Die Serie „Humanisierende Feminismen“ ist eine Folge von Interviews, in welchen die Personen, die in verschiedenen Bereichen an der Errichtung einer integralen Gesundheit mitwirken, erzählen, wie der Feminismus ihren Blick, ihre Art, zu handeln und sich die Praktiken in der Gesundheit vorzustellen, verändert hat Diese Serie versucht, Reflexionen über Geschlecht, Feminismen und Gesundheit darzustellen und dabei Diskussion und Emanzipation Raum zu geben.

Der vorherige Teil der Serie ist hier zu lesen.

Mariposa Blanca ist 43 Jahre alt und hat eine Tochter. Sie ist Künstlerin, Veganerin, Antikapitalistin und setzt sich gegen die sexuelle Ausbeutung von Frauen ein. Dazu ist sie Verfechterin von Feminismen und Transfeminismen und kämpft für Kinderrechte. Sie schrieb das Buch „Die gemeinsame Umarmung“. Sie lebt in Buenos Aires, Argentinien.

REHUNO: Identifizierst du dich mit dem Feminismus?

Mariposa Blanca: Ja, ich identifiziere mich mit dem Feminismus. Und ich möchte ihn in meinem Alltag leben und die Rechte wahrnehmen, die der Feminismus mir zugesteht. Allein, weil ich mit weiblichen Geschlechtsteilen geboren bin und als Frau erzogen wurde, verurteilt mich das zu großen Gewalterfahrungen, die mit Sexismus in Verbindung stehen. Der Feminismus stellt sich dem entgegen.

Wie hast du den Feminismus kennengelernt?

Ich hatte einiges über Feminismus gehört. Aber wie viele Leute habe ich voller Ignoranz geglaubt, dass Feminismus das Gegenteil von männlichem Chauvinismus sei. Ich befand mich einmal in einer sexuell-affektiven Beziehung, aus der ich mich nicht lösen konnte. Ich war Opfer sexistischer Gewalt, Geschlechtergewalt. Diese Gewalterfahrungen, die man mir aufzwang, waren geprägt von Süchten – nach Alkohol und Kokain.

Dann gab mir jemand eines Tages ein Faltblatt einer feministischen Organisation. Dort wurden Gruppentherapien für Frauen angeboten, die sich hinsichtlich ihrer Beziehungen in einer Situation sexistischer Gewalt befanden. So fing ich an, in mich zu gehen und mir darüber klar zu werden, dass feministisches Dasein bedeutete, eine große Augenbinde loszuwerden. Und ich konnte beobachten, wie mein Leben sich vollkommen wandelte.

Wie hat es dein Leben verändert, von Feminismus erfahren zu haben?

Ich ließ Sachen hinter mir, die ich für viele Jahre als meine Verantwortung, schlimmer noch, als meine Schuld angesehen hatte, mein Schicksal. Ich begriff, dass das System mich unterdrückt hatte. Auf konstante Art und Weise, seit meiner Geburt. Und dass es sexistische Gewalttaten waren, unter denen ich gelitten habe. Aber ich hatte sie nicht als solche wahrgenommen, weil sie mir als natürlich eingeimpft worden waren.

Als mir das klar wurde, nannte ich mich selbst Feministin. Ein weitreichender Prozess der Entfremdung begann, der mir glücklicherweise dabei half, mit all dem abzuschließen. Aber es war keine Magie – ich konnte die Fesseln durch mein neues Bewusstsein lösen. Und es war der Feminismus, der in mir die Ideen hat keimen lassen. Die Veränderung meines alltäglichen Lebens war absolut.

Deswegen habe ich „die verrückte Idee, dass ich Rechte besitze“. Ein Recht auf emotionale, intellektuelle, psychoemotionale, wirtschaftliche, sexuelle Freiheit. Darauf, selbst zu entscheiden, was ich mit meinem Leben machen möchte und es leben zu können. Darauf, dass niemand meine Körperlichkeit ausnutzen kann – weder wegen meines Körpers, meines Zustands, meines Geschlechts, noch wegen meiner sexuellen Entscheidungen.

Es gab eine Vielzahl an Dingen, die ich vorher praktizierte, die in hohem Maße entfremdend waren und Beihilfe zum bestehenden System leisteten. Ich hörte damit auf, auf fortschrittliche Weise, nachdem ich gelernt hatte, was der Feminismus bedeutete und habe den Mann, der mich missbraucht hat, rausgeschmissen – und konnte mir so ein völlig anderes Leben aufbauen. Momentan lebe ich mit meiner Tochter in einem Haus und wir leiden unter keiner Form von Gewalt mehr, anders als vorher, als wir mit einem sexistischen Mann zusammenlebten. Das ist ein drastischer und sehr positiver Wandel, durch den für mich ein besseres Leben möglich wurde – besser als ein Leben ohne jenes Bewusstsein. Ich kann arbeiten, mein Leben genießen und mir erlauben, in einem Haus ohne Gewalt zu wohnen.

Seit fünf Jahren bin ich nun Feministin. Meine berufliche Vorstellung und Entwicklung haben sich sehr verändert. Denn jetzt glaube ich an mich, an das, was ich tue, und ich kann davon leben, was ich tue. Seit meiner Kindheit bin ich Künstlerin und ich glaubte niemals an mich selbst. Jetzt schon.

Was glaubst du, auf welchen Wegen kann sich die feministische Sichtweise verbreiten?

Die Wege, auf denen sich die feministische Sichtweise verbreiten kann – ich glaube, dass „diese Themen“ in den Medien zur Sprache gebracht werden müssen. Dazu müssen alle Wege des künstlerischen Ausdrucks den feministischen Blick auf das Leben beinhalten. Genauso, wie er von Personen der feministischen und transfeministischen Kollektive verbreitet wird.

Das Fernsehen, das Radio, die Zeitungen und auch die Romane, die Lieder, die Telenovelas, die Serien. Das alles ist momentan in hohem Maße patriarchalisch, sexistisch und frauen- und transfeindlich.

Glaubst du, dass der Feminismus “Frauensache” ist?

Es betrifft auch die nicht-binären Personen, deren Geschlecht fließend ist. Cis-, lesbische und Transfrauen. Ich denke, dass wir die Flagge, das Wort und das Handeln des Feminismus und Transfeminismus gemeinsam voranbringen müssen.

Das Patriarchat abzubauen und den Sexismus abzulegen, das ist Sache der Männer.

Kennst du den Begriff der Schwesternschaft?

Ja, ich kenne den Ausdruck. Er hat mir dabei geholfen, zu verstehen, dass die Feminismen und der Transfeminismus kein Freundinnenclub sind. Die Feminismen sind eine politische Positionierung. Obwohl ich diese eine Person jetzt vielleicht nicht mag und sie nicht meine Freundin sein muss, kann ich ihr Leben in einen Kontext einordnen und sie verstehen. Ich kann versuchen, zu helfen und sie zu begleiten, wenn sie es braucht.

Denkst du, dass die Medien der Kommunikation die Werte der Feminismen fördern oder nicht?

Es gibt viele Kommunikationsmedien, die das Thema aufnehmen. Aber das ist, weil sie den Feminismen Gehör verschaffen und nicht, weil sie eine feministische und transfeministische Sichtweise vermitteln. Beispielsweise Clarín (eine argentinische Zeitung) und so viele andere schreiben über Feminismen, ohne einen tatsächlich feministischen oder transfeministischen Blick zu haben.

Es ist wichtig, dass die Menschen, die in Medienberufen arbeiten, geschult werden. So können sie verstehen, worum es bei den Feminismen geht. Viele übersehen, worum es sich beim Patriarchat handelt, was Sexismus ist, welcher Unterschied zwischen Geschlechteridentität, Sexualität und Genitalien besteht. Dass sie das nicht begreifen können, liegt wahrscheinlich daran, dass sie es aus einer Perspektive betrachten, die vom kapitalistischen Patriarchat bestimmt ist.

Hast du in deiner akademischen Ausbildung irgendein Fach belegt, in dem das Thema des Feminismus eine Rolle spielt?

Ich habe meine formale Ausbildung auf der Tertiärstufe abgebrochen. Und in diesen Jahren hatte ich kein einziges Fach zu dem Thema. Ich widmete mich dem Singen und Tanzen. Es war vor einigen Jahren, zu der Zeit, in der der Feminismus und Transfeminismus wirklich von Minderheiten praktiziert wurde. Und ich begann, dafür zu kämpfen.

Würdest du etwas ergänzen, was du noch für wichtig hältst?

Ich glaube, dass es für den Feminismus und Transfeminismus als politische Position wichtig ist, das Thema der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zu vertiefen und es stark mit dem patriarchalen und kapitalistischen System verknüpft darzustellen. Und ebenso die Schärfung des Bewusstseins, die die Kamerad*innen auf der ganzen Welt vorantreiben, um die Vorstellung von „romantischer Liebe“ fallenzulassen.

Ich könnte dir nicht sagen, dass es die Dekonstruktion der romantischen Liebe bedeutet, sondern das Hinterfragen, die Veränderung des Verständnisses romantischer Liebe. Es ist eine Notwendigkeit, die Darstellung, die in Medien und Kunst als „romantische Liebe“ bezeichnet wird, zu senken oder zu eliminieren.

Könntest du den letztgenannten Punkt weiter ausführen?

Die romantische Liebe ist voller gewaltsamer Implikationen, dadurch dass sie an sexuell-affektive Beziehungen geknüpft sein muss, durch die sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. In den letzten Jahren hat sich die Sichtbarkeit sehr erhöht, aber es muss noch viel passieren. Dies ist einer der Räume, an denen die meiste Gewalt an Cis- und Transfrauen, an „weiblichen“ Identitäten verübt wird.

Warum sagst du, dass dies die Räume sind, in denen es die meiste Gewalt gibt?

Es fällt mir schwer, sie innerhalb des Feminismus in den Stereotyp der Weiblichkeit einzugliedern. Es ist schädlich für uns, weil es versklavend und einschränkend ist. Doch es passiert innerhalb dieser affektiven Beziehungen, aus denen viele nicht herauskönnen, dass viele diese als Tote beenden. Denn die Mehrheit der Femizide und Transfemizide finden innerhalb von Partnerschaften oder Ex-Partnerschaften statt. Ich halte es für überaus wichtig, das weiter aufzuarbeiten, um in der Lage zu sein, uns zu befreien und Beziehungen zu führen, in denen wir respektiert und geschätzt werden.

Das Interview wurde geführt von Laura Hernández García, Übersetzung aus dem Spanischen von Chiara Pohl vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam. Wir suchen Freiwillige!