Jeremy Corbyn war seit 2015 Vorsitzender der britischen Labour-Partei, bis er im April 2020 infolge der Wahlniederlage im Dezember 2019 zurücktrat. Während seiner Amtszeit konnte die Partei viele neue Mitglieder gewinnen, vor allem jüngere. Sie repräsentierte ein Klima der Innovation und zeigte einen Enthusiasmus, wie er seit langer Zeit nicht mehr zu beobachten war.

Corbyn hingegen musste einen erbitterten internen Kampf austragen, ausgelöst von dem rechten Flügel der Partei, der ihm seine „zu linken“ Positionen nie verziehen hatte. Zusätzlich verstärkt wurde dies durch eine herabwürdigende Verleumdungskampagne vonseiten der meisten Medien, in der Antisemitismus-Vorwürfe eine zentrale Rolle spielten. Dabei wurden die Solidaritätsbekundungen von Rabbinern, öffentlichen Persönlichkeiten sowie jüdischen Organisationen aus aller Welt systematisch ignoriert, was weiter dazu beitrug, Corbyn als Antisemiten darzustellen, obwohl er sich seit jeher gegen Rassismus einsetzt.

Aus einem Untersuchungsbericht der britischen Kommission für Gleichheit und Menschenrechte (Equality and Human Rights Commission) geht hervor, dass Antisemitismus nicht hinreichend bekämpft worden sei. Corbyn kommentierte das Ergebnis des Berichts:

„Jeder, der glaubt, es gebe in der Labour-Partei keinen Antisemitismus, irrt sich. Natürlich gibt es ihn, ebenso, wie in der gesamten Gesellschaft, und manchmal wird er sogar von Personen geäußert, die sich selbst für Linke halten. Alle jüdischen Mitglieder unserer Partei und unserer Gesellschaft hatten das Recht, zu erwarten, dass dagegen vorgegangen wird, und ich bedaure, dass der Wandel so lange gedauert hat.”

Auch unterstrich er noch einmal:

„Antisemitismus ist abscheulich, falsch und die Ursache der größten Verbrechen gegen die Menschheit. Ich habe die jüdische Gemeinschaft mein Leben lang unterstützt und werde dies auch weiterhin tun.“

Gleichzeitig kritisierte er:

„Die Größe des Problems wurde von Gegnern innerhalb und außerhalb der Partei sowie von einem Großteil der Medien dramatisch aufgebauscht.“ Und er schließt: „Ich hoffe inständig, dass die Beziehungen zur jüdischen Gemeinschaft wiederhergestellt und diese Ängste überwunden werden können. Auch wenn ich nicht alle Behauptungen des Untersuchungsberichts teile, vertraue ich darauf, dass die dort enthaltenen Empfehlungen schnell umgesetzt werden, damit wir gemeinsam nach vorn schauen können.“

Aufgrund dieser Äußerungen beschloss die Partei, Corbyn zu suspendieren und vollendete damit die bereits vor fünf Jahren begonnene Kampagne mit einer öffentlichen Demütigung.

Aber nicht alle sind damit einverstanden. Die sozialen Medien wurden mit Protesten und Solidaritätsbekundungen unter den Hashtags #IStandWithJeremyCorbyn, #WeAreCorbyn und #Jezza geflutet.

Auch Jewish Voice for Labour, eine Organisation von Parteimitgliedern, die die Meinung vertritt, man müsse allen Stimmen der jüdischen Gemeinschaft zuhören – auch jenen, die für die Rechte der Palästinenser eintreten – kritisierte den Ausschluss von Jeremy Corbyn scharf und erinnerte daran, dass er „Rassismus in jeder Form, einschließlich Antisemitismus, stets bekämpft habe“. Die Organisation rief die Mitglieder der Labour-Partei auf, „über alle verfügbaren Kanäle entschieden gegen diese ungerechtfertigte Beleidigung zu protestieren. Dies ist nicht nur ein Angriff gegen Jeremy, sondern gegen alle Parteimitglieder. Lasst dies nicht zu. Organisiert euch und wehrt euch.“

In einem Beitrag auf seiner Facebook-Seite, in dem Corbyn zu seinem Ausschluss Stellung nimmt, unterstreicht er noch einmal, er „werde sich auch weiterhin für eine Politik einsetzen, die keinerlei Toleranz gegenüber Rassismus in jeder Form zulässt”. Ferner fordert er die Parteimitglieder auf, ruhig und konzentriert zu bleiben, „bis der Konflikt auf friedliche Weise gelöst werde, um die diese inakzeptable Regierung zu überwinden, die zur weiteren Verarmung der schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft beiträgt“. Der Beitrag wurde innerhalb weniger Stunden mehr als 80.000 Mal mit „Gefällt mir“ markiert.

Bleibt zu hoffen, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist …

Übersetzung aus dem Italienischen von Jeannette Carolin Corell vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!