Zur Erinnerung: Benjamin Franklin weilte in Paris und suchte als Emissär des nordamerikanischen Unabhängigkeitsprojektes das Ancien Régime davon zu überzeugen, dass es von Vorteil sei, eben diesen Kampf gegen England zu unterstützen. Und als der letzte, traurige Kaiser noch zweifelte, war es der Opernlibrettist Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, der im französischen Adel fleißig Geld sammelte für die Bewaffnung des neuen Amerika.

Viele ließen sich nicht lumpen, manche aus Freiheitsliebe, andere aus Ranküne gegen den Erzrivalen England. Und als die ersten Schiffe, vollgepackt mit Waffen, Frankreichs Häfen verließen, war auch so manch ein junger adeliger Idealist mit dabei.

Einer von ihnen hieß Lafayette [1]. Er reüssierte im Befreiungskrieg gegen England in der neuen Welt zu einem großen Feldherrn und kehrte mit seiner Erfahrung zurück in die Heimat, wo er der jungen Revolution tüchtig helfen konnte. Heute trägt eine Kaufhauskette seinen Namen, vielleicht die beste Metapher dafür, was aus einer revolutionären Idee so werden kann.

Statue de la Liberté

Die Franzosen, die der später siegreichen bürgerlichen Republik, dankten letztendlich den Vereinigten Staaten für das beiden Seiten nützliche Bündnis mit einer gigantischen Statue, deklariert als Geschenk des französischen Volkes an die Vereinigten Staaten von Amerika: La Liberté, die heute im Eingang des New Yorker Hafens gen Osten blickt und auf ihrem Sockel alle Unglücklichen, Unterdrückten und Beladenen dazu einlädt, im freien Amerika ihr Glück zu suchen. Das kleine Vorbild der Liberté ist heute noch zu besichtigen im Musée des arts et métiers und vier Repliken sind über Paris verteilt.

Die Verbundenheit, die sich aus dieser gewichtigen Episode der Geschichte ergab, wird vor allem östlich des Rheins oft unterschätzt. Das wohl gravierendste Dokument ist die Analogie in der verfassungsmäßigen starken Stellung des Präsidenten.

Die USA wie Frankreich sind präsidentielle Demokratien, wenn auch der Zentralismus in Frankreich dominiert, während er in den USA, dem historischen Vorbild, starke Grenzen durch die Souveränität der Bundesstaaten erfahren hat.

Donald Trump

Ein Sprung in die Jetztzeit zeigt, wie nah doch so manches noch ist. Der gegenwärtige Präsident Donald Trump wurde im Dezember 2016 zum 45. Präsidenten der USAgewählt. Er gilt als ein Affront gegen das gesamte politische Establishment. Obwohl zähneknirschend von vielen Republikanern mitgetragen, steht der Name Trump für die Bankrotterklärung des traditionellen Zweiparteiensystems. Was Trump seither betreibt, ist eine aggressive Politik nach innen und außen.

Vom ersten Tag an ging es Trump um Macht und Gewinn, um die absolute Herrschaft derer, die die Geldströme beherrschen. Die jüngsten Ereignisse um die Erhebung großer Teile der Bevölkerung gegen die zunehmende Spaltung und Ungerechtigkeit der Gesellschaft, haben auch in der hiesigen Gesellschaft Wellen geschlagen – und die Empörung ist groß.

Emmanuel Macron

Der jetzige französische Präsident Emmanuel Macron war bei seinem Erscheinen auf der politischen Bühne das personifizierte Misstrauensvotum gegen das traditionelle Parteiensystem. Mit seiner Bewegung En Marche hebelte Macron das ganze System aus und gewann die Wahlen mit einem Ensemble aus politischen Laien im Mai 2017 mit 66,1 Prozent [2]. Was jedoch als ein großes Reformversprechen begann, hat sich in einen rücksichtslosen Krieg gegen große Teile der Bevölkerung gekehrt.

Der entfesselte Wirtschaftsliberalismus scheint mit Macron sein letztes Bataillon mobilisiert zu haben, um eine totalitäre Herrschaft von Gewinn und Rendite, sprich, die Kapitaldiktatur, zu errichten. Seit mehr als einem Jahr herrscht Krieg auf Frankreichs Straßen. Menschen werden brutal durch bewaffnete Polizeikräfte zusammengeschlagen oder getötet. Obwohl letzteres in unmittelbarer Nachbarschaft geschieht, sind die Reaktionen hierzulande kaum wahrnehmbar.

Die systemisch-siamesische Analogie

In den USA wie in Frankreich geht es um den gewaltsamen Umbau des jeweiligen Staates in eine Herrschaft von Willkür und Terror. In beiden Ländern haben sich große Menschenmengen erhoben, um diesem unumwundenen Vorhaben etwas entgegenzusetzen.

Frankreich und die USA weisen wieder einmal eine systemisch-siamesische Analogie auf. Was sagt es aus, wenn in den beiden Pionierstaaten der bürgerlichen Revolution gegen die eigene Bevölkerung mit martialischen Mitteln vorgegangen wird und sie die Aura diktatorischer Verhältnisse verbreiten?

Es sind dramatische Zeiten, in denen der Atem still steht. „I can’t breathe“ ist, ungewollt und tragisch, die richtige Metapher. Liegt die bürgerliche Gesellschaft in ihren letzten Zügen?

Quellen und Anmerkungen

[1] Marquis de La Fayette (oder Lafayette, 1757 – 1834) war ein französischer Politiker und Général de division. Auf der Seite der Kolonisten nahm er am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg teil, kehrte 1782 nach Frankreich zurück und spielte eine wichtige Rolle in der Französischen Revolution. Weitere Informationen auf https://de.wikipedia.org/wiki/Marie-Joseph_Motier,_Marquis_de_La_Fayette#R%C3%BCckkehr_nach_Frankreich(abgerufen am 06.06.2020).

[2] La République en Marche! (Die Republik in Bewegung!) oder auch En Marche! wurde 2016 von Emmanuel Macron im Vorfeld seiner Kandidatur für die französischen Präsidentschaftswahlen gegründet. Macron bezeichnet die Partei als Bewegung. Als Mitglieder werden alle Personen gezählt, die ihre persönlichen Daten (Geburtsdatum, Anschrift, Telefonnummer und E-Mail-Adresse) angegeben und der En-Marche-Charta zugestimmt haben. Weitere Informationen auf der offiziellen Webseite https://en-marche.fr/ (abgerufen am 06.06.2020).


Dr. Gerhard Mersmann studierte Politologie und Literaturwissenschaften, war als Personalentwickler tätig und als Leiter von Changeprozessen in der Kommunalverwaltung. Außerdem als Regierungsberater in Indonesien nach dem Sturz von Haji Mohamed Suharto. Gerhard Mersmann ist Geschäftsführer eines Studieninstituts und Blogger. Seine gegenwärtigen Schwerpunkte sind Beratung, Lehre und Publizistik. Auf Form7 schreibt er pointiert über das politische und gesellschaftliche Geschehen und wirft einen kritischen Blick auf das Handeln der Akteure.