Ngozi Okonjo-Iweala könnte die erfolgreichste WTO-Chefin werden – wenn sie einen Streit um Corona-Impfstoffe schlichten kann.

Andreas Zumach für die Online Zeitung INFOsperber

In der schwierigsten Phase der Welthandelsorganisation (WTO) seit ihrer Gründung im Jahr 1995 übernimmt erstmals eine Frau das Ruder. Am Montag kürte der Allgemeine Rat der ständigen BotschafterInnen aller 164 Mitgliedsstaaten in der Genfer WTO-Zentrale die nigerianerische Entwicklungökonomin Ngozi Okonjo-Iweala zur neuen Generaldirektorin. Die ehemalige Vizepräsidentin der Weltbank und vormalige Finanz- und Aussenministerin ihres Landes wird Nachfolgerin des Brasilianers Roberto Azuevedo. Er war im Mai letzten Jahres vor Ablauf seiner vierjährigen Amtszeit zurückgetreten – aus Frust über die anhaltende Blockade der WTO. Bereits seit über 20 Jahren können sich die Mitgliedsstaaten wegen eskalierender Interessensgegensätze nicht mehr auf ein Handelsabkommen einigen. Zudem sabotieren die USA seit 2018 mit den Streitschlichtungsmechanismen der WTO auch die zweite Kernfunktion der Organisation.

Bereits Anfang November hatten sich 163 der 164 WTO-Mitglieder nach einem Auswahlverfahren unter ursprünglich acht BewerberInnen auf Okonjo-Iweala als künftige Generaldirektorin geeinigt. Lediglich die Trump-Administration in Washington blockierte den für eine Entscheidung erforderlichen Konsens und hielt an der südkoreanischen Kandidatin Yoo Myung-hee fest. Als diese Anfang Februar ihren Rückzug erklärte, machte die Biden-Administration den Weg frei für Okonjo-Iweala. In der Genfer WTO-Zentrale hofft man jetzt, daß Washington auch bald die Sabotage des Schlichtungsverfahrens bei Handelsstreitigkeiten aufgibt, von dem die Mitgliedsstaaten seit 1995 bereits über 600 mal Gebrauch machten.

USA blockieren Richterwahl

Unter anderem verklagten sich die USA und die EU gegenseitig wegen der Verletzung bestehender WTO- Handelsverträge durch verbotene staatliche Subventionen für die Flugzeughersteller Boing und Airbus. Ein WTO-Streitbeilegungsverfahrens beginnt mit bilateralen Konsultationen zwischen den Streitparteien, um im Idealfall noch eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen. Scheitern die Konsultationen, werden auf Antrag der beschwerdeführenden Partei unabhängige Streitschlichtungsgremien, sogenannte Panels, eingesetzt. Das Panel kann Empfehlungen aussprechen, etwa zu Kompensationszahlungen für wirtschaftliche Nachteile, die der klagende Staat erlitten hatte durch Verstösse des beklagten Staates gegen Handelsverträge. Legt eine Partei Rechtsmittel ein, geht das Verfahren an eine Berufungsinstanz von sieben RichterInnen, die für jeweils vier Jahre gewählt sind. Kommt die unterlegene Partei den Empfehlungen der Streitschlichtungsgremien nicht nach, kann die obsiegende Partei vom Streitbeilegungsgremium zu Handelssanktionen autorisiert werden. In einer ihrer letzten Entscheidungen im Jahr 2019 autorisierte die Berufungskammer die USA im Streit um Subventionen für Airbus zu Handelssanktionen gegen die EU.

Die USA haben allein über 80 der bislang über 600 Streitschlichtungsverfahren der letzten 25 Jahre angestrengt und gingen in der Mehrzahl als Sieger hervor. Dennoch behauptete bereits die Obama-Administration, in den Verfahren würden die USA unfair behandelt. Die Trump-Administration blockierte ab 2018 die Neubesetzung freiwerdender Stellen für die sieben RichterInnen der Berufungskammer, bis im Dezember 2019 nur noch ein amtierender Richter übrig blieb. Seitdem ist die Kammer handlungsunfähig.

Gelingt Okojo-Iweala die Lösung des Impfstreits?

Derzeit gibt es allerdings noch drängendere Probleme: am 16. März soll der WTO-Rat nach bereits fünf ergebnislosen Verhandlungsrunden endlich über den bereits seit Anfang Oktober vorliegenden Antrag Indiens und Südafrikas entscheiden, Patente der grossen Pharmakonzerne auszusetzen, um eine dem weltweiten Bedarf gerechte Produktion und Verteilung von Corona-Impfstoffen zu ermöglichen. Dieser Antrag wird inzwischen von weit über 100 WTO-Mitgliedsstaaten unterstützt, bislang aber noch von den Sitzstaaten der weltgrössten Pharmakonzerne – USA, Deutschland, Frankreich, Schweiz, Japan, Grossbritannien – sowie von der EU-Kommission blockiert. In ihren Bewerbungsreden im letzten Jahr hatte Okojo-Iweala erklärt: «Es muss einen gleichen Zugang zu Medizin geben und die WTO könnte Teil der Lösung sein.» Sollte sie diese Lösung tatsächlich herbeiführen, wäre sie schon in ihrem ersten Amtsjahr die erfolgreichste Generaldirektorin der WTO-Geschichte.