Grünen-Parteistiftung wirbt für Erhöhung des Militäretats und nukleare Teilhabe – gemeinsam mit NATO-Generälen.

Die Parteistiftung von Bündnis 90/Die Grünen wirbt mit einem Aufruf für eine „substantielle Erhöhung“ des deutschen Militäretats und für ein Festhalten an der Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland. Die „nukleare Teilhabe“ sei ein „Kernelement der strategischen Verbindung“ zwischen den USA und der Bundesrepublik, heißt es in dem Appell, den die Heinrich-Böll-Stiftung zur Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden auf ihrer Website veröffentlicht hat. Als „Autoren und Unterzeichner“ werden unter anderem die Vorsitzende der Grünen-Stiftung sowie ein Generalleutnant a.D. der Bundeswehr genannt, der 2014 als hochrangiger NATO-Funktionär federführend mit der NATO-Neuausrichtung gegen Russland befasst war. Die Grünen, denen bis heute nachgesagt wird, gewisse einst friedensbewegte Spektren an sich binden und politisch neutralisieren zu können, öffnen sich seit einiger Zeit zunehmend für die Bundeswehr. Schon seit Jahren besonders unter Spitzenverdienern populär, positionieren sie sich im globalen Machtkampf gegen Russland und China als Speerspitze bei der Verteidigung der westlichen Hegemonie.

„Innovative Konzepte“

Prinzipielle Offenheit für Militäreinsätze aller Art zeichnet sich bei Bündnis 90/Die Grünen seit geraumer Zeit ab. In ihrer Regierungspraxis hat die Partei einer Kriegsbeteiligung der Bundeswehr ohnehin nie im Wege gestanden; das zeigt nicht nur ihre Zustimmung zur Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan Ende 2001, sondern vor allem die Befürwortung einer deutschen Beteiligung am NATO-Krieg gegen Jugoslawien im Jahr 1999. Letzterer wurde ohne UN-Mandat geführt und war damit, wie der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder inzwischen öffentlich eingestanden hat, klar völkerrechtswidrig. Die Bereitschaft, ohne Zustimmung des Sicherheitsrats zu operieren, ist im jüngsten Grundsatzprogramm der Partei vom November 2020 nun auch ausdrücklich festgehalten. So heißt es, „wenn multilaterale Prozesse in den Vereinten Nationen … dauerhaft blockiert“ seien, seien „Vorreiter*innen und innovative Konzepte“ gefragt.[1] Ein wenig präzisiert hat dies kurz nach dem Parteitag die Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock. Befragt zu dem hypothetischen Fall, ein „Genozid“ finde statt, und der UN-Sicherheitsrat sei „blockiert“, antwortete die Parteichefin: „Es gibt eine internationale Schutzverantwortung.“[2] Das Konzept der „Schutzverantwortung“ („Responsibility to Protect“, R2P) soll Kriegen ohne UN-Mandat Legitimität verleihen. Freilich ist es völkerrechtlich nicht allgemein anerkannt.

„Von höchster Priorität“

Auch einer weiteren Hochrüstung der Bundeswehr stellen sich Bündnis 90/Die Grünen nicht entgegen. Schon 2019 waren mit Cem Özdemir und Tobias Lindner zwei hochrangige Politiker der Partei um Sympathiewerbung für die Truppe bemüht; nach ihrer gemeinsamen Teilnahme an einer „dienstlichen Informationsveranstaltung“ der deutschen Streitkräfte sprach Özdemir, der sich für PR-Zwecke bei der Fahrt in einem Kampfpanzer des Modells Leopard 2 hatte fotografieren lassen, von einem „tolle(n) Programm“ und „sehr positive(n) Eindrücke(n)“.[3] Die Befürwortung der Aufrüstung wird im Grünen-Grundsatzprogramm gegenwärtig als „Fürsorgepflicht des Parlaments gegenüber den aktiven … Soldat*innen“ bzw. als „Verpflichtung, sie entsprechend ihrem Auftrag und ihren Aufgaben … auszustatten“, etikettiert.[4] Zum Auftrag der Truppe gehören laut Baerbock gegebenenfalls auch Kampfeinsätze („robuste Militäreinsätze“), die jegliches Rüstungsvorhaben legitimieren.[5] In einem aktuellen Aufruf, den die Parteistiftung von Bündnis 90/Die Grünen (Heinrich-Böll-Stiftung) unlängst publiziert hat, heißt es nun, „die europäischen NATO-Staaten – mit Deutschland an erster Stelle -“ müssten „ihre Fähigkeiten zur konventionellen Verteidigung erheblich“ stärken; dies setze eine „substantielle Erhöhung des Verteidigungshaushaltes voraus“.[6] In der Bundesregierung müsse „eine einsatzbereite Bundeswehr von höchster Priorität“ sein.

Die Grünen und die Generäle

Der Aufruf ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zu seinen Autoren bzw. Unterzeichnern gehören – neben der Vorsitzenden der Heinrich-Böll-Stiftung Ellen Überschär – diverse Mitarbeiter transatlantischer Außenpolitik-Think-Tanks (Atlantik-Brücke, German Marshall Fund of the United States, Aspen Institute Deutschland sowie mehrere weitere), darüber hinaus aber vor allem Patrick Keller, Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), des zentralen Strategiezentrums der Bundesregierung, sowie zwei ranghohe Militärs: Brigadegeneral a.D. Rainer Meyer zum Felde vom Institut für Sicherheitspolitik in Kiel sowie Generalleutnant a.D. Heinrich Brauß von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Brauß, möglicherweise Mitautor, zumindest aber Unterzeichner des von der Böll-Stiftung publizierten Appells, amtierte im Verlauf seiner langen, erfolgreichen Karriere von Oktober 2013 bis Juli 2018 als Beigeordneter NATO-Generalsekretär für Verteidigungspolitik und Streitkräfteplanung; als solcher war er im Jahr 2014 federführend mit der Neuausrichtung der NATO gegen Russland befasst (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Die offen zur Schau gestellte programmatische Nähe der grünen Parteistiftung zu hochrangigen Ex-NATO-Militärs ist in dieser Form neu.

Die nukleare Teilhabe

Bemerkenswert an dem Böll-Papier ist darüber hinaus die Forderung, die NATO auszubauen. Zum einen fordern die „Autoren und Unterzeichner“, den transatlantischen Militärpakt „nicht nur als militärisches, sondern auch als politisches Bündnis zu stärken“.[8] Zum anderen sprechen sie sich dafür aus, „in aller Welt … strategische Partner … enger an den Kern des Westens zu binden“; dies gelte vor allem für Staaten „im Indo-Pazifik“, insbesondere für „Australien, Japan und Südkorea“. Nicht zuletzt dringt das Böll-Papier offen darauf, „dass Deutschland an der Nuklearen Teilhabe festhalten und nötige Modernisierungsschritte umsetzen muss“. Bei Bündnis 90/Die Grünen galt Nukleare Abrüstung traditionell als eine unverzichtbare Kernforderung. Allerdings konstatieren Beobachter seit geraumer Zeit ein vorsichtiges Abrücken davon. So verlangt das aktuelle Grundsatzprogramm kein „sofortiges“, sondern nur „ein zügiges Ende der nuklearen Teilhabe“.[9] „Zügig“ wird nicht definiert. Tobias Lindner, Obmann der Grünen im Verteidigungsausschuss des Bundestags, präzisierte im November, er setze darauf, es werde „2030 oder 2035“ womöglich ein „window of opportunity“ geben, in dem man mit Moskau über atomare Abrüstung sprechen könne.[10] Der Böll-Aufruf erklärt nun die Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland und die Bereitstellung deutscher Kampfjets für ihren Abwurf zum „Kernelement der strategischen Verbindung zwischen den transatlantischen Partnern“.

Speerspitze des Westens

Der Vorstoß der Grünen-Parteistiftung in Sachen Militarisierung und Nuklare Teilhabe erfolgt parallel zu einer Zuspitzung der Außenpolitik der Partei, die immer aggressiver gegen China und gegen Russland mobilisiert – und sich damit als Speerspitze im Kampf um die Festigung der im Niedergang begriffenen globalen Hegemonie des Westens profiliert. „Putins Russland ist kein Partner für uns, sondern ein Gegner“, erklärte unlängst der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir.[11] Der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer gilt als einer der extremsten Scharfmacher gegen China; er war etwa – an der Seite eines Ex-CIA-Spezialisten sowie von Hardlinern vom ultrarechten Flügel der US-Republikaner – an der Bildung einer internationalen Parlamentarierallianz beteiligt, die mittlerweile öffentliche Kampagnen gegen China orchestriert.[12]

Liebling der Eliten

Bündnis 90/Die Grünen gilt schon seit Jahren als „Partei der Besserverdienenden“, die bei einem globalen Abstieg des Westens mehr als andere zu verlieren haben. Bereits 2004 zeigten Umfragen, dass Mitglieder der Grünen beim Durchschnittseinkommen die Mitglieder der FDP – zuvor die Nummer eins – klar überholt hatten.[13] 2013 bestätigte eine Umfrage, dass der Anteil der Spitzenverdiener an den Grünen-Parteianhängern deutlich über demjenigen bei FDP-Anhängern lag.[14] Vor rund einem Jahr konstatierte der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel, die Grünen seien „in der unteren Hälfte unserer Gesellschaft nur ganz wenig präsent“.[15] Ein aktuelles „Elite-Panel“, für das 517 Spitzenvertreter von Politik, Wirtschaft und Verwaltung befragt wurden, zeigt nun, dass die deutschen Eliten eindeutig eine Koalitionsregierung aus Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU favorisieren. So sprechen sich nur noch 25 Prozent von ihnen für eine Koalition aus Unionsparteien und FDP aus (Platz zwei); ein sogenanntes Jamaika-Bündnis aus CDU/CSU, FDP und Grünen käme demnach mit 14 Prozent auf Platz drei. Auf Platz eins auf der Wunschliste der deutschen Eliten steht für die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl mit rund 36 Prozent der Befragten Schwarz-Grün.[16]

 

[1] „… zu achten und zu schützen…“. Veränderung schafft Halt. Grundsatzprogramm Bündnis 90/Die Grünen. November 2020.

[2] S. dazu „Damit Gewehre schießen“.

[3] S. dazu Militärpolitische Multiplikatoren.

[4] „… zu achten und zu schützen…“. Veränderung schafft Halt. Grundsatzprogramm Bündnis 90/Die Grünen. November 2020.

[5] S. dazu „Damit Gewehre schießen“.

[6] Transatlantisch? Traut Euch! Für eine Neue Übereinkunft zwischen Deutschland und Amerika. www.boell.de/de/2021/01/18/transatlantisch-traut-euch 18.01.2021. Vollversion auf: anewagreement.org.

[7] S. dazu Mehr Truppen gegen Moskau.

[8] Transatlantisch? Traut Euch! Für eine Neue Übereinkunft zwischen Deutschland und Amerika. boell.de 18.01.2021. Vollversion auf: anewagreement.org.

[9] „… zu achten und zu schützen…“. Veränderung schafft Halt. Grundsatzprogramm Bündnis 90/Die Grünen. November 2020.

[10] Ulrich Schulte, Tobias Schulze: Atomwaffen raus! Oder? taz.de 05.12.2020.

[11] Merz: Laschet mit aller Kraft unterstützen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.01.2021.

[12] S. dazu Der grüne Kalte Krieg und Im transpazifischen Kalten Krieg.

[13] Grüne werden Partei der Besserverdienenden. spiegel.de 14.08.2004.

[14] Besserverdiener wählen besonders gern die Grünen. welt.de 11.09.2013.

[15] Jan Bielicki: „Mit Sicherheit reifer, als es die FDP ist“. sueddeutsche.de 11.01.2020.

[16] Eliten gespalten über CDU-Vorsitz. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.01.2021.

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