Deutsch-französische Spannungen überschatten die Entwicklung des „europäischen“ Kampfjets der nächsten Generation.

Berliner Regierungsberater warnen vor einem Scheitern der gemeinsamen deutsch-französischen Entwicklung eines Kampfjets der nächsten Generation. Das „Future Combat Air System“ (FCAS), das neben dem Kampfjet Drohnen und Drohnenschwärme umfassen und mit Hilfe einer „Air Combat Cloud“ gesteuert werden soll, sei „Europas bedeutendstes Rüstungsvorhaben“, heißt es in einer aktuellen Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Gefährdet sei es jedoch von zahllosen deutsch-französischen Differenzen. Dasselbe trifft auf Arbeiten an einem neuen deutsch-französischen Kampfpanzer („Main Ground Combat System“, MGCS) zu. Beide Systeme sollen die Streitkräfte nicht nur Deutschlands und Frankreichs, sondern möglichst vieler Staaten Europas für künftige High-Tech-Kriege mit einem hohen Grad an Automatisierung rüsten und ab 2040 einsatzbereit sein. Dabei weisen Experten darauf hin, dass die Entwicklung vor allem des FCAS exklusive digitale Fähigkeiten erforderlich macht: Sie könne für die EU als „Katalysator ziviler digitaler Technologien“ nützlich sein.

Air Combat Cloud mit Künstlicher Intelligenz

Wichtigster Baustein der deutsch-französischen Rüstungskooperation ist das Future Combat Air System (FCAS), ein Luftkampfverbund, der um einen neuen Kampfjet der „sechsten Generation“ zentriert ist und weitere Elemente beinhaltet, insbesondere Drohnen bzw. Drohnenschwärme. Die unterschiedlichen Elemente sind online über ein Cloudsystem („Air Combat Cloud“) verbunden, das präzise abgestimmte Kampfhandlungen des gesamten FCAS ebenso ermöglicht wie die Einbindung weiterer Flugzeuge – etwa des Eurofighter – oder sonstiger Waffensysteme. Das FCAS wird in der Air Combat Cloud nicht zuletzt Künstliche Intelligenz (KI) nutzen und damit „einen hohen Grad an Automatisierung“ erreichen, wie Dirk Hoke äußert, Vorstandsvorsitzender von Airbus Defence and Space; „die entscheidende Frage“ in diesem Zusammenhang werde sein, „wie wir sicherstellen können, dass eine automatisierte Entscheidung eine menschliche Entscheidung bleibt“.[1] Hoke deutet damit nicht bloß die Möglichkeit einer weitestgehend automatisierten Kriegführung mit Hilfe des FCAS an; er weist auch darauf hin, dass die Entwicklung des Systems „zivile Kompetenzen in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Cloud-Technologien stärkt“; es könne sich damit als militärischer „Katalysator ziviler digitaler Technologien“ erweisen. Deren forcierte Weiterentwicklung ist aktuell ein weiteres Ziel Berlins und der EU.[2]

Kampfsysteme als Technologietreiber

Die enge Verbindung zwischen dem FCAS und offiziell zivilen EU-Vorhaben wird auch in einer aktuellen Analyse der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) thematisiert. Dem Think-Tank zufolge sind Entwicklung und Produktion des FCAS nicht nur „ein Lackmustest dafür, inwiefern Europa in der Lage ist, sicherheitspolitisch zusammenzuarbeiten, eigene Fähigkeiten zu entwickeln und zu diesem Zweck nationale Interessen in den Hintergrund zu stellen“.[3] Das Hightech-Kampfsystem habe zudem „den Anspruch, innerhalb Europas technologische Exzellenz zu entwickeln und zu kultivieren, die geeignet“ sein solle, „weit über den militärischen Sektor hinaus zu wirken“, erläutert die SWP. „Anwendungen wie sichere europäische Cloud-Services“ – Berlin und Paris treiben zur Zeit mit ihrer Initiative „Gaia-X“ den Aufbau einer „europäischen“ Cloud voran [4] – „oder unbemannte autonome Flugsteuerung“ seien „Technologie-Treiber, deren Potenziale gleichermaßen für eine zivile Nutzung von hoher Relevanz sind“. Es gelte daher, das „FCAS als Gesamtsystem zu betrachten“: Es sei nicht lediglich ein beliebiges „weiteres teures Rüstungsvorhaben“ – „es ist viel mehr“.

Ab 2040 kriegsbereit

Die Vorarbeiten für das FCAS, dessen Entwicklung offiziell im Juli 2017 beschlossen wurde [5], schreiten unterdessen – wenngleich mit nicht nur pandemiebedingter Verzögerung – voran. So steht die Zuteilung von Teilaufträgen an die Industrie mittlerweile im Grundsatz fest. Das FCAS-Kernelement – Entwicklung und Bau des Kampfjets – wird federführend von Dassault (Frankreich) unter Mitwirkung von Airbus (Deutschland, Spanien) organisiert; auch bei den Triebwerken soll Frankreich (Thales) die Führung innehaben. Bei den Begleitdrohnen und den Cloudlösungen wiederum wird die Leitung bei Airbus Defence and Space (Ottobrunn bei München) liegen. In den Bereichen Sensorik (Indra Sistemas) und Tarnung (Airbus) stehen spanische Firmen an der Spitze, während die siebte Säule (Simulation) von Unternehmen der drei beteiligten Staaten gemeinsam in Angriff genommen wird. Ein erster Prototyp des Kampfjets soll bis 2026 oder 2027 fertiggestellt werden und anschließend Probeflüge durchführen. Den Abschluss der Entwicklungsarbeiten haben Berlin und Paris für das Jahr 2035 im Visier. In Betrieb genommen werden, also für Kriege zur Verfügung stehen soll das FCAS in den Jahren ab 2040.

Interventionen vs. Kontinentalkrieg

Ebenfalls ab 2040 einsatzbereit sein soll das deutsch-französische Gegenstück zum FCAS für die Landstreitkräfte: das Main Ground Combat System (MGCS), das um einen Kampfpanzer der nächsten Generation zentriert ist und gleichfalls in einem vernetzten System, möglicherweise mit Kampfrobotern, operieren soll. Nach längeren Vorbereitungen inklusive anhaltender Streitigkeiten [6] haben im Dezember die deutschen Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall sowie die französische Waffenschmiede Nexter Systems eine „Arbeitsgemeinschaft“ („ARGE“) gegründet, die das MGCS entwickeln sowie produzieren soll. Jedes der drei Unternehmen hält ein Drittel der Anteile an der ARGE [7], die im Mai den offiziellen Auftrag erhalten hat, binnen 18 Monaten eine Studie zu erstellen, die alle bisherigen Vorarbeiten bündeln sowie anschließend eine gemeinsame „Architektur“ für das Landkampfsystem vorschlagen soll. Die Anteile an der Studie entfallen dabei je zur Hälfte auf Deutschland und Frankreich, ein erneuter Beleg, wie nationale Interessen das vorgeblich „europäische“ Projekt dominieren. Eine aktuelle Analyse des Comité d’études des relations franco-allemandes (Cerfa) aus Paris weist darauf hin, dass die französische Seite gezielt auf „Interventionsfähigkeit … etwa in Nordafrika“ setze – „also eher leichtes Gewicht für die Verlegbarkeit“ -, während die deutsche Seite für „einen europäischen Kontinentalkrieg“ plane. Wie daraus „ein gemeinsames System entstehen“ solle, sei noch recht unklar.[8]

Die Frage der nuklearen Bewaffnung

Derlei Differenzen sind nicht neu. Die deutsch-französische Rüstungskooperation sei zwar „schon lange intensiv“, heißt es in der Cerfa-Analyse; dennoch seien „viele Großprojekte gescheitert oder haben erhebliche Probleme bereitet“. So sei die Bundesrepublik im Jahr 1982 aus dem deutsch-französischen Projekt „Kampfpanzer 90“ ausgestiegen – wegen Differenzen, die denjenigen stark ähnelten, die heute Entwicklung und Bau des MGCS überschatteten.[9] Frankreich wiederum habe sich schon einmal aus einem gemeinsamen Kampfjetprojekt verabschiedet – dem Eurofighter. Es gebe heute nicht nur Auseinandersetzungen um das MGCS, sondern auch um das FCAS, etwa darum, ob sein Export künftig locker (Frankreich) oder eher restriktiv (Deutschland) gehandhabt werden solle. Die SWP wiederum konstatiert, dass das FCAS aus französischer Perspektive in der Lage sein müsse, französische Atomwaffen zu transportieren, was für die deutsche Seite eventuell mit Blick auf die „nukleare Teilhabe“ von Bedeutung sei; beides führe allerdings zu verschiedenen, sich gegenseitig ausschließenden technischen Anforderungen.[10] Vor allem aber weist die SWP darauf hin, dass dringend Fragen des geistigen Eigentums geklärt werden müssten; dieses solle im günstigsten Fall geteilt werden: Es gelte, „Black Boxes in der Technik … möglichst gering zu halten“, sie „im Idealfall ganz zu vermeiden“. Dass die beteiligten Konzerne sich darauf einlassen, ist allerdings wenig wahrscheinlich.

Verzögerungen

Die SWP warnt mit Blick auf die andauernden deutsch-französischen Differenzen vor Illusionen: „Man muss der Tatsache ins Auge sehen, dass es selbstverständlich zu Verzögerungen kommen wird.“[11] Allerdings müsse ein Scheitern insbesondere des FCAS – es handle sich um „Europas bedeutendstes Rüstungsvorhaben“ – dringend verhindert werden. „Gelingt es nicht, dieses Projekt im europäischen Rahmen zu realisieren“, urteilt die SWP, dann könne sich dies als Präzedenzfall auswirken: „Größere gemeinsame Rüstungsanstrengungen in Europa“ könnten dann „zunehmend unwahrscheinlich“ werden.

[1] Dirk Hoke: Wie die militärische Zusammenarbeit in Europa künftig aussehen kann. handelsblatt.com 19.11.2020.

[2] S. dazu Kampf um „digitale Souveränität“ und Kampf um „digitale Souveränität“ (II).

[3] Dominic Vogel: Future Combat Air System: Too Big to Fail. SWP-Aktuell Nr. 98. Berlin, Dezember 2020.

[4] S. dazu Die europäische Cloud.

[5] S. dazu Deutscher und europäischer Erfolg.

[6] S. dazu Führungskampf in der EU-Rüstungsindustrie.

[7] Gerhard Heiming: Deutsch-französische Panzerindustrie mit Auftrag für erste MGCS-Studie erteilt. esut.de 22.05.2020.

[8], [9] Detlef Puhl: Deutsch-Französische Rüstungszusammenarbeit. Ein Ding der Unmöglichkeit? ifri, Visions franco allemandes Nr. 31. Paris, November 2020.

[10], [11] Dominic Vogel: Future Combat Air System: Too Big to Fail. SWP-Aktuell Nr. 98. Berlin, Dezember 2020.

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