In „Platzspitzbaby – Meine Mutter, ihre Drogen und ich“ folgen wir einer 11-jährigen und ihrem turbulenten Alltag mit einer drogenabhängigen Mutter.

Die Geschichten des ständigen auf und ab kennt man in der Form zwar aus vielen anderen Filmen, ist aber gut umgesetzt – gerade auch von der überzeugend auftretenden Jungdarstellerin. Ein Drama, das wütend und betroffen macht.

Im Leben der 11-jährigen Mia (Luna Mwezi) geht es drunter und drüber. Ihre Eltern Sandrine (Sarah Spale) und Andre (Jerry Hoffmann) machen gerade eine richtig hässliche Scheidung durch. Ausserdem steht nach der Auflösung der offenen Drogenszene in Zürich ein Umzug in ein kleines Kaff an. Für Mia ist der Neuanfang alles andere als einfach. An der Schule wird sie gemobbt, sie findet keinen Anschluss, nur ihr imaginärer Freund (Delio Malär) leistet ihr Gesellschaft. Erst als sie Lola (Anouk Petri) und deren Clique kennenlernt, wendet sich langsam das Blatt. Doch das grösste Problem ist immer noch ihr Zuhause, denn Sandrine kommt einfach nicht von ihrer Drogensucht los und zieht ihre Tochter immer wieder in die Geschichte hinein …

Anfang der 90er drohte Zürich die Kontrolle zu entgleiten, als die Drogenszene an dem Platzspitz wucherte. Mehrere tausend Menschen trafen sich dort, kauften und konsumierten am helllichten Tag, lebten zum Teil sogar dort. Einer davon: Michelle Halbheers Mutter. In ihrem autobiografisch gefärbten Roman erzählte Halbheer von ihren Erfahrungen als Tochter einer Drogenabhängigen, erzählte von den täglichen Kämpfen und den entsetzlichen Bedingungen, in denen das Mädchen hauste. Dass ihre Mutter ein Risiko für das Kind bedeutete, das war zwar kein Geheimnis. Doch es geschah nichts, viele Jahre lang. Erst spät schaffte sie den Absprung und die Abnabelung zu einer Frau, mit der sie eine toxische Beziehung verband.

Eine frustrierend kaputte Beziehung

In Platzspitzbaby – Meine Mutter, ihre Drogen und ich, der Filmadaption des Buches, ist das ganz ähnlich. Auch hier ist das Zusammenleben mit der Mutter so kritisch, dass der erste Impuls bei so ziemlich jedem im Publikum sein dürfte: Holt sie da raus! Dass dies nicht geschieht, mag frustrierend sein, wird aber plausibel begründet. So lange Mia selbst bei der Mutter bleiben will, soll nach Möglichkeit nicht eingegriffen werden.

Eine Trennung von Mutter und Kind wäre für Letzteres so traumatisch, dass dies nicht gegen dessen Willen geschehen dürfe. Hinzu kommt: Mia ist die grösste Chance für Sandrine, doch noch auf die Beine zu kommen. Ist das Mädchen erst einmal weg, so die nachvollziehbare Befürchtung, wird es für die Drogenabhängige keinen Grund mehr geben, gegen ihre Sucht anzukämpfen.

Der Film zeigt diesen Kampf sehr ausführlich und fordert dabei erneut die Frustgrenze der Zuschauer und Zuschauerinnen heraus. Ähnlich zu anderen Filmen über Süchte, etwa Beautiful Boy, gibt es hier ein ständiges auf und ab, wenn Sandrine zwischendurch tatsächlich die Kurve zu kriegen scheint, nur um dann doch mit Vollgas gegen die Leitplanke zu rasen. Und natürlich drängt sich ein Vergleich zu Die beste aller Welten auf, wo ebenfalls aus der Sicht eines Kindes berichtet wird, das mit einer drogensüchtigen Mutter zusammenlebt. Der Schweizer Regisseur Pierre Monnard erzählt hier dann auch keine wirklich neue Geschichte, nichts, was man aus dem Bereich nicht schon kennen würde. Aber es ist doch glaubwürdig, wie Platzspitzbaby hier herumschlingert.

Aus dem Leben einer Aussenseiter-Clique

Gut gelungen sind zudem die Szenen, welche Mia und ihre Freundesclique zeigen, die für sie zu einer Art Ersatzfamilie werden. Geradezu rührend ist es, wie da vier junge Menschen, die allesamt aus schwierigen Verhältnissen stammen und Aussenseiter sind, sich gegenseitig Halt geben.

Dabei ist keiner von ihnen ein wirklicher Held. Vielmehr zeigt Platzspitzbabyein paar Kinder, die aufgrund der Umstände viel schneller erwachsen werden müssen, als es wohl ratsam ist. Teilweise hätte man über deren Schicksale gern noch mehr gewusst, das kommt schon etwas kurz. Vor allem zum Ende hin hat es das Drama schon ein bisschen sehr eilig, wenn es um die Auflösung geht, was nicht unbedingt der Glaubwürdigkeit zugutekommt. Das wirkt schon recht konstruiert.

Ansonsten ist es aber die Natürlichkeit, welche den Beitrag der Hofer Filmtage 2020 auszeichnet. Das Gefühl, mitten dabei zu sein. Dabei stellt sich gerade Luna Mwezi als echte Entdeckung heraus, als loyale Tochter, die ihrer Mutter bis zuletzt beistehen will, weil es sonst niemand tut. Umso schmerzhafter ist mitanzusehen, wie ihre vielen Bemühungen nicht fruchten, ihre Träume nicht in Erfüllung gehen wollen. Platzspitzbaby – Meine Mutter, ihre Drogen und ich ist eben keins dieser Wohlfühldramen, die mit Durchhalteparolen ein besseres Leben in Aussicht stellen. Wenn wir nur zusammenhalten, wird alles gut? Das hört sich gut an, hat aber höchstens zufällig mal etwas mit der Realität zu tun. Manchmal, so lautet die schmerzhafte Erkenntnis, kann man alles geben und doch nicht genug tun.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

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