Rio Reisers Biographie ist ein ehrliches, bodenständiges und äußerst wichtiges Buch, das uns einzigartige Einblicke in die wilde Zeit der 60er und 70er schenkt, während wir Rio auf seinem Weg durch dieses Tohuwabohu der Gegensätze, Neuanfänge und ausgedehnten Experimente hinsichtlich Lebensweisen begleiten.

Die „Ton Steine Scherben“ – als Ergebnis seines langen Entwicklungsprozesses fort von Theaterkompositionen hin zu einem eigenen Ausdruck in einer Zeit, als die Jugend die Schnauze voll hatte von der elterlich vorgelebten Doppelmoral, den allgegenwärtigen Hinterlassenschaften der Nazi-Diktatur und dem miefigen Muff der tot langweiligen spießigen Lebensweise der Alten.

Der Song „Ich will nicht werden was mein Alter ist“ spricht, wie alle anderen Werke, eine klare und für damalige Verhältnisse absolut unverschämte Sprache und zeigt somit deutlich den heftigen Bruch der Generationen.

Stets auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen wendeten sich Rio und seine zwei älteren Brüder Gert und Peter mit weiteren Entflammten dem Theater und seinen neuen Möglichkeiten zu. Daneben versuchte Rio stets eine Band auf die Beine zu stellen, was mal schlechter und mal besser, mal kürzer und dann wieder unwesentlich länger klappte, was eindeutig der Dynamik dieser Zeit geschuldet war.

Wir begleiten die Familie Möbius ab der Geburt Rios Im Januar 1950, zunächst auf ihrem Weg durch die neue Republik. Gekonnt flicht Reiser sowohl bundesweite Ereignisse, wie die Wiederbewaffnung Westdeutschlands, wie auch die kulturellen Entwicklungen im Radio in seine Biographie mit ein.

Mit wachem und kritischem Blick erleben wir sein Empfinden, seine Sichtweise auf die Vorkommnisse jener Tage und lernen einen sensiblen und klugen Menschen kennen, der auch nur versuchte, ehrlich und frei zu leben.

Nach langen Versuchen, Abbrüchen, Neuausrichtungen und so fort, formierten sich 14 junge und wilde Menschen zu einem Bühnenkonzept, das nach langem Hin und Her den Namen „Ton Steine Scherben“ erhielt.

Berlin-Kreuzberg, an drei Seiten von der Mauer umgeben, war zu jener Zeit ein faszinierender Schmelztiegel, der es sich so gemütlich eingerichtet hatte, daß die neuen Immobilienpläne der Oberbaulöwin Gabriele Kressmann – Zschach für den Bezirk eine Welle der hilflosen Wut entfachte. Diese schuf sich spontan nach einem Konzert der „Ton Steine Scherben“ durch Rio Reisers Aufruf in der Besetzung des Schwesternwohnheims, später und bis heute als Georg-von-Rauch-Haus bekannt und auf dem Gelände des zum Abriss freigegebenen Bethanien – Krankenhauses gelegen, Raum. Dank dieser Initiative konnten überall in Deutschland Immobilien, die ansonsten dem Modernisierungswahn zum Opfer gefallen wären, der Nachwelt in ihrer Originalität erhalten bleiben. Das heutige Kreuzberg wäre ohne diese Aktionen nicht in dieser Form wiedererkennbar. Auch das Künstlerhaus Bethanien nicht.

Da diese faszinierenden Ereignisse vor meiner Geburt stattfanden, ich an dieser Zeit und den Orten aber ungemein interessiert bin, erachte ich „König von Deutschland“ als ein sehr wichtiges Werk, das mir dabei hilft, jene geburtsbedingten Lücken so zu schließen und vieles nachzuvollziehen, was mir bis dato noch relativ schleierhaft erschien.

Durch diese Lektüre angeregt werde ich nach Gert Möbius` Erinnerungen an seinen jüngeren Bruder Rio Reiser die Augen offenhalten.

Vielen Dank an KiWi für dieses überaus wichtige Buch.

König von Deutschland von Rio Reiser mit Hannes Eyber ist im Juni 2016 als Taschenbuch im Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienen. Weitere Informationen auf der Verlagsseite.

Rezension von Geruede – der gestrandete utopistische Traumtänzer 

Der Originalartikel kann hier besucht werden