Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, allen voran der Lockdown, hatten erhebliche Auswirkungen auf die Menschen und die Wirtschaft. In Spanien bracht das Bruttoinlandsprodukt ein. Auch das nach Unabhängigkeit strebende Katalonien wurde hart getroffen. Der japanische Automobilhersteller Nissan will seine Standorte in Spanien schließen und deshalb auch die Produktion in Katalonien einstellen.

Welche Konzepte die katalanische Regierung umsetzen möchte, um die Wirtschaft zu beleben, welche Optionen es eventuell gibt, um die Abwanderung von Nissan zu verhindern, und die Frage, welche Möglichkeiten überhaupt bestehen, selbst zu handeln, nachdem die Zentralregierung in Madrid fast alle Entscheidungen an sich gezogen hat, beantwortete Kataloniens Präsident Quim Torra.


Gunther Sosna: Herr Präsident Torra, ungeachtet der Frage, ob die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie richtig oder falsch gewesen sind oder diese in Spanien zu früh oder zu spät ergriffen wurden, hatte vor allem der Lockdown erhebliche Auswirkungen auf die Menschen und die Wirtschaft. Salopp formuliert legte die Welt eine ökonomische Vollbremsung hin. In den Nationalstaaten kam vor allem die lokale und regionale Wirtschaft mehr oder weniger zum Stillstand, die Tourismusbranche wurde praktisch abgedreht. Das bleibt nicht ohne Wirkung. El Pais berichtete Ende April, dass in Spanien ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von bis 13,6 % möglich sei [1]. Dies würde zu Massenarbeitslosigkeit und einer Verarmung breiter Bevölkerungsschichten führen.

Wie wird die Regierung von Katalonien diesem Szenario begegnen, bevor es Realität wird? Und kann sie überhaupt eigene Konzepte zur Stabiliserung und Belebung der Wirtschaft umsetzen, jetzt, wo die Zentralregierung in Madrid das Zepter des Handelns in die Hand genommen hat?

Quim Torra ist seit Mai 2018 Präsident von Katalonien. (Foto: Ruben Moreno)

Quim Torra ist seit Mai 2018 Präsident von Katalonien. (Foto: Ruben Moreno)

Präsident Joaquim „Quim“ Torra i Pla: Um Arbeitslosigkeit und Verarmung zu vermeiden, haben wir seit Beginn der Pandemie auf die Schaffung eines universellen Grundeinkommens für die Bürger und die Aussetzung der Steuerzahlungen für Unternehmen bestanden. Die spanische Regierung hat mit vielen Wochen Verspätung endlich ein lebensnotwendiges Mindesteinkommen festgelegt, das die Lebensbedingungen der am stärksten benachteiligten Familien verbessern wird. Jetzt fordern wir, jenen Anteil dieses lebensnotwendigen Mindesteinkommens, der Katalonien entspricht, direkt verwalten zu können. Außerdem brauchen wir dringend 5 Milliarden Euro, um die außerordentlichen Kosten, die COVID-19 in Katalonien verursacht hat, decken zu können.

GS: Es werden zurzeit unglaubliche Summen bereitgestellt, um Unternehmen und Erwerbsarbeitsplätze zu retten. Dies wird zumindest auf politischer Ebene als Ziel genannt. Doch die Realität zeigt, dass zwar Konzerne von Hilfsgeldern profitieren, diese aber dennoch Niederlassungen und Produktionsstätten schließen und im großen Stil Arbeitsplätze abbauen. Aus Gründen internationaler Wettbewerbsfähigkeit und zur Profitmaximierung macht das sogar Sinn. Die Börsenkurse steigen und die Share Holder fahren Profit ein. Nun braucht nicht jedes Unternehmen gerettet werden, aber optimieren und rationalisieren tun alle Global Player. Der japanische Automobilhersteller Nissan zum Beispiel, will seine Produktionskapazitäten abbauen und Spanien, aber auch Katalonien verlassen. Das Werk in Barcelona wird bestreikt, die Gewerkschaft CGT fordert die Enteignung [2].

Inwieweit kann und wird die Regierung von Katalonien auf Nissan noch einwirken und wie können Unternehmen grundsätzlich in die Pflicht genommen werden, Arbeitsplätze zu erhalten und vielleicht auch neue zu schaffen, um der Bevölkerung zu signalisieren, dass es eine ökonomische Perspektive für alle gibt?

Präsident Torra: Wir tun alles, was wir können, um den Wegzug von Nissan zu bremsen und den dreitausend Arbeitern in den drei Werken, die Nissan in Katalonien hat, zusätzlich zu den 17.000 Arbeitern in den Hilfs- und Zulieferbetrieben, zu helfen. Um Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen, brauchen wir eine Steuerpolitik, die produktive Investitionen unterstützt. Obwohl diese Politik hauptsächlich in den Händen der spanischen Regierung liegt, versuchen wir von Katalonien aus in die richtige Richtung zu drängen. Wir hätten mehr Instrumente zur Verfügung, um einen Beitrag zu leisten, wenn Madrid die Obergrenze für das katalanische Defizit lockern würde: Sie schlagen jetzt 0,2 % des katalanischen BIP vor, aber wir bräuchten ein Defizit von mindestens 1 % des BIP.

GS: In Spanien sind rund 76 Prozent aller Arbeitskräfte im Dienstleistungssektor tätig und 19,7 Prozent in der Industrie [3]. In beiden Sektoren verdrängen Digitalisierungsprozesse, künstliche Intelligenz und Robotik menschliche Arbeitskraft. Dieser Prozess ist weltweit zu beobachten.

Wie beurteilen Sie die grundsätzliche Zukunftsfähigkeit der spanischen Wirtschaft und in welchen Wirtschaftszweigen sehen Sie für Katalonien wesentliche Potenziale, um ökonomische Akzente zu setzen, aber auch, um Möglichkeiten zur existenzsichernden Erwerbsarbeit zu schaffen? Gehört dazu auch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens durch die Regierung von Katalonien, sollte die Erwerbsarbeit nicht im notwendigen Umfang zunehmen?

Präsident Torra: In den letzten Jahren waren die wichtigsten Exportgüter Kataloniens Automobile und chemische Produkte, gefolgt von Agrarnahrungsmitteln und Industriemaschinen. Gleichzeitig haben die Investitionen in neue Technologien und Start-Ups erheblich zugenommen. Um uns nun von dem wirtschaftlichen Stillstand des Coronavirus zu erholen, haben wir Pläne einer sektoriellen Unterstützung für Transport und Logistik, für die Agrar- und Nahrungsmittelproduzenten, damit diese an die Nahrungsmittelbank spenden, für den Bildungs- und Freizeitsektor, für Kulturschaffende, für den Tourismussektor und für die Reaktivierung des maritimen Sektors gemacht. Wir haben die spanische Regierung auch dazu aufgefordert, ein universelles Grundeinkommen einzuführen.

Als Präsident von Katalonien tritt Quim Torra für die unabhängigkeit von Spanien ein. (Foto: Ruben Moreno)

Als Präsident von Katalonien tritt Quim Torra für die Unabhängigkeit von Spanien ein. (Foto: Ruben Moreno)

GS: Jetzt, wo die Wirtschaft angekurbelt werden soll, rückt die ökologische Krise wieder ins Gedächtnis. Ihre Regierung strebt nach einem Bündnis mit allen politischen Parteien und gesellschaftlichen Akteuren, unter anderem zur Einführung eines Investmentfonds, der die Erzeugung erneuerbarer Energien fördert, um den Energiesektor zu entlasten und der Klimakrise entgegenzuwirken. Aber dies kann sicher nur ein Teilaspekt sein.

Der globalisierte Tourismus zum Beispiel, der für das Gastgewerbe nicht nur in Barcelona relevant ist, war in seiner Ausprägung nur durch klimaschädliche Hypermobilität möglich. Zu der kann sicher niemand zurückkehren wollen. Welche Überlegungen hat Ihre Regierung, um in diesem Bereich Kompensation zu schaffen?

Präsident Torra: Der Tourismus macht in Katalonien etwa 12 % des katalanischen BIP aus. Wir möchten die Massifizierung reduzieren, aber nicht das Einkommen, demnach die Qualität erhöhen. Wir haben die spanische Regierung um 7,5 Milliarden Euro gebeten, um dem Tourismussektor dabei zu helfen, die Krise des Coronavirus zu überwinden und so den Verlust von etwa 90.000 Arbeitsplätzen zu vermeiden. Um dieses Ziel zu erreichen, wäre es angebracht, dass der spanische Staat den Europäischen Stabilitätsmechanismus (MEDE oder ESM auf Englisch) um den Gegenwert von 2 % des katalanischen BIP in Form von Darlehen zu 0,1 % Zinsen, das heißt etwa 5 Milliarden Euro, ersucht. Wir wollen auch in der Lage sein, die Gelder aus dem Europäischen Konjunkturfonds, über die jetzt in Brüssel verhandelt wird und die ab 2021 eintreffen werden, von Katalonien aus zu verwalten.

GS: Herr Präsident, eine abschließende Frage. Wenn Sie die Gesamtsituation in Europa und der Welt betrachten, ist unter den jetzigen Umständen, dem Taumeln von einer Krise in die nächste, das bisherige kapitalistische Wirtschaftssystem, dass auf globalen Konkurrenzkampf und Profitmaximierung setzt, noch haltbar oder bedarf es einer neuen Konzeption, deren Impulsgeber Katalonien sein kann?

Präsident Torra: Katalonien hat eine lange Tradition von Genossenschaften und Gegenseitigkeitsgesellschaften. Wir haben nie aufgehört, diese Tradition zu fördern, und noch weniger jetzt, mit der Abfolge der Weltwirtschaftskrise. Was Katalonien braucht, ist eine vollständige Selbstverwaltung und alle eigenen Ressourcen innerhalb des europäischen Rahmens, um eine effiziente Wirtschaftspolitik umsetzen zu können.

GS: Ich danke Ihnen, Herr Präsident.


Zur Person

Joaquim „Quim“ Torra i Pla (Jahrgang 1962) ist ein spanischer Jurist, Publizist, Buchautor und Politiker. Seit dem 14. Mai 2018 ist er Präsident der Generalitat de Catalunya, der Regionalregierung von Katalonien. Er tritt für eine Loslösung Kataloniens von Spanien ein. Quim Torra war Präsident von Sobirania i Justícia (2010 – 2011), Mitglied des Verwaltungsrats von Òmnium Cultural, dessen Vizepräsident (2013 – 2015) und amtierender Präsident (2015). Außerdem war er Mitglied des ständigen Rates der katalanischen Nationalversammlung und Vorsitzender des Museumsrats von Katalonien (2015 – 2017). Am 14. Mai 2018 wurde er zum Präsidenten der Regierung von Katalonien gewählt und am 17. Mai vereidigt. Präsident Torra hat zahlreiche Bücher über die Geschichte Kataloniens verfasst und wurde 2009 mit dem Carles-Rahola-Essay-Preis ausgezeichnet.


Quellen und Anmerkungen

[1] El Pais (30. April 2020): Spanish economy falls 5.2% in first quarter, the biggest drop in nearly a century. Auf https://english.elpais.com/economy_and_business/2020-04-30/spanish-economy-falls-52-in-first-quarter-the-biggest-drop-in-nearly-a-century.html (abgerufen am 05.06.2020). Auf (abgerufen am 22.6.2020).

[2] Statista: Spanien – Verteilung der Erwerbstätigen auf die Wirtschaftssektoren von 2009 bis 2019. Auf https://de.statista.com/statistik/daten/studie/169932/umfrage/erwerbstaetige-nach-wirtschaftssektoren-in-spanien/ (abgerufen am 22.6.2020). Auf (abgerufen am 2020).

[3] junge Welt (29. Mai 2020). Nissans Shutdown – Autobauer reduziert seine globale Produktionskapazität. Werk in Barcelona bestreikt. Auf https://www.jungewelt.de/artikel/379221.automobilindustrie-nissans-shutdown.html(abgerufen am 22.6.2020). Auf (abgerufen am 2020).


Redaktioneller Hinweis: Das Interview mit Kataloniens Präsidenten Quim Torra wurde erst möglich durch die unverzichtbare Mitwirkung von Lluis Lipp (Katalonien Podcast und Kat-Info.org) bei der Übersetzung aus und ins Katalanische sowie die Unterstützung der katalanischen Vertretung in Berlin, für die wir uns ausdrücklich bedanken.

Der Originalartikel kann hier besucht werden