchtbiotope hingegen sind bekannt als die „Nieren der Welt“ – sie reinigen das Wasser, schwächen Überflutungen ab (zum Beispiel im Mittleren Westen der USA und in Houston), füllen den Grundwasserspiegel auf (ein Problem des Mittleren Ostens) und verbessern Lebensräume für die Biodiversität. In einem Zeitraum von 300 Jahren sind davon nur noch 13% übriggeblieben. Ergo – „Wir sind in einer Krise!“ (Marta Rojas Urrego, Vorsitzende der Ramsar Convention on Wetlands)

Wie kann der Planet mit lediglich 13% der ursprünglichen Feuchtgebiete weiter lebenserhaltend sein, während die menschliche Bevölkerung täglich um 200,000 wächst? Auf diesen alles entscheidenden Aspekt des Überlebens hat niemand eine Antwort. Rechnet nach! Und muss das Ganze dann auf Darwins „Survival of the fittest“ reduziert werden? Vielleicht, doch die große Wahrheit oder auch Lüge ist, dass niemand weiß, was getan werden muss, außer zu verhindern, dass dieses Wachstum ins Unendliche geht – das Markenzeichen des Kapitalismus – und alles ist in Ordnung. Ist es das wirklich?

Kann die Donut-Ökonomie eine gute, solide und nachhaltige Alternative zur Entlastung des Planeten sein? („Die Donut-Ökonomie geht dem Kapitalismus an den Kragen!“)

Dies alles hilft zu verstehen, weshalb einige wirklich smarte Leute ein neues Gesetz für den IStGH entwerfen, um den Ökozid zu stoppen. Obwohl die Lage ehrlich gesagt bereits so offensichtlich ist, dass sich die Frage stellt, weshalb sich bisher niemand dafür stark gemacht hat, ein Gesetz vorzulegen, das hätte verhindern können, was bereits geschehen ist? Eigenartig. Es wird doch aber noch früh genug sein, um einen Unterschied zu machen? Klar ist, dass eine Menge mehr zu tun ist, als nur ein neues Gesetz vorzulegen!

Nachtrag:  Es besteht die reelle Gefahr, dass wir unseren Daseinsanspruch auf der Erde komplett verspielen … Die Erde ist in höchster Not. (James Lovelock, The Vanishing Face of Gaia: A Final Warning, (Publ. Allen Lane/Basic Books, 2009)

Außerdem:  Man kann kein Ökosystem pflanzen. Ein Ökosystem umfasst Bakterien oder Hämatite, Insekten, Wirbellose und alles Mögliche andere bis hin zu großen Bäumen. Man kann Ökosysteme nicht pflanzen – sie müssen sich natürlich entwickeln können. (Lovelock ist 101 Jahre alt, läuft jeden Tag 5 bis 8 km und hat schon über 2000 Bäume gepflanzt nach dem Motto: „Weiterlaufen ist das Geheimnis eines langen Lebens. Und interessiert bleiben.“)

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Silvia Sander vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!