Das sozial gespaltene und CORONA gelähmte Deutschland steht in den kommenden Monaten vor kleinen und großen Wahlereignissen. Es häufen sich erneut Fragen, wie es weiter gehen soll.

Erstens: Wahlbürger haben in Deutschland gemäß Wahlgesetz zwei Stimmen bei politischen Wahlen. Mit einer kann er einem vorbestimmten Kandidaten einer Partei seine Stimme geben und mit der zweiten eine vom Gesetzgeber zugelassenen Partei. Auf die Zuordnung der Kandidaten hat nur der Parteivorstand Einfluss; der Wähler nicht. Er kann dem Kandidaten auch keinen Wählerauftrag erteilen. Warum eigentlich nicht? Der Kandidat soll ihn im Parlament repräsentieren. Das Zweistimmensystem ist zudem Quelle der Überhangsmandate, die undemokratisch behandelt werden und viel Geld kosten.

Die Wahlbürger geben ihre Stimme in vorgeschriebenen Wahlkreisen ab. Hier taucht eine nächste Frage auf, nach welchen Kriterien die Wahlkreise bestimmt werden.

Zweitens: schadet es dem Charakter der Demokratie, dass die Bürger einer ständigen psychologischen Beeinflussung unterliegen, die den Geruch eines Dauerwahlkampfes hat. Die Botschaft, wer angeblich bei der nächsten Wahl die Stimmenmehrheit erhält („wenn Sonntag Wahl wäre“ von Infratest, Forsa und anderen Meinungsbildungsinstituten) sickert langsam ein und sie soll sich verfestigen. Sigmund Freud winkt mit dem Zaunpfahl. Die Macht ausübende Partei liegt merkwürdigerweise stets vorn. Die kurz vor dem Wahltermin einsetzende Schlacht wird dann manipulativ mit „Wahl-O-mat“ angereichert, damit die Kreuze an der vorgedachten Stelle richtig gesetzt werden können.

Drittens: zeugt es von einer großen Arroganz der Macht, dass 12 Monate vor dem Wahltermin ohne Abgabe einer Stimme öffentlich von SPD und CDU Politiker als Kanzler benannt werden. Intern mit Hoffnung können sie es ja bestimmen. Von der CSU wird die Überheblichkeit noch getoppt, die mit ihrem relativ kleinen Stimmenanteil Deutschlandweit einen Kanzler aus ihren Reihen für möglich halten. Zu vermerken wäre, dass sich der Chef der CSU persönlich öffentlich nicht in den Vordergrund drängt.

Die mächtigen Parteien sehen ihre Handlungen Demokratie konform, mit den Gesetzen, die sie selbst mit ihren Stimmenmehrheiten erlassen haben. Gesetze richten sich nach Stimmenmehrheiten, selten nach Qualitäten für das Volk.

Viertens: widersprechen die Parteienspenden den demokratischen Prinzipien. Sie haben den Geruch von Korruptionshandlungen, zumal die Gelder als Betriebsausgaben, steuermindernd absetzbar sind. Die Geschichte der Bundesrepublik kennt viel zu viele Beispiele der Verquickung von Politik und Wirtschaft. Dafür stehen Namen (Flick, Schreiber u.v.a), Sachgebiete (Cum Ex, Tom Collect Beraterverträge, Segelschiff Georg Fock u.v.a.) und Lobbynetze.

Fünftens: wurde ein Regievorschlag, wie politische Wahlen für hohe Ämter vorbereitet werden sollten, schon vor über 2000 Jahren von dem Bruder des Marcus T. Ciceros anlässlich seiner Bewerbung als Konsul in Rom geschrieben (Commentarolium petitörionis). Erstaunlich viele Empfehlungen von Bruder Quintus C. sind bis in aktuelle Wahlperioden anzutreffen. Etwa „der politische Mitbewerber ist in schlechtem Licht zu stellen“ (z.B. Doktortitel anzweifeln, Mitschuld an Wirecard anhängen), „es bedarf großer Redekunst nirgend anzuecken, das Interesse der Unterstützer ist wachzuhalten“ (Fördermittel, weniger Kontrolle der Banken und Senkung der Steuern der Großunternehmen u.v.m.). Für die wenige Monate andauernde Mandatszeit „könne man schon mal die Moral der Versprechungen zurückstellen, obwohl das für die Dauer nicht gut sei“ (die notwendigen Geldsummen kommen ja aus der Steuerkasse des Volkes).

Bemerkungen zu den Wundern der bürgerlichen Demokratie:

  • Alle Parteimitglieder dürfen Vorschläge unterbreiten. Vollzogen aber wird das, was der Parteivorstand verkündet.
  • Die Abgeordneten werden vom Volk gewählt, aber sie handeln nur nach ihrem Gewissen und nach Beratungen mit der Lobby.
  • Abgeordnete vertreten nur die Meinung ihrer Partei, obwohl sie vom Volk gewählt wurden- Gesetze werden mit zahlenmäßiger Mehrheit angenommen, die Inhalte der Gesetze sind jeweils zweitrangig.
  • Meinungen der Opposition, der Parteien bzw. zur Wahl zugelassene Organisationen und die bei Wahlen die 5 % nicht erreichen, erlangen keine Bedeutung.
  • Unbequeme Vorschläge des Volkes haben nur eine Chance im Parlament behandelt zu werden, wenn sie den mühevollen und mehrstufigen Weg des Volksbegehrens durchlaufen.
  • Vorschläge der Linken im Parlament (Mindestlohn, bezahlbares Wohnen, Friedenserhalt u.ä.) werden totgeschwiegen, als populistisch abgewiesen oder kommen später als Vorschläge anderer Parteien auf die Tagesordnung des hohen Hauses.
  • Trotz Gewissensfreiheit der Abgeordneten besteht Fraktions- und Koalitionszwang im bürgerlichen Parlament.
  • Gesetze mit schweren Lasten für das Wahlvolk tragen erhellende Titel. Zum Beispiel trägt das in Deutschland am meisten kritisierte Hartz-IV-Gesetz den harmlosen Namen: „Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“.
  • Der demokratisch bürgerliche Rechtsstaat pocht auf die Einklagbarkeit seiner Regeln, vergisst aber die Moral zu kodifizieren und lässt das Wirtschaftsstrafrecht bei müden 15 Paragrafen.
  • Die Auswahl was und wie abschließend in der Öffentlichkeit debattiert wird, bestimmen die Vorstände der Medien und in den Wirtschaftsunternehmen die Mehrheitseigner der Kapitaleinlagen.