Heutzutage sind wir sehr daran gewöhnt, uns vom Charme der launischen Täuschung mitreißen zu lassen. Wir nehmen teil am Spektakel der Myriaden von fiktiven Bildern an den Bildschirmen und übertragen unsere Gefühle auf etwas, was andere „erleben“, folgen dabei ihren geheimen Plänen und versuchen zu ermitteln, was sie aushecken. Die Komplizenschaft mit den Fiktionen im Fernsehen ist unser tägliches Brot.

Wie viele Stunden verbringen wir damit, die Fantasien anderer in den Programmen der „Fiktion“ nachzuempfinden, oder die nachzuvollziehen, die die „Realität“ fiktiv wirken lassen (die Nachrichtenredakteure)?

Wir können davon ausgehen, dass zusätzlich zu diesen Fiktionen noch andere existieren, die unser eigentlicher Nährboden für Überzeugungen sind. Diese Geschichten, die sie uns und wir uns selbst erzählt haben, sind die, die eine Struktur zur Grundüberzeugung bilden, die es uns erlauben, einen Sinn in unseren Leben zu rechtfertigen.

Und was ist realer? Wenn ich bei einem Film emotional reagiere, ist die Emotion dann unecht oder weniger real, als wenn sie in meinem Beziehungsleben auftritt?

Und was passiert mit unserem Glauben? Ist es realer, an das Geld als an die Liebe zu glauben, oder ist es interessanter an die Kunst als an die Sicherheit zu glauben? Wer besitzt den Maßstab, um diese Subjektivität zu messen?

Oder erscheint mir, was ich während einem Traum erlebe, nicht als Realität?

Ich will damit sagen, dass wir alle in einer Art für unsere Spezies mehr oder weniger gemeinsame Geschichte leben, aber mit sehr blumigen und besonderen Eigenschaften.

Von einem bestimmten Gesichtspunkt aus können wir sagen, dass wir uns alle auf das „Erreichen“ von fiktiven Welten zubewegen.

Diese Welten stimulieren uns und erlauben es uns, unsere Ziele, Ziele für unsere engste Familie zu verfolgen. Wir können sogar Welten anstreben, von denen wir annehmen, dass sie für den größten Teil des Planeten optimal sind, manchmal ohne zu überlegen, ob diese anderen mit unseren Plänen einverstanden sind oder nicht. Und da beginnen die Probleme.

Auch diese Geschichten oder Welten (oder psychologisch etwas genauer ausgedrückt: diese Illusionen und Überzeugungen) variieren durch verschiedene Faktoren. Variationen, die mehr oder weniger explizit sein können… Was wir einmal mit einer anderen Person in einer Art makellosem und unveränderlichem Pakt vereinbart haben, scheint von einem Wind oder manchmal nur einer Brise erfasst worden zu sein und „der Pakt war gebrochen“.

Es gibt Kontexte, die mehr zu diesen Variationen neigen als andere. Ein entferntes Hirtendorf aus dem vergangenen Jahrhundert ist nicht das gleiche wie eine moderne Stadt, und natürlich wirkt sich die Veränderlichkeit der Umgebung stark auf die Mobilität von Szenarien und folglich auf die Illusionen oder Überzeugungen der Zeit aus.

Diese inneren Welten bewegen Personen dazu, nach dem zu suchen, was ihr Leben „vervollständigt“, was ihrem Leben einen Sinn verleiht, auch sie sehen sich als sehr beeinflusst durch die Schwankungen der äußeren Welt.

Wie sagen wir einem Poeten, er solle eine greifbare Realität in der rasenden Welt der Wertpapierbörse finden?Wie sagen wir einem Poeten, er solle eine greifbare Realität in der rasenden Welt der Wertpapierbörse finden?

Vielleicht ist es für den Poeten leichter eine Motivation zu finden… aber wir werden nicht den Aktionär bitten, einen Anreiz in der Poesie zu finden…. Aber die Dinge sind nicht so festgelegt… vielleicht fallen die Aktien tosend und unser Freund, der Anleger, wird ein bisschen Poesie in seinem Leben brauchen…

Ein Aktivist verteidigt die Rechte der Tiere, der weiße Rassist verfolgt für eine Minderheit finstere Ideale, ein Kind spricht mit seinem imaginären Spielfreund und ein Bankier bekommt einen Wutanfall, wenn seine Aktien im Markt der „Realität des Geldes“ fallen. Sie alle leben mit einer großen Überzeugung in ihren so gegensätzlichen Welten, die aber alle durch die menschliche Essenz verbunden sind, welche uns mit einer besonderen Emotion die liebsten Träume oder die entsetzlichsten Verrücktheiten erleben lässt.

Es existieren unendliche Welten. Es gibt mehr Welten, Geschichten, Überzeugungen oder Illusionen auf diesem Planeten, als Menschen.

Und wer sagt uns, wo das „wahre“ oder das „reale“ ist? Kann das überhaupt jemand sagen?

Heute leben wir in einer Welt, die sich weiterentwickelt und der Begriff „Selbstwahrnehmung“ beginnt politisch korrekt zu sein, zum Beispiel bei Fragen um das Geschlecht oder der sexuellen Orientierung. Außerdem hat dieses Konzept bereits Anhänger in vielen Bereichen gewonnen. Trotzdem werden immer noch Verhaltensmodelle, Nationalitäten und viele andere soziale Normen aufgezwungen, um diejenigen zu diskriminieren, die nicht das erfüllen, was in diesem Teil der Welt „gern gesehen ist“.

Es gibt Ideale, die von dieser Welt sind, es gibt andere, die sich in anderen Welten zu verwirklichen scheinen. Nennen wir sie spirituelle Welten. Es gibt auch ein Nebeneinander von Welten. Wenn ich nach Dingen aus einer anderen Welt strebe, muss ich mein Verhalten in dieser Raumzeit einer bestimmten Beziehungsethik anpassen und unter diesem Gesichtspunkt haben wir ein anderes unendliches Muster von Sichtweisen, je nach Zeit und Ort. Aber heben wir diesen Punkt für einen anderen Artikel mit dem Titel „Spirituelle Welten“ auf.

Wenn man jedoch die täglichen und ständigen Träumereien betrachtet, die das Leben der Menschen bestimmen, könnte man sagen, dass alle Welten Fiktion sind und gleichzeitig für diejenigen, die sie leben, absolut real sind.

Und wie bei jeder Reise ist es sehr wichtig, wo jemand hinmöchte, genau wie in einem Film… das Ende ist sehr wichtig…

Wäre es möglich, die ganze Reise zu rechtfertigen, ohne das Thema des Todes überhaupt in Betracht zu ziehen?

Es gibt Komödien und Tragödien, Spielfilme, Dokumentationen und in jedem von ihnen gibt es eine konstruierte Geschichte, etwas was wir erzählen möchten und alle sind Fiktionen, so wie unsere Leben… aber alles kann mit Intensität und Sinn gelebt werden, mit mehr oder weniger Übereinstimmung. Eine Welt oder eine Erzählung entsteht auch nicht von alleine, auch wenn uns tief in unserem Innersten gar nichts anderes übrig bleibt, als uns mit dem Protagonisten anzufreunden, denn der sind wir selbst.

Diese Welten, die für andere aus Fiktion bestehen, sind unser Leben. Der Schlüssel ist zu wissen, wie man es am besten lebt, um es lieben zu können und damit es vor allem ein gutes Ende hat! So wie in den Filmen…

Beitrag von Carlos Santos, übersetzt aus dem Spanischen von Lara Fischer vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam. Wir suchen Freiwillige! 


Diese Themen werden in „Die innere Landschaft“ im Buch „Die Erde menschlich machen“ von Silo vertieft.

Der Originalartikel kann hier besucht werden